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1634. An Gottfried Körner.

Weimar 21 8br. [Dienstag] 1800.

Ich weiß nicht, welcher von uns beiden dem andern einen Brief schuldig ist; wahrscheinlich bin ich der Debitor und in diesem Fall wirst Du mir meine Faulheit freundlich vergeben. Du weißt, wenn ich nicht schreibe, so stecke ich in der Arbeit, und dann bleibt alles liegen. Da Du aber diese Unart nicht in dem hohen Grade hast wie ich und mehr über Deine Natur gebieten kannst, so könntest Du mich zuweilen mahnen, und mir von Dir und den Deinigen ein Lebenszeichen geben. Bei uns ist, seit meinen letzten Nachrichten, alles geblieben, wie es war, auch meine Gesundheit war immer auf gutem Wege, so daß ich meine neue Lebensweise in Rücksicht auf Bewegung und Ausgehen fortsetzen konnte. Aber in der Arbeit rücke ich sehr langsam fort. Die Expositionen kosten mir immer viel Kopfbrechens bis ich mich erst in dem Sattel fest gesetzt habe. Ich bin aber gutes Muths für das Unternehmen, wenn ich gleich voraussehe, daß es mir den ganzen Winter genug zu thun geben wird.

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Wegen meiner Gedichte habe ich Dir noch nicht geantwortet. Nicht alle Stücke, die ich weggelassen, sind darum von mir verworfen; aber sie konnten nicht in ihrer alten Gestalt bleiben, und eine neue Bearbeitung hätte mehr Zeit erfordert, als ich dießmal daran wenden konnte. Verschiedene, wie die Künstler, habe ich wohl zwanzigmal in der Hand herum geworfen, ehe ich mich decidierte. Deinen Gedanken wegen dieses Gedichts hatte ich anfangs auch aber er ist nicht auszuführen. Leider ist dasselbe durchaus unvollkommen und hat nur einzelne glückliche Stellen, um die es mir freilich selbst leid thut.

Die Freude hingegen ist nach meinem jetzigen Gefühl durchaus fehlerhaft und ob sie sich gleich durch ein gewißes Feuer der Empfindung empfiehlt, so ist sie doch ein schlechtes Gedicht und bezeichnet eine Stufe der Bildung, die ich durchaus hinter mir lassen mußte um etwas ordentliches hervorzubringen. Weil sie aber einem fehlerhaften Geschmack der Zeit entgegenkam, so hat sie die Ehre erhalten, gewißermaaßen ein Volksgedicht zu werden. Deine Neigung zu diesem Gedicht mag sich auf die Epoche seiner Entstehung gründen; aber diese giebt ihm auch den einzigen Werth, den es hat, und auch nur für uns und nicht für die Welt noch für die Dichtkunst.

Ueber einzelne Aenderungen in den abgedruckten Gedichten, die Dir vielleicht jetzt nicht ganz recht sind, könnten wir manche unterhaltende Discussion haben, und werden es auch, wenn wir einmal zusammen kommen. Ob ich gleich selbst nicht mit allen ganz zufrieden bin, so kann ich doch der Maxime, die mich geleitet haben, nichts vergeben.

[ Pniower Nr. 188: Göthe ist von seiner Excursion nach Jena wo er etwas zu arbeiten hoffte, längst zurück, hat aber nur etwas weniges vom Faust gearbeitet, welches aber vortreflich ist. Im Ganzen bringt er jetzt zu wenig hervor, so reich er noch immer an Erfindung und Ausführung ist. Sein Gemüth ist nicht ruhig genug, weil ihm seine elenden häusslichen Verhältnisse, die er zu schwach ist zu ändern, viel Verdruß erregen. ]

Humboldts werden jetzt jede Woche erwartet. Du sollst Nachricht haben, sobald sie kommen. Ich habe von der Geisterseherey nichts gehört und glaube auch nicht daran, wenigstens halte ich es nicht für so ernsthaft.

Lebe wohl. Herzliche Grüße von uns an Euch alle.

Dein

Sch.