257

46/236. An Carl Friedrich Zelter

Du bist sehr freundlich, daß du mich in diesen Tagen aus meinen Einsamkeiten nach dem lebhaften Berlin versetzest und mir ein Zeugniß deines unerschütterlichen Muthes gibst, einen solchen vorspukenden Gespensterzug mit Fassung anschauen zu können. Das ist denn das Theater am Ende des ersten Drittels des neunzehnten Jahrhunderts! Die Deutschen wollen doch am Ende den Franzosen an Absurdität nicht nachstehen. Die Berliner sind aber freylich so lebereich, daß sie die Hingehenden und Hingegangenen wohl können vor sich aufmarschiren sehen. Ich schätze dich glücklich daß du dergleichen getrost mit hinnehmen kannst und eine Flasche Wein dich glücklich wieder herstellt.

Von den Berliner Zeitungsschreibern ist die Aufmerksamkeit allzugroß daß sie mich, bey lebendigem Leibe, zum indischen Weisen promoviren wollen; der Fall war indessen völlig von der Art wie die, von denen du erzählst, und ich habe allerdings wohlwollenden Dämonen Dank zu sagen, daß das Übel ohne irgend eine Beschädigung ablief. Dagegen bedaure um so aufrichtiger den trefflichen Niebuhr in Bonn, der eine Art Verlust erlitten, von dem man sich kaum wieder herstellt.

258 [ Gräf Nr. 1819: Die französischen Memoiren so wie Le Globe und Le Temps habe ich auf einige Zeit beseitigt. Es fällt einem doch einmal auf daß das alles einen gar nichts angeht, daß man von dem Vergangenen ohngefähr soviel weiß als ein anderer auch, und daß man durch die Kenntniß dessen, was der Tag bringt, nicht klüger und nicht besser wird.

Heute haben wir hohen Barometerstand, congruirenden Ostwind, erheiterten Himmel, Sonnenschein, und so regt sich wieder Glaube und Hoffnung an und auf die Natur, da denn die Liebe nicht ausbleiben wird. Seit acht Wochen beschäftige ich mich ununterbrochen mit einer Arbeit die mir Freude macht und Euch auch Freude machen soll; dazu schöpf ich nun frischen Athem und denke noch vor Ostern abzuschließen, ] um mich wieder mit neuer Geschäftigkeit zu belasten. Bey dir kann's auch nicht abreißen und so mag denn das Weitere folgen.

Vorstehendes liegt schon einige Tage und ich frage vor allen Dingen an: ob Ihr am 2ten d. M. auf einmal klaren Himmel, bey ungewöhnlich hohem Barometerstande und scharfem Ostwind hattet? wie es wahrscheinlich ist. Diese Witterung dauerte einige Tage und ist auch heute mit jener ersten, wenn auch nicht völlig, doch einigermaßen zu vergleichen.

Alsdann sollst du vielen Dank haben daß du fleißig schreibst und mich freundlich heimsuchest; besonders freuen mich deine peripatetischen Didaskalien, 259 wo du, aus dem Stegreife, lakonisch-tüchtige Lehren austheilst. Es ist wahr: wenn man reden mag, so kann man gewiß seyn sich wiederholt zu hören.

Auch hast du ganz recht dir den Begriff von Napoleon nicht nehmen zu lassen; es hat uns zu viel gekostet dahin zu gelangen, als daß wir ihn um der Hänse willen aufgeben sollten. Die Mémoires de Bignon sind daher interessanter für uns zu lesen. Ein ernster Diplomat, der den Helden und Herrscher zu schätzen weiß, nach dessen großen Zwecken wirkte und sich des Vergangenen und Geleisteten mit Anstand erinnert.

Gegenwärtiges dictir' ich unter dem feyerlichen Glockengeläute, welches zum kirchlichen Trauerfeste ruft; es ist genug gesagt um dir meinen Zustand fühlbar zu machen. Auch die Weimarisch poetisch Verbündeten haben sich, in dem bekannten wöchentlichen Blatte, zu stiller Feyer vereinigt. Ein Exemplar liegt bey; du wirst es mit Antheil aufnehmen und lesen.

Hierauf wüßte weiter nichts zu sagen als: daß ich manches Gute, Muntere, Tüchtige von dir unablässig zu vernehmen hoffe; laß es nicht daran fehlen; dein Flügelpferd bringt mir immer eine gute Stunde.

und so fortan!

Weimar den 7. März 1830.

J. W. v. Goethe.