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8/2539. An Charlotte von Stein

Rom d. 13. [- 16.] Dec. 86.

Könnt ich doch meine Geliebteste, jedes gute, wahre, süße Wort der Liebe und Freundschafft auf dieses Blat faßen, dir sagen und versichern daß ich dir nah, ganz 93 nah bin und daß ich mich nur um deinetwillen des Daseyns freue.

Dein Zettelchen hat mich geschmerzt aber am meisten dadrum daß ich dir Schmerzen verursacht habe. Du willst mir schweigen? du willst die Zeugniße deiner Liebe zurücknehmen? Das kannst du nicht ohne viel zu leiden, und ich bin schuld daran. Doch vielleicht ist ein Brief von dir unterwegs der mich aufrichtet und tröstet, vielleicht ist mein Tagebuch angekommen und hat dich zur guten Stunde erfreut. Ich fahre fort dir zu schreiben dir das merckwürdigste zu melden und dich meiner Liebe zu versichern. Wenn du diesen Brief erhältst bin ich wahrscheinlich in Neapel, wenn du mir schreiben magst; so laß deine Briefe ja immer abgehen, denn ich komme bald zurück und werde mich freuen ein Wort von dir wieder zu finden.

d. 14. Dec. 86.

Was ich auf der vorigen Seite schrieb sieht so ruhig aus, ich bin es nicht und muß dir liebe Vertraute alles vertrauen.

Seitdem ich in Rom bin hab ich unermüdet alles sehenswürdige gesehen und meinen Geist recht damit überfüllt, in der Zeit da sich manches zu setzen und aufzuklären schien, kam dein Zettelgen und brach mir alles ab. Ich sah noch einige Villen, einige Ruinen, mit den Augen blos. Da ich merckte daß ich nichts mehr sah, lies ich ab und ging nur so vor mich hin.

94 Moritz der an seinem Armbruch noch im Bette liegt, erzählte mir wenn ich bey ihm war Stücke aus Seinem Leben und ich erstaunte über die Ähnlichkeit mit dem Meinigen. Er ist wie ein jüngerer Bruder von mir, von derselben Art, nur da vom Schicksal verwahrlost und beschädigt, wo ich begünstigt und vorgezogen bin. Das machte mir einen sonderbaren Rückblick in mich selbst. Besonders da er mir zuletzt gestand, daß er durch seine Entfernung von Berlin eine Herzensfreundinn betrübt. – Nicht genug! Ich las Tischbeinen meine Iphigenie vor die nun bald fertig ist. Die sonderbare, originale Art wie dieser das Stück ansah und mich über den Zustand in welchem ich es geschrieben aufklärte, erschröckte mich. Es sind keine Worte wie fein und tief er den Menschen unter dieser Helden Maske empfunden.

[ Gräf Nr. 864a: Setzest du nun dazu daß ich gezwungen bin an meine übrige Schrifften zu dencken, und zu sinnen wie ich sie enden und stellen will und daß ich dadurch genötigt werde in tausend vergangne Situationen meines Lebens zurückzukehren, und daß das alles in wenigen Tagen auf mich zudringt in der merckwürdigsten Stadt der Welt die allein hinreicht einen Ankömmling verwirrt zu machen; so wirst du dencken können in welcher Lage ich mich befinde. Ich dencke nun auch nicht auf die nächste Stunde, ich will so hingehn, das nothwendige thun und tragen was ich muß und abwarten wie sich das alles entwickelt. ]

95 Kannst du etwas für mich thun; so thu es! unendlich wird mich jedes Wort von dir erfreuen und aufrichten. In 16 Tagen ist ein Brief von dir in Rom. Diesen erhälst du zu Anfang des Jahres wenn du gleich wieder schreibst machst du mich glücklich, nur unter Tischbeins Adresse.

Tischbein Pittore tedesco al Corso incontro al Palazzo Rondanini.

Übrigens geht es mir sehr gut, ich habe bequeme und sichre Wohnung und die beste Einleitung zu allem und in alles was ich sehn will.

Grüße Fritzen und sage daß ich einige recht schöne Kunststücke für ihn lerne. Münzen in Thon abzudrucken, mit zwey Seiten und ihnen im Brennen eine Metall Farbe zu geben. Das viel artiger und dauerhafter als alles Gypswesen ist. Auch werd ich ihm schöne Schwefel mitbringen.

Hier haben sie gar eine artige Manier Zimmer auszuzieren, wie du einmal in Kochberg machen wolltest. Fange nichts an biß ich wiederkomme, ich bringe allerley mit.

Wenn ich auch Anfang künftigen Jahres nach Neapel gehe laß ich mir alle Briefe nachschicken. Lebe wohl, ich bin mehr als jemals dein. Grüße die deinigen.

d. 16. Dec. 86.

G.