Goethe’s Schriften.
Siebenter Band.
Leipzig, bey Georg Joachim Göschen, 1790. 1
Faust.
Ein Fragment. 2
Ein Fragment. 2
3
19
39
63
83
97
130
133
136
151
164
∞
5
10
13
16
17
∞Nacht.
∞ In einem
hochgewölbten, engen, gothischen Zimmer,
Faust unruhig auf seinem Sessel am
Pulte.
∞Faust.
354Habe nun, ach!
Philosophie,
355Juristerey und Medicin,
356Und leider auch Theologie
357Durchaus studirt, mit heißem Bemühn!
358Da steh’ ich nun, ich armer Thor!
359Und bin so klug als wie zuvor;
360Heiße Magister, heiße Doctor gar,
361Und ziehe schon an die zehen Jahr,
362Herauf, herab und quer und krumm,
363Meine Schüler an der Nase herum –
4
364Und sehe, daß wir nichts wissen können!
365Das will mir schier das Herz verbrennen.
366Zwar bin ich gescheidter als alle die Laffen,
367Doctoren, Magister, Schreiber und Pfaffen;
368Mich plagen keine Scrupel noch Zweifel,
369Fürchte mich weder vor Hölle noch Teufel –
370Dafür ist mir auch alle Freud’ entrissen,
371Bilde mir nicht ein was rechts zu wissen,
372Bilde mir nicht ein, ich könnte was lehren,
373Die Menschen zu bessern und zu bekehren.
374Auch hab’ ich weder Gut noch Geld,
375Noch Ehr’ und Herrlichkeit der Welt.
376Es möchte kein Hund so länger leben!
377Drum hab’ ich mich der Magie ergeben,
378Ob mir, durch Geistes Kraft und Mund
379Nicht manch Geheimniß würde kund;
380Daß ich nicht mehr, mit saurem Schweiß,
381Zu sagen brauche, was ich nicht weiß;
382Daß ich erkenne, was die Welt
383Im Innersten zusammen hält,
384Schau’ alle Wirkenskraft und Samen,
385Und thu’ nicht mehr in Worten kramen.
386O sähst du, voller Mondenschein,
387Zum letztenmal auf meine Pein,
388Den ich so manche Mitternacht
389An diesem Pult herangewacht:
390Dann über Bücher und Papier,
391Trübsel’ger Freund, erschienst du mir!
392Ach könnt’ ich doch auf Berges Höh’n,
393In deinem lieben Lichte gehn,
394Um Bergeshöhle mit Geistern schweben,
395Auf Wiesen in deinem Dämmer weben,
396Von allem Wissensqualm entladen,
397In deinem Thau gesund mich baden!
398Weh! steck’ ich in dem Kerker noch?
399Verfluchtes, dumpfes Mauerloch!
400Wo selbst das liebe Himmelslicht
401Trüb’ durch gemahlte Scheiben bricht.
402Beschränkt mit diesem Bücherhauf,
403Den Würme nagen, Staub bedeckt,
404Den, bis an’s hohe Gewölb’ hinauf,
405Ein angeraucht Papier umsteckt;
406Mit Gläsern, Büchsen rings umstellt,
6
407Mit Instrumenten vollgepfropft,
408Urväter Hausrath drein gestopft –
409Das ist deine Welt! Das heißt eine Welt!
410Und fragst du noch, warum dein Herz
411Sich bang’ in deinem Busen klemmt?
412Warum ein unerklärter Schmerz
413Dir alle Lebensregung hemmt?
414Statt der lebendigen Natur,
415Da Gott die Menschen schuf hinein,
416Umgibt in Rauch und Moder nur
417Dich Thiergeripp und Todtenbein.
418Flieh! auf! hinaus in’s weite Land!
419Und dieß geheimnißvolle Buch,
420Von Nostradamus eigner Hand,
421Ist dir es nicht Geleit genug?
422Erkennest dann der Sterne Lauf,
423Und wenn Natur dich unterweist,
424Dann geht die Seelenkraft dir auf,
425Wie spricht ein Geist zum andern Geist.
426Umsonst, daß trocknes Sinnen hier
427Die heil’gen Zeichen dir erklärt,
7
428Ihr schwebt, ihr Geister, neben mir,
429Antwortet mir, wenn ihr mich hört!
∞Er schlägt das
Buch auf und erblickt das Zeichen des Makrokosmus.
430Ha! welche Wonne fließt, in diesem Blick,
431Auf einmal mir durch alle meine Sinnen?
432Ich fühle junges, heil’ges Lebensglück,
433Neuglühend mir durch Nerv’ und Adern rinnen.
434War es ein Gott, der diese Zeichen schrieb,
435Die mir das innre Toben stillen,
436Das arme Herz mit Freude füllen,
437Und, mit geheimnißvollem Trieb,
438Die Kräfte der Natur ring’s um mich
her enthüllen?
439Bin ich ein Gott? Mir wird so licht!
440Ich schau’ in diesen reinen Zügen
441Die wirkende Natur vor meiner Seele liegen.
442Jetzt erst erkenn’ ich was der Weise spricht:
443„Die Geisterwelt ist nicht verschlossen;
444„Dein Sinn ist zu, dein Herz ist todt!
445„Auf bade, Schüler, unverdrossen
446„Die ird’sche Brust im Morgenroth!“
8
∞Er beschaut das
Zeichen.
447Wie alles sich zum Ganzen webt!
448Eins in dem andern wirkt und lebt!
449Wie Himmelskräfte auf und nieder steigen
450Und sich die goldnen Eimer reichen!
451Mit segenduftenden Schwingen
452Vom Himmel durch die Erde dringen,
453Harmonisch all das All durchklingen!
454Welch Schauspiel! aber ach! ein Schauspiel nur!
455Wo faß’ ich dich, unendliche Natur?
456Euch Brüste, wo? Ihr Quellen alles Lebens,
457An denen Himmel und Erde hängt,
458Dahin die welke Brust sich drängt –
459Ihr quellt, ihr tränkt, und schmacht’ ich
so vergebens?
∞Er schlägt
unwillig das Buch um, und erblickt das Zeichen des
Erdgeistes.
460Wie anders wirkt dieß Zeichen auf mich ein!
461Du, Geist der Erde, bist mir näher;
462Schon fühl’ ich meine Kräfte höher,
9
463Schon glüh’ ich wie von neuem Wein.
464Ich fühle Muth, mich in die Welt zu wagen,
465Der Erde Weh, der Erde Glück zu tragen,
466Mit Stürmen mich herum zu schlagen,
467Und in des Schiffbruchs Knirschen nicht zu zagen.
468Es wölkt sich über mir –
469Der Mond verbirgt sein Licht –
470Die Lampe schwindet!
471Es dampft! – Es zucken rothe Strahlen
472Mir um das Haupt – Es weht
473Ein Schauer vom Gewölb’ herab
474Und faßt mich an!
475Ich fühl’s, du schwebst um mich, erflehter Geist!
476Enthülle dich!
477Ha! wie’s in meinem Herzen reißt!
478Zu neuen Gefühlen
479All meine Sinnen sich erwühlen!
480Ich fühle ganz mein Herz dir hingegeben!
481Du mußt! du mußt! und kostet’ es mein Leben!
∞Er faßt das Buch und
spricht das Zeichen des Geistes geheimnißvoll aus. Es zuckt eine
röthliche Flamme, der Geist
erscheint in der Flamme.
∞Geist.
486Du flehst erathmend mich zu schauen,
487Meine Stimme zu hören, mein Antlitz zu sehn,
488Mich neigt dein mächtig Seelenflehn,
489Da bin ich! – Welch erbärmlich Grauen
490Faßt Übermenschen dich! Wo ist der Seele Ruf?
11
491Wo ist die Brust, die eine Welt in sich erschuf,
492Und trug, und hegte? Die mit Freudebeben
493Erschwoll, sich uns, den Geistern, gleich zu heben?
494Wo bist du, Faust, deß Stimme mir erklang?
495Der sich an mich mit allen Kräften drang?
496Bist du es? der, von meinem
Hauch umwittert,
497In allen Lebenstiefen zittert,
498Ein furchtsam weggekrümmter Wurm!
∞Geist.
501In Lebensfluthen, im Thatensturm
502Wall’ ich auf und ab,
503Webe hin und her!
504Geburt und Grab,
505Ein ewiges Meer,
506Ein wechselnd Weben,
507Ein glühend Leben,
12
508So schaff’ ich am sausenden Webstuhl der Zeit,
509Und wirke der Gottheit lebendiges Kleid.
∞Verschwindet.
∞Faust
∞zusammenstürzend.
514Nicht dir!
515Wem denn?
516Ich Ebenbild der Gottheit!
517Und nicht einmal dir!
∞Es klopft.
518O Tod! ich kenn’s – das ist mein Famulus –
519Es wird mein schönstes Glück zu nichte!
520Daß diese Fülle der Gesichte
521Der trockne Schleicher stören muß!
∞
Wagner im Schlafrocke und der
Nachtmütze, eine Lampe in der Hand. Faust wendet sich
unwillig.
∞Wagner.
522Verzeiht! ich hör’ euch declamiren;
523Ihr las’t gewiß ein Griechisch Trauerspiel?
524In dieser Kunst möcht’ ich was profitiren,
525Denn heut zu Tage wirkt das viel.
526Ich hab’ es öfters rühmen hören,
527Ein Kommödiant könnt’ einen Pfarrer lehren.
∞Wagner.
530Ach! wenn man so in sein Museum gebannt ist,
531Und sieht die Welt kaum einen Feiertag,
532Kaum durch ein Fernglas, nur von weiten,
533Wie soll man sie durch Überredung leiten?
∞Faust.
534Wenn ihr’s nicht fühlt, ihr werdet’s nicht erjagen.
14
535Wenn es nicht aus der Seele dringt,
536Und mit urkräftigem Behagen
537Die Herzen aller Hörer zwingt,
538Sitzt ihr nur immer! leimt zusammen,
539Braut ein Ragout von andrer Schmaus,
540Und blas’t die kümmerlichen Flammen
541Aus eurem Aschenhäufchen aus!
542Bewund’rung von Kindern und Affen,
543Wenn euch darnach der Gaumen steht.
544Doch werdet ihr nie Herz zu Herzen schaffen,
545Wenn es euch nicht von Herzen geht.
∞Wagner.
546Allein der Vortrag macht des Redners Glück;
547Ich fühl’ es wohl, noch bin ich weit zurück.
∞Faust.
548Such’ Er den redlichen Gewinn!
549Sey Er kein schellenlauter Thor!
550Es trägt Verstand und rechter Sinn
551Mit wenig Kunst sich selber vor;
552Und wenn’s euch Ernst ist was zu sagen,
553Ist’s nöthig Worten nachzujagen?
15
554Ja, eure Reden, die so blinkend sind,
555In denen ihr der Menschheit Schnitzel kräuselt,
556Sind unerquicklich, wie der Nebelwind,
557Der herbstlich durch die dürren Blätter säuselt!
∞Wagner.
558Ach Gott! die Kunst ist lang;
559Und kurz ist unser Leben.
560Mir wird, bey meinem kritischen Bestreben,
561Doch oft um Kopf und Busen bang’.
562Wie schwer sind nicht die Mittel zu erwerben,
563Durch die man zu den Quellen steigt!
564Und eh’ man nur den halben Weg erreicht,
565Muß wohl ein armer Teufel sterben.
∞Faust.
566Das Pergament, ist das der heil’ge Bronnen,
567Woraus ein Trunk den Durst auf ewig stillt?
568Erquickung hast du nicht gewonnen,
569Wenn sie dir nicht aus eigner Seele quillt.
∞Wagner.
570Verzeiht! es ist ein groß Ergetzen,
571Sich in den Geist der Zeiten zu versetzen;
572Zu schauen, wie vor uns ein weiser Mann gedacht,
573Und wie wir’s dann zuletzt so herrlich weit gebracht.
∞Faust.
574O ja, bis an die Sterne weit!
575Mein Freund, die Zeiten der Vergangenheit
576Sind uns ein Buch mit sieben Siegeln.
577Was ihr den Geist der Zeiten heißt,
578Das ist im Grund der Herren eigner Geist,
579In dem die Zeiten sich bespiegeln.
580Da ist’s dann wahrlich oft ein Jammer!
581Man läuft euch bey dem ersten Blick davon.
582Ein Kehrichtfaß und eine Rumpelkammer,
583Und höchstens eine Haupt- und Staatsaction,
584Mit trefflichen, pragmatischen Maximen,
585Wie sie den Puppen wohl im Munde ziemen!
∞Wagner.
586Allein die Welt! des Menschen Herz und Geist!
587Möcht’ jeglicher doch was davon erkennen.
∞Faust.
588Ja, was man so erkennen heißt!
589Wer darf das Kind bey’m rechten Namen nennen?
590Die wenigen, die was davon erkannt,
591Die thöricht g’nug ihr volles Herz nicht wahrten,
592Dem Pöbel ihr Gefühl, ihr Schauen offenbarten,
593Hat man von je gekreuzigt und verbrannt.
594Ich bitt’ euch, Freund, es ist tief in der Nacht,
595Wir müssen’s dießmal unterbrechen.
∞ab.
18
19
∞
20
22
24
26
30
36
38
∞Faust. Mephistopheles.
∞Faust.
– – – – – – –
1770Und was der ganzen Menschheit zugetheilt ist,
1771Will ich in meinen innern Selbst genießen,
1772Mit meinem Geist das Höchst’ und Tiefste greifen,
1773Ihr Wohl und Weh auf meinen Busen häufen,
1774Und so mein eigen Selbst zu Ihrem Selbst erweitern,
1775Und, wie sie selbst, am End’ auch ich zerscheitern.
∞Mephistopheles.
1776O glaube mir, der manche tausend Jahre
1777An dieser harten Speise kaut,
1778Daß in der Wieg’ und auf der Bahre
1779Kein Mensch den alten Sauerteig verdaut!
1780Glaub’ unser einem, dieses Ganze
1781Ist nur für einen Gott gemacht;
1782Er findet sich in einem ew’gen Glanze,
1783Uns hat er in die Finsterniß gebracht,
1784Und euch taugt einzig Tag und Nacht.
∞Mephistopheles.
1785Das läßt sich hören!
1786Doch nur vor Einem ist mir bang’;
1787Die Zeit ist kurz, die Kunst ist lang.
1788Ich dächt’ ihr ließet euch belehren.
1789Associirt euch mit einem Poeten,
1790Laßt den Herrn in Gedanken schweifen,
1791Und alle edle Qualitäten
1792Auf euren Ehren-Scheitel häufen,
21
1793Des Löwen Muth,
1794Des Hirsches Schnelligkeit,
1795Des Italiäners feurig Blut,
1796Des Nordens Dau’rbarkeit.
1797Laßt ihn euch das Geheimniß finden,
1798Großmuth und Arglist zu verbinden,
1799Und euch mit warmen Jugendtrieben
1800Nach einem Plane zu verlieben.
1801Möchte selbst solch einen Herren kennen,
1802Würd’ ihn Herr Mikrokosmus nennen.
∞Faust.
1803Was bin ich denn, wenn es nicht möglich ist
1804Der Menschheit Kronen zu erringen,
1805Nach der sich alle Sinne dringen?
∞Mephistopheles.
1806Du bist am Ende – was du bist.
1807Setz’ dir Perrücken auf von Millionen Locken,
1808Setz’ deinen Fuß auf ellenhohe Socken,
1809Du bleibst doch immer was du bist.
∞Faust.
1810Ich fühl’s, vergebens hab’ ich alle Schätze
1811Des Menschengeist’s auf mich herbeygerafft,
1812Und wenn ich mich am Ende niedersetze,
1813Quillt innerlich doch keine neue Kraft;
1814Ich bin nicht um ein Haar breit höher,
1815Bin dem Unendlichen nicht näher.
∞Mephistopheles.
1816Mein guter Herr, ihr seht die Sachen,
1817Wie man die Sachen eben sieht;
1818Wir müssen das gescheidter machen,
1819Eh’ uns des Lebens Freude flieht.
1820Was Henker! freylich Händ und Füße
1822Doch alles was ich frisch genieße,
1823Ist das drum weniger mein?
1824Wenn ich sechs Hengste zahlen kann,
1825Sind ihre Kräfte nicht die meine?
1826Ich renne zu und bin ein rechter Mann,
1827Als hätt’ ich vier und zwanzig Beine.
1828Drum frisch! laß alles Sinnen seyn,
23
1829Und g’rad’ mit in die Welt hinein.
1830Ich sag’ es dir: ein Kerl, der speculiert,
1831Ist wie ein Thier, auf einer Heide
1832Von einem bösen Geist im Kreis herum geführt,
1833Und rings umher liegt schöne grüne Weide.
∞Mephistopheles.
1834Wir gehen eben fort.
1835Was ist das für ein Marterort?
1836Was heißt das für ein Leben führen,
1837Sich und die Jungens ennüyieren?
1838Laß du das dem Herrn Nachbar Wanst!
1839Was willst du dich das Stroh zu dreschen plagen?
1840Das beste, was du wissen kannst,
1841Darfst du den Buben doch nicht sagen.
1842Gleich hör’ ich einen auf dem Gange!
∞Mephistopheles.
1844Der arme Knabe wartet lange,
1845Der darf nicht ungetröstet gehn.
1846Komm, gib mir deinen Rock und Mütze;
1847Die Maske muß mir köstlich stehn.
∞Er kleidet sich um.
1848Nun überlaß es meinem Witze!
1849Ich brauche nur ein Viertelstündchen Zeit;
1850Indessen mache dich zur schönen Fahrt bereit!
∞Faust ab.
∞Mephistopheles
∞in Fausts langem
Kleide.
1851Verachte nur Vernunft und Wissenschaft,
1852Des Menschen allerhöchste Kraft,
1853Laß nur in Blend- und Zauberwerken
1854Dich von dem Lügengeist bestärken,
1855So hab’ ich dich schon unbedingt –
1856Ihm hat das Schicksal einen Geist gegeben,
1857Der ungebändigt immer vorwärts dringt,
1858Und dessen übereiltes Streben
25
1859Der Erde Freuden überspringt.
1860Den schlepp’ ich durch das wilde Leben,
1861Durch flache Unbedeutenheit,
1862Er soll mir zappeln, starren, kleben,
1863Und seiner Unersättlichkeit
1864Soll Speis’ und Trank vor gier’gen Lippen schweben;
1865Er wird Erquickung sich umsonst erflehn,
1866Und hätt’ er sich auch nicht dem Teufel übergeben,
1867Er müßte doch zu Grunde gehn!
∞
Ein Schüler tritt auf.
∞Schüler.
1868Ich bin allhier erst kurze Zeit,
1869Und komme voll Ergebenheit,
1870Einen Mann zu sprechen und zu kennen,
1871Den alle mir mit Ehrfurcht nennen.
∞Mephistopheles.
1872Eure Höflichkeit erfreut mich sehr!
1873Ihr seht einen Mann wie andre mehr.
1874Habt ihr euch sonst schon umgethan?
∞Schüler.
1875Ich bitt’ euch, nehmt euch meiner an.
1876Ich komme mit allem guten Muth,
1877Leidlichem Geld und frischem Blut,
1878Meine Mutter wollte mich kaum entfernen,
1879Möchte gern ’was rechts hieraußen lernen.
∞Schüler.
1881Aufrichtig, möchte schon wieder fort:
1882In diesen Mauern, diesen Hallen,
1883Will es mir keineswegs gefallen.
1884Es ist ein gar beschränkter Raum,
1885Man sieht nichts grünes, keinen Baum,
1886Und in den Sälen, auf den Bänken,
1887Vergeht mir Hören, Sehn und Denken.
∞Mephistopheles.
1888Das kommt nur auf Gewohnheit an.
1889So nimmt ein Kind der Mutter Brust
1890Nicht gleich im Anfang willig an,
27
1891Doch bald ernährt es sich mit Lust.
1892So wird’s euch an der Weisheit Brüsten
1893Mit jedem Tage mehr gelüsten.
∞Schüler.
1894An ihrem Hals will ich mit Freuden hangen;
1895Doch sagt mir nur, wie kann ich hingelangen?
∞Schüler.
1898Ich wünschte recht gelehrt zu werden,
1899Und möchte gern, was auf der Erden
1900Und in den Himmel ist, erfassen,
1901Die Wissenschaft und die Natur.
∞Mephistopheles.
1902Da seyd ihr auf der rechten Spur,
1903Doch müßt ihr euch nicht zerstreuen lassen.
∞Schüler.
1904Ich bin dabey mit Seele und Leib;
1905Doch freylich würde mir behagen
28
1906Ein wenig Freyheit und Zeitvertreib
1907An schönen Sommerfeiertagen.
∞Mephistopheles.
1908Gebraucht der Zeit, sie geht so schnell von hinnen,
1909Doch Ordnung lehrt euch Zeit gewinnen.
1910Mein theurer Freund, ich rath’ euch drum
1911Zuerst Collegium Logicum.
1912Da wird der Geist auch wohl dressirt,
1913In Spanische Stiefeln eingeschnürt,
1914Daß er bedächtiger so fort an
1915Hinschleiche die Gedankenbahn,
1916Und nicht etwa die kreuz und quer
1917Irlichtelire hin und her.
1918Dann lehret man euch manchen Tag,
1919Daß, was ihr sonst auf einen Schlag
1920Getrieben, wie Essen und Trinken frey,
1921Eins! Zwey! Drey! dazu
nöthig sey.
1922Zwar ist’s mit der Gedanken-Fabrik
1923Wie mit einem Weber-Meisterstück,
1924Wo Ein Tritt tausend Fäden regt,
29
1925Die Schifflein herüber hinüber schießen,
1926Die Fäden ungesehen fließen,
1927Ein Schlag tausend Verbindungen schlägt:
1928Der Philosoph der tritt herein,
1929Und beweis’t euch, es müßt’ so seyn.
1930Das Erst’ wär’ so, das Zweyte so,
1931Und drum das Dritt’ und Vierte so;
1932Und wenn das Erst’ und Zweyt’ nicht wär’,
1933Das Dritt’ und Viert’ wär’ nimmermehr.
1934Das preisen die Schüler aller Orten,
1935Sind aber keine Weber geworden.
1936Wer will ’was lebendig’s erkennen und beschreiben,
1937Sucht erst den Geist heraus zu treiben,
1938Dann hat er die Theile in seiner Hand,
1939Fehlt leider! nur das geistige Band.
1940Encheiresin naturae nennt’s die
Chimie!
1941Spottet ihrer selbst, und weiß nicht wie.
∞Mephistopheles.
1943Das wird nächstens schon besser gehen,
1944Wenn ihr lernt alles reduciren
1945Und gehörig klassificiren.
∞Mephistopheles.
1948Nachher vor allen andern Sachen
1949Müßt ihr euch an die Metaphysik machen!
1950Da seht, daß ihr tiefsinnig faßt,
1951Was in des Menschen Hirn nicht paßt;
1952Für, was drein geht und nicht drein geht,
1953Ein prächtig Wort zu Diensten steht.
1954Doch vorerst dieses halbe Jahr
1955Nehmt ja der besten Ordnung wahr.
1956Fünf Stunden habt ihr jeden Tag;
1957Seyd drinne mit dem Glockenschlag!
1958Habt euch vorher wohl präparirt,
1959Paragraphos wohl einstudirt,
31
1960Damit ihr nachher besser seht,
1961Daß er nichts sagt, als was im Buche steht;
1962Doch euch des Schreibens ja befleißt,
1963Als dictirt’ euch der Heilig’ Geist!
∞Schüler.
1964Das sollt ihr mir nicht zweymal sagen!
1965Ich denke mir wie viel es nützt;
1966Denn, was man schwarz auf weiß besitzt,
1967Kann man getrost nach Hause tragen.
∞Mephistopheles.
1970Ich kann es euch so sehr nicht übel nehmen,
1971Ich weiß wie es um diese Lehre steht.
1972Es erben sich Gesetz’ und Rechte,
1973Wie eine ew’ge Krankheit, fort,
32
1974Sie schleppen von Geschlecht sich zum Geschlechte,
1975Und rücken sacht von Ort zu Ort.
1976Vernunft wird Unsinn, Wohlthat Plage;
1977Weh dir, daß du ein Enkel bist!
1978Vom Rechte, das mit uns geboren ist,
1979Von dem ist leider! nie die Frage.
∞Schüler.
1980Mein Abscheu wird durch euch vermehrt.
1981O glücklich der, den ihr belehrt!
1982Fast möcht’ ich nun Theologie studiren.
∞Mephistopheles.
1983Ich wünschte nicht euch irre zu führen.
1984Was diese Wissenschaft betrifft,
1985Es ist so schwer den falschen Weg zu meiden,
1986Es liegt in ihr so viel verborgnes Gift,
1987Und von der Arzeney ist’s kaum zu unterscheiden.
1988Am besten ist’s auch hier, wenn ihr nur Einen hört,
1989Und auf des Meisters Worte schwört.
33
1990Im Ganzen – haltet euch an Worte!
1991Dann geht ihr durch die sichre Pforte
1992Zum Tempel der Gewißheit ein.
∞Mephistopheles.
1994Schon gut! Nur muß man sich nicht allzu ängstlich
quälen,
1995Denn eben wo Begriffe fehlen,
1996Da stellt ein Wort zur rechten Zeit sich ein.
1997Mit Worten läßt sich trefflich streiten,
1998Mit Worten ein System bereiten,
1999An Worte läßt sich trefflich glauben,
2000Von einem Wort läßt sich kein Jota rauben.
∞Schüler.
2001Verzeiht, ich halt’ euch auf mit vielen Fragen,
2002Allein, ich muß euch noch bemüh’n.
2003Wollt ihr mir von der Medicin
2004Nicht auch ein kräftig Wörtchen sagen?
2005Drey Jahr’ ist eine kurze Zeit,
2006Und, Gott! das Feld ist gar zu weit.
34
2007Wenn man einen Fingerzeig nur hat,
2008Läßt sich’s schon eher weiter fühlen.
∞Mephistopheles
∞für sich.
2009Ich bin des trocknen Tons nun satt,
2010Muß wieder recht den Teufel spielen.
∞Laut.
2011Der Geist der Medicin ist leicht zu fassen;
2012Ihr durchstudirt die groß’ und kleine Welt,
2013Um es am Ende gehn zu lassen,
2014Wie’s Gott gefällt.
2015Vergebens daß ihr ringsum wissenschaftlich schweift,
2016Ein jeder lernt nur was er lernen kann.
2017Doch der den Augenblick ergreift,
2018Das ist der rechte Mann.
2019Ihr seyd noch ziemlich wohl gebaut,
2020An Kühnheit wird’s euch auch nicht fehlen,
2021Und wenn ihr euch nur selbst vertraut,
2022Vertrauen euch die andern Seelen.
2023Besonders lernt die Weiber führen;
2024Es ist ihr ewig Weh und Ach
35
2025So tausendfach
2026Aus Einem Puncte zu curiren,
2027Und wenn ihr halbweg ehrbar thut,
2028Dann habt ihr sie all’ unter’m Hut.
2029Ein Titel muß sie erst vertraulich machen,
2030Daß eure Kunst viel Künste übersteigt,
2031Zum Willkomm’ tappt ihr dann nach
allen Siebensachen,
2032Um die ein andrer viele Jahre streicht,
2033Versteht das Pülslein wohl zu drücken,
2034Und fasset sie, mit feurig schlauen Blicken,
2035Wohl um die schlanke Hüfte frey,
2036Zu seh’n, wie fest geschnürt sie sey.
∞Schüler.
2040Ich schwör’ euch zu, mir ist’s als wie ein Traum.
2041Dürft’ ich euch wohl ein andermal beschweren,
2042Von eurer Weisheit auf den Grund zu hören?
∞Schüler.
2044Ich kann unmöglich wieder gehn,
2045Ich muß euch noch mein Stammbuch überreichen.
2046Gönn’ eure Gunst mir dieses Zeichen!
∞Er schreibt und
gibt’s.
∞Macht’s ehrerbiethig zu und
empfiehlt sich.
37
∞Mephistopheles.
2049Folg’ nur dem alten Spruch und meiner Muhme
der Schlange,
2050Dir wird gewiß einmal bey deiner Gottähnlichkeit bange!
∞Faust tritt auf.
∞Mephistopheles.
2051Wohin es dir gefällt.
2052Wir sehn die kleine, dann die große Welt.
2053Mit welcher Freude, welchem Nutzen,
2054Wirst du den Cursum durchschmarutzen!
∞Faust.
2055Allein mit meinem langen Bart
2056Fehlt mir die leichte Lebensart.
2057Es wird mir der Versuch nicht glücken;
2058Ich wußte nie mich in die Welt zu schicken.
2059Vor andern fühl’ ich mich so klein;
2060Ich werde stets verlegen seyn.
∞Mephistopheles.
2061Mein guter Freund, das wird sich alles geben,
2062Sobald du dir vertraust, sobald weißt du zu leben.
∞Mephistopheles.
2065Wir breiten nur den Mantel aus,
2066Der soll uns durch die Lüfte tragen.
2067Du nimmst bey diesem kühnen Schritt
2068Nur keinen großen Bündel mit.
2069Ein Bißchen Feuerluft, die ich bereiten werde,
2070Hebt uns behend von dieser Erde.
2071Und sind wir leicht, so geht es schnell hinauf;
2072Ich gratulire dir zum neuen Lebenslauf.
39
∞
40
41
42
46
47
48
50
52
53
54
55
56
57
58
60
62
∞Auerbachs Keller in Leipzig.
∞Zeche lustiger
Gesellen.
∞Frosch.
2073
Will keiner trinken? keiner lachen?
2074Ich will euch lehren Gesichter machen!
2075Ihr seyd ja heut wie nasses Stroh,
2076Und brennt sonst immer lichterloh.
∞Brander.
2077Das liegt an dir; du bringst ja nichts herbey,
2078Nicht eine Dummheit, keine Sauerey.
∞Siebel.
2081Zur Thür hinaus wer sich entzweyt!
2082Mit offner Brust singt Runda, sauft und schreyt!
2083Auf! Holla! ho!
∞Brander.
2092Ein garstig Lied! Pfuy! ein politisch Lied
2093Ein leidig Lied! Dankt Gott mit jedem Morgen,
2094Daß ihr nicht braucht für’s Röm’sche Reich
zu sorgen!
2095Ich halt’ es wenigstens für reichlichen Gewinn,
2096Daß ich nicht Kaiser oder Kanzler bin.
2097Doch muß auch uns ein Oberhaupt nicht fehlen;
2098Wir wollen einen Papst erwählen.
2099Ihr wißt, welch eine Qualität
2100Den Ausschlag gibt, den Mann erhöht.
∞Siebel.
2108Ja, singe, singe nur, und lob’ und rühme sie;
2109Ich will zu meiner Zeit schon lachen.
2110Sie hat mich angeführt, dir wird sie’s auch so
machen.
2111Zum Liebsten sey ein Kobold ihr bescheert,
43
2112Der mag mit ihr auf einem Kreuzweg schäkern;
2113Ein alter Bock, wenn er vom Blocksberg kehrt,
2114Mag im Galopp noch gute Nacht ihr meckern!
2115Ein braver Kerl von echtem Fleisch und Blut,
2116Ist für die Dirne viel zu gut.
2117Ich will von keinem Gruße wissen,
2118Als ihr die Fenster eingeschmissen!
∞Brander
∞auf den Tisch
schlagend.
2119Paßt auf! paßt auf! Gehorchet mir!
2120Ihr Herrn gesteht, ich weiß zu leben,
2121Verliebte Leute sitzen hier,
2122Und diesen muß, nach Standsgebühr,
2123Zur guten Nacht ich was zum Besten geben.
2124Gebt Acht! Ein Lied vom neu’sten Schnitt!
2125Und singt den Rundreim kräftig mit.
∞Er singt.
∞Brander.
∞Brander.
∞Siebel.
2150Wie sich die platten Bursche freuen!
2151Es ist mir eine rechte Kunst,
2152Den armen Ratten Gift zu streuen!
∞Altmayer.
2154Der Schmerbauch mit der kahlen Platte!
2155Das Unglück macht ihn zahm und mild;
2156Er sieht in der geschwollnen Ratte
2157Sein ganz natürlich Ebenbild.
∞Mephistopheles.
2158Ich muß dich nun vor allen Dingen
2159In lustige Gesellschaft bringen,
2160Damit du siehst, wie leicht sich’s leben läßt.
2161Dem Volke hier wird jeder Tag ein Fest.
2162Mit wenig Witz und viel Behagen
2163Dreht jeder sich im engen Zirkeltanz,
2164Wie junge Katzen mit dem Schwanz.
2165Wenn sie nicht über Kopfweh klagen,
2166So lang’ der Wirth nur weiter borgt,
2167Sind sie vergnügt und unbesorgt.
∞Brander.
2168Die kommen eben von der Reise,
2169Man sieht’s an ihrer wunderlichen Weise;
2170Sie sind nicht eine Stunde hier.
∞Frosch.
2171Wahrhaftig du hast Recht! Mein Leipzig lob’ ich mir!
2172Es ist ein klein Paris, und bildet seine Leute.
∞Frosch.
2174Laß mich nur gehn; bey einem vollen Glase,
2175Zieh’ ich, wie einen Kinderzahn,
2176Den Burschen leicht die Würmer aus der Nase.
2177Sie scheinen mir aus einem edlen Haus,
2178Sie sehen stolz und unzufrieden aus.
∞Mephistopheles
∞zu Faust.
2181Den Teufel spürt das Völkchen nie,
2182Und wenn er sie bey’m Kragen hätte.
∞Siebel.
2183Viel Dank zum Gegengruß.
∞Leise, Mephistopheles von
der Seite ansehend.
2184Was hinkt der Kerl auf Einem Fuß?
∞Mephistopheles.
2185Ist es erlaubt uns auch zu euch zu setzen?
2186Statt eines guten Trunks, den man nicht haben kann,
2187Soll die Gesellschaft uns ergetzen.
∞Frosch.
2189Ihr seyd wohl spät von Rippach aufgebrochen?
2190Habt ihr mit Herren Hans noch erst zu
Nacht gespeis’t?
∞Mephistopheles.
2191Heut sind wir ihn vorbey gereis’t;
2192Wir haben ihn das letztemal gesprochen.
49
2193Von seinen Vettern wußt’ er viel zu sagen,
2194Viel Grüße hat er uns an jeden aufgetragen.
∞Er neigt sich gegen
Frosch.
∞Mephistopheles.
2197Wenn ich nicht irrte, hörten wir
2198Geübte Stimmen Chorus singen?
2199Gewiß, Gesang muß trefflich hier
2200Von dieser Wölbung wieder klingen!
∞Brander.
2219Vergeßt nur nicht dem Schneider einzuschärfen,
2220Daß er mir auf’s genauste mißt,
2221Und daß, so lieb sein Kopf ihm ist,
2222Die Hosen keine Falten werfen!
∞Mephistopheles.
2223In Sammet und in Seide
2224War er nun angethan,
2225Hatte Bänder auf dem Kleide,
2226Hatt’ auch ein Kreuz daran,
2227Und war sogleich Minister,
2228Und hatt’ einen großen Stern.
2229Da wurden seine Geschwister
2230Bey Hof’ auch große Herrn.
∞Mephistopheles.
2245Ich tränke gern ein Glas, die Freyheit hoch zu
ehren,
2246Wenn eure Weine nur ein Bißchen besser wären.
∞Mephistopheles.
2248Ich fürchte nur der Wirth beschweret sich,
2249Sonst gäb’ ich diesen werthen Gästen
2250Aus unserm Keller ’was zum Besten.
∞Frosch.
2252Schafft ihr ein gutes Glas, so wollen wir euch
loben.
2253Nur gebt nicht gar zu kleine Proben;
2254Denn wenn ich judiciren soll,
2255Verlang’ ich auch das Maul recht voll.
∞Frosch.
2264Gut, wenn ich wählen soll, so will ich Rheinwein haben.
2265Das Vaterland verleiht die allerbesten Gaben.
∞Mephistopheles
∞indem er an dem Platz,
wo Frosch sitzt, ein Loch in den Tischrand bohrt.
2266Verschafft ein wenig Wachs, die Pfropfen gleich zu
machen.
∞Mephistopheles bohrt,
einer hat indessen die Wachspfropfen gemacht und verstopft.
∞Brander.
2270Man kann nicht stets das Fremde meiden,
2271Das Gute liegt uns oft so fern.
2272Ein echter Deutscher Mann mag keinen Franzen leiden,
2273Doch ihre Weine trinkt er gern.
∞Siebel
∞indem sich Mephistopheles
seinem Platze nähert.
2274Ich muß gestehn, den sauren mag ich nicht,
2275Gebt mir ein Glas vom echten süßen!
∞Altmayer.
2277Nein, Herren, seht mir in’s Gesicht!
2278Ich seh’ es ein, ihr habt uns nur zum Besten.
∞Mephistopheles.
2279Ey! Ey! Mit solchen edlen Gästen
2280Wär’ es ein Bißchen viel gewagt.
2281Geschwind! Nur g’rad’ heraus gesagt!
2282Mit welchem Weine kann ich dienen?
∞Nachdem die Löcher alle
gebohrt und verstopft sind,
∞Mephistopheles
∞mit seltsamen
Geberden.
2284Trauben trägt der Weinstock!
2285Hörner der Ziegenbock;
2286Der Wein ist saftig, Holz die Reben,
2287Der hölzerne Tisch kann Wein auch geben.
2288Ein tiefer Blick in die Natur!
2289Hier ist ein Wunder glaubet nur!
2290Nun zieht die Pfropfen und genießt.
∞Alle
∞indem sie die Pfropfen
ziehen, und jedem der verlangte Wein in’s Glas läuft.
2291O schöner Brunnen, der uns fließt!
∞Sie trinken
wiederhohlt.
∞Siebel
∞trinkt unvorsichtig, der
Wein fließt auf die Erde, und wird zur Flamme.
2299Helft! Feuer! helft! Die Hölle brennt!
∞Mephistopheles
∞die Flamme
besprechend.
2300Sey ruhig, freundlich Element!
59
∞Zu dem Gesellen.
2301Für dießmal war es nur ein Tropfen Fegefeuer.
∞Siebel.
2302Was soll das seyn? Wart! ihr bezahlt es theuer!
2303Es scheinet, daß ihr uns nicht kennt.
∞Altmayer
∞zieht einen Pfropf aus
dem Tisch, es springt ihm Feuer entgegen.
2311Ich brenne! ich brenne!
∞Sie ziehen die Messer und
gehn auf Mephistopheles los.
∞Mephistopheles
∞mit ernsthafter
Geberde.
2313Falsch Gebild und Wort
2314Verändern Sinn und Ort!
2315Seyd hier und dort!
∞Sie stehn erstaunt und sehn
einander an.
61
∞Er faßt Siebeln bey
der Nase, die andern thun es wechselseitig und heben die
Messer.
∞Mephistopheles
∞wie oben.
2320Irrthum, laß los der Augen Band!
2321Und merkt euch, wie der Teufel spaße.
∞Er verschwindet mit
Faust, die Gesellen fahren aus einander.
∞Altmayer.
2324Es war ein Schlag, der ging durch alle Glieder!
2325Schafft einen Stuhl, ich sinke nieder.
63
∞
66
69
70
72
73
74
75
76
77
79
82
∞Hexenküche.
∞Auf einem niedrigen
Herde steht ein großer Kessel über dem Feuer. In dem Dampfe, der
davon in die Höhe steigt, zeigen sich verschiedne Gestalten. Eine
Meerkatze sitzt bey dem Kessel und
schäumt ihn, und sorgt, daß er nicht überläuft. Der Meerkater
mit den Jungen sitzt darneben und wärmt sich. Wände und Decke
sind mit dem seltsamsten Hexenhausrath ausgeschmückt.
∞Faust.
Mephistopheles.
∞Faust.
2337
Mir widersteht das tolle Zauberwesen!
2338Versprichst du mir, ich soll genesen,
2339In diesem Wust von Raserey?
2340Verlang’ ich Rath von einem alten Weibe?
64
2341Und schafft die Sudelköcherey
2342Wohl dreyßig Jahre mir vom Leibe?
2343Weh mir, wenn du nichts bessers weißt!
2344Schon ist die Hoffnung mir verschwunden.
2345Hat die Natur und hat ein edler Geist
2346Nicht irgend einen Balsam ausgefunden?
∞Mephistopheles.
2347Mein Freund, nun sprichst du wieder klug!
2348Dich zu verjüngen, gibt’s auch ein natürlich Mittel;
2349Allein es steht in einem andern Buch,
2350Und ist ein wunderlich Kapitel.
∞Mephistopheles.
2351Gut! Ein Mittel, ohne Geld
2352Und Arzt und Zauberey zu haben:
2353Begib dich gleich hinaus auf’s Feld,
2354Fang’ an zu hacken und zu graben,
2355Erhalte dich und deinen Sinn
65
2356In einem ganz beschränkten Kreise,
2357Ernähre dich mit ungemischter Speise,
2358Leb’ mit dem Vieh als Vieh, und acht’ es nicht für
Raub,
2359Den Acker, den du erndest, selbst zu düngen;
2360Das ist das beste Mittel, glaub’!
2361Auf achtzig Jahr dich zu verjüngen.
∞Faust.
2362Das bin ich nicht gewöhnt, ich kann mich nicht
bequemen,
2363Den Spaten in die Hand zu nehmen,
2364Das enge Leben steht mir gar nicht an.
∞Mephistopheles.
2365So muß denn doch die Hexe dran.
∞Die Thiere
erblickend.
2378Sieh, welch ein zierliches Geschlecht!
2379Das ist die Magd! Das ist der Knecht!
∞Zu den Thieren.
2380Es scheint die Frau ist nicht zu Hause?
∞Mephistopheles.
2388Nein, ein Discurs wie dieser da,
2389Ist g’rade der, den ich am liebsten führe.
∞Der
Kater
∞macht sich herbey und
schmeichelt dem Mephistopheles.
2394O würfle nur gleich,
2395Und mache mich reich,
67
2396Und laß mich gewinnen!
2397Gar schlecht ist’s bestellt,
2398Und wär’ ich bey Geld,
2399So wär’ ich bey Sinnen.
∞Mephistopheles.
2400Wie glücklich würde sich der Affe schätzen,
2401Könnt’ er nur auch in’s Lotto setzen!
∞Indessen haben die
jungen Meerkätzchen mit einer großen Kugel gespielt, und rollen sie
hervor.
∞Der
Kater.
2402Das ist die Welt;
2403Sie steigt und fällt
2404Und rollt beständig;
2405Sie klingt wie Glas;
2406Wie bald bricht das?
2407Ist hohl inwendig.
2408Hier glänzt sie sehr,
2409Und hier noch mehr,
2410Ich bin lebendig!
2411Mein lieber Sohn,
2412Halt dich davon!
68
2413Du mußt sterben!
2414Sie ist von Thon,
2415Es gibt Scherben.
∞Der
Kater
∞hohlt es herunter.
2417Wärst du ein Dieb,
2418Wollt’ ich dich gleich erkennen.
∞Er läuft zur Kätzinn und
läßt sie durchsehen.
2419Sieh durch das Sieb!
2420Erkennst du den Dieb,
2421Und darfst ihn nicht nennen?
∞Er nöthigt den Mephistopheles
zu sitzen.
∞Faust,
∞welcher diese Zeit über
vor einem Spiegel gestanden, sich ihm bald genähert, bald sich
von ihm entfernt hat.
2429Was seh’ ich? Welch ein himmlisch Bild
2430Zeigt sich in diesem Zauberspiegel!
2431O Liebe, leihe mir den schnellsten deiner Flügel,
2432Und führe mich in ihr Gefild.
2433Ach wenn ich nicht auf dieser Stelle bleibe,
2434Wenn ich es wage nah’ zu gehn,
2435Kann ich sie nur als wie im Nebel sehn! –
2436Das schönste Bild von einem Weibe!
2437Ist’s möglich, ist das Weib so schön?
2438Muß ich an diesem hingestreckten Leibe
2439Den Inbegriff von allen Himmeln sehn?
2440So etwas findet sich auf Erden?
∞Mephistopheles.
2441Natürlich, wenn ein Gott sich erst sechs Tage plagt,
2442Und selbst am Ende Bravo sagt,
2443Da mußt’ es ’was gescheidtes werden.
2444Für dießmal sieh dich immer satt;
2445Ich weiß dir so ein Schätzchen auszuspüren,
2446Und selig wer das gute Schicksal hat,
2447Als Bräutigam sie heim zu führen!
∞Faust sieht
immerfort in den Spiegel. Mephistopheles, sich in
den Sessel dehnend und mit dem Wedel spielend, fährt fort zu
sprechen.
2448Hier sitz’ ich wie der König auf dem Throne,
2449Den Zepter halt’ ich hier, es fehlt nur noch die
Krone.
∞Die
Thiere,
∞welche bisher allerley
wunderliche Bewegungen durch einander gemacht haben, bringen dem
Mephistopheles eine zerbrochne Krone mit großem
Geschrey.
2450O sey doch so gut,
2451Mit Schweiß und mit Blut
2452Die Krone zu leimen!
71
∞Sie gehn
ungeschickt mit der Krone um und zerbrechen sie in
zwey Stücke, mit welchen sie herum springen.
2453Nun ist es geschehn!
2454Wir reden und sehn,
2455Wir hören und reimen;
∞Mephistopheles
∞in obiger Stellung.
2463Nun wenigstens muß man bekennen,
2464Daß es aufrichtige Poeten sind.
∞Der Kessel, welchen
die Kätzinn bisher außer Acht gelassen, fängt an überzulaufen; es
entsteht eine große Flamme, welche zum Schorstein hinausschlägt. Die Hexe kommt durch die Flamme
mit entsetzlichem Geschrey herunter gefahren.
∞Die
Hexe.
2465Au! Au! Au! Au!
2466Verdammtes Thier! verfluchte Sau!
2467Versäumst den Kessel, versengst die Frau!
2468Verfluchtes Thier!
∞Faust und Mephistopheles
erblickend.
2469Was ist das hier?
2470Wer seyd ihr hier?
2471Was wollt ihr da?
2472Wer schlich sich ein?
2473Die Feuerpein
2474Euch in’s Gebein!
∞Sie fährt mit dem
Schaumlöffel in den Kessel, und spritzt Flammen nach Faust,
Mephistopheles und den Thieren. Die Thiere winseln.
∞Mephistopheles,
∞welcher den Wedel, den
er in der Hand hält, umkehrt, und unter die Gläser und Töpfe
schlägt.
2475Entzwey! entzwey!
2476Da liegt der Brey,
2477Da liegt das Glas!
2478Es ist nur Spaß,
2479Der Tact, du Aas,
2480Zu deiner Melodey!
∞Indem die Hexe voll Grimm
und Entsetzen zurücktritt.
2481Erkennst du mich, Gerippe! Scheusal du!
2482Erkennst du deinen Herrn und Meister?
2483Was hält mich ab, so schlag’ ich zu,
2484Zerschmettre dich und deine Katzen-Geister!
2485Hast du vor’m rothen Wamms nicht mehr Respect?
2486Kannst du die Hahnenfeder nicht erkennen?
2487Hab’ ich dieß Angesicht versteckt?
2488Soll ich mich etwa selber nennen?
∞Die
Hexe.
2489O Herr, verzeiht den rohen Gruß!
2490Seh’ ich doch keinen Pferdefuß.
2491Wo sind denn eure beyden Raben?
∞Mephistopheles.
2492Für dießmal kommst du so davon;
2493Denn freylich ist es eine Weile schon,
2494Daß wir uns nicht gesehen haben.
2495Auch die Cultur, die alle Welt beleckt,
2496Hat auf den Teufel sich erstreckt;
2497Das Nordische Phantom ist nun nicht mehr zu schauen,
2498Wo siehst du Hörner, Schweif und Klauen?
2499Und was den Fuß betrifft, den ich nicht missen kann,
2500Der würde mir bey Leuten schaden;
2501Darum bedien’ ich mich, wie mancher junge Mann,
2502Seit vielen Jahren falscher Waden.
∞Die
Hexe
∞tanzend.
2503Sinn und Verstand verlier’ ich schier,
2504Seh’ ich den Junker Satan wieder hier!
∞Mephistopheles.
2507Er ist schon lang’ in’s Fabelbuch geschrieben;
2508Allein die Menschen sind nichts besser dran,
2509Den Bösen sind sie los, die Bösen sind geblieben.
2510Du nennst mich Herr Baron, so ist die Sache gut;
2511Ich bin ein Cavalier, wie andre Cavaliere.
2512Du zweifelst nicht an meinem edlen Blut;
2513Sieh her, das ist das Wapen, das ich führe.
∞Er macht eine unanständige
Geberde.
∞Die
Hexe
∞lacht unmäßig.
2514Ha! Ha! Das ist in eurer Art!
2515Ihr seyd ein Schelm, wie ihr nur immer war’t!
∞Mephistopheles
∞zu Faust.
2516Mein Freund, das lerne wohl verstehn!
2517Dieß ist die Art mit Hexen umzugehn.
∞Mephistopheles.
2519Ein gutes Glas von dem bekannten Saft!
2520Doch muß ich euch um’s ält’ste bitten;
2521Die Jahre doppeln seine Kraft.
∞Die
Hexe.
2522Gar gern! Hier hab’ ich eine Flasche,
2523Aus der ich selbst zuweilen nasche,
2524Die auch nicht mehr im mind’sten stinkt;
2525Ich will euch gern ein Gläschen geben.
∞Leise.
2526Doch wenn es dieser Mann unvorbereitet trinkt,
2527So kann er, wißt ihr wohl, nicht eine Stunde leben.
∞Mephistopheles.
2528Es ist ein guter Freund, dem es gedeihen soll;
2529Ich gönn’ ihm gern das beste deiner Küche.
2530Zieh deinen Kreis, sprich deine Sprüche,
2531Und gib ihm eine Tasse voll!
∞Die Hexe mit seltsamen
Geberden, zieht einen Kreis und stellt wunderbare Sachen hinein;
indessen fangen die Gläser an zu klingen, die Kessel zu tönen, und
machen Musik. Zuletzt bringt sie ein großes Buch, stellt die
Meerkatzen in den Kreis, die ihr zum Pult dienen und die
Fackel halten müssen. Sie winkt Fausten, zu ihr zu treten.
∞Faust
∞zu Mephistopheles.
2532Nein! sage mir, was soll das werden?
2533Das tolle Zeug, die rasenden Geberden,
2534Der abgeschmackteste Betrug,
2535Sind mir bekannt, verhaßt genug.
∞Mephistopheles.
2536Ey Possen! Das ist nur zum Lachen;
2537Sey nur nicht ein so strenger Mann!
78
2538Sie muß als Arzt ein Hokuspokus machen,
2539Damit der Saft dir wohl gedeihen kann.
∞Er nöthigt Fausten in den Kreis zu
treten. Die Hexe mit großer Emphase fängt an aus dem Buche
zu declamiren.
2540Du mußt verstehn!
2541Aus Eins mach’ Zehn,
2542Und Zwey laß gehn,
2543Und Drey mach’ gleich,
2544So bist du reich.
2545Verlier’ die Vier,
2546Aus Fünf und Sechs,
2547So sagt die Hex’,
2548Mach’ Sieben und Acht,
2549So ist’s vollbracht:
2550Und Neun ist Eins,
2551Und Zehn ist keins.
2552Das ist das Hexen-Einmal-Eins!
∞Mephistopheles.
2554Das ist noch lange nicht vorüber,
2555Ich kenn’ es wohl, so klingt das ganze Buch;
2556Ich habe manche Zeit damit verloren,
2557Denn ein vollkommner Widerspruch
2558Bleibt gleich geheimnißvoll für Kluge wie
für Thoren.
2559Mein Freund, die Kunst ist alt und neu.
2560Es war die Art zu allen Zeiten,
2561Durch Drey und Eins, und Eins und Drey
2562Irrthum statt Wahrheit zu verbreiten.
2563So schwätzt und lehrt man ungestört!
2564Wer will sich mit den Narr’n befassen?
2565Gewöhnlich glaubt der Mensch, wenn er nur Worte
hört,
2566Es müsse sich dabey doch auch was denken lassen.
∞Faust.
2573Was sagt sie uns für Unsinn vor?
2574Es wird mir gleich der Kopf zerbrechen.
2575Mich dünkt, ich hör’ ein ganzes Chor
2576Von hundert tausend Narren sprechen.
∞Mephistopheles.
2577Genug, genug, o treffliche Sybille!
2578Gib deinen Trank herbey, und fülle
2579Die Schale rasch bis an den Rand hinan;
2580Denn meinem Freund wird dieser Trunk nicht schaden:
2581Er ist ein Mann von vielen Graden,
2582Der manchen guten Schluck gethan.
∞
Die Hexe mit vielen
Ceremonien, schenkt den Trank in eine Schale; wie sie Faust an den
Mund bringt, entsteht eine leichte Flamme.
81
∞Mephistopheles.
2583Nur frisch hinunter! Immer zu!
2584Es wird dir gleich das Herz erfreuen.
2585Bist mit dem Teufel du und du,
2586Und willst dich vor der Flamme scheuen?
∞
Die Hexe lös’t den Kreis.
∞
Faust tritt heraus.
∞Mephistopheles
∞zur Hexe.
2589Und kann ich dir was zu Gefallen thun,
2590So darfst du mir’s nur auf Walpurgis sagen.
∞Die
Hexe.
2591Hier ist ein Lied! wenn ihr’s zuweilen singt,
2592So werdet ihr besondre Wirkung spüren.
∞Mephistopheles
∞zu Faust.
2593Komm nur geschwind und laß dich führen,
2594Du mußt nothwendig transpiriren,
2595Damit die Kraft durch inn- und äußres dringt.
2596Den edlen Müßiggang lehr’ ich hernach dich schätzen,
2597Und bald empfindest du mit innigem Ergetzen,
2598Wie sich Cupido regt und hin und wieder springt.
83
∞
84
86
88
∞Straße.
∞
Faust. Margarethe vorüber
gehend.
∞Sie macht sich los und
ab.
∞Faust.
2609Bey’m Himmel, dieses Kind ist schön!
2610So etwas hab’ ich nie gesehn.
2611Sie ist so sitt- und tugendreich,
2612Und etwas schnippisch doch zugleich.
2613Der Lippe Roth, der Wange Licht,
2614Die Tage der Welt vergeß’ ich’s nicht!
2615Wie sie die Augen niederschlägt,
2616Hat tief sich in mein Herz geprägt;
2617Wie sie kurz angebunden war,
2618Das ist nun zum Entzücken gar!
∞
Mephistopheles tritt auf.
∞Mephistopheles.
2621Da die? Sie kam von ihrem Pfaffen,
2622Der sprach sie aller Sünden frey;
2623Ich schlich mich hart am Stuhl vorbey.
2624Es ist ein gar unschuldig Ding,
2625Das eben für nichts zur Beichte ging;
2626Über die hab’ ich keine Gewalt!
∞Mephistopheles.
2628Du sprichst ja wie Hans Liederlich,
2629Der begehrt jede liebe Blum’ für sich,
85
2630Und dünkelt ihm, es wär’ kein’ Ehr’
2631Und Gunst die nicht zu pflücken wär’;
2632Geht aber doch nicht immer an.
∞Faust.
2633Mein Herr Magister lobesan,
2634Laß er mich mit dem Gesetz in Frieden!
2635Und das sag’ ich ihm kurz und gut,
2636Wenn nicht das süße junge Blut
2637Heut’ Nacht in meinen Armen ruht,
2638So sind wir um Mitternacht geschieden.
∞Mephistopheles.
2639Bedenkt was gehn und stehen mag!
2640Ich brauche wenigstens vierzehn Tag’
2641Nur die Gelegenheit auszuspüren.
∞Faust.
2642Hätt’ ich nur sieben Stunden Ruh,
2643Brauchte den Teufel nicht dazu,
2644So ein Geschöpfchen zu verführen.
∞Mephistopheles.
2645Ihr sprecht schon fast wie ein Franzos.
2646Drum bitt’ ich, laßt’s euch nicht verdrießen.
2647Was hilft’s nur gr’ade zu genießen?
2648Die Freud’ ist lange nicht so groß,
2649Als wenn ihr erst herauf, herum,
2650Durch allerley Brimborium,
2651Das Püppchen geknetet und zugericht’,
2652Wie’s lehret manche Welsche Geschicht’.
∞Mephistopheles.
2654Jetzt ohne Schimpf und ohne Spaß:
2655Ich sag’ euch, mit dem schönen Kind
2656Geht’s ein- vor allemal nicht geschwind.
2657Mit Sturm ist da nichts einzunehmen;
2658Wir müssen uns zur List bequemen.
∞Faust.
2659Schaff’ mir etwas vom Engelsschatz!
2660Führ’ mich an ihren Ruheplatz!
87
2661Schaff’ mir ein Halstuch von ihrer Brust,
2662Ein Strumpfband meiner Liebeslust!
∞Mephistopheles.
2663Damit ihr seht, daß ich eurer Pein
2664Will förderlich und dienstlich seyn,
2665Wollen wir keinen Augenblick verlieren,
2666Will euch noch heut in ihr Zimmer führen.
∞Mephistopheles.
2667Nein!
2668Sie wird bey einer Nachbarinn seyn.
2669Indessen könnt ihr ganz allein
2670An aller Hoffnung künft’ger Freuden
2671In ihrem Dunstkreis satt euch weiden.
∞ab.
∞Mephistopheles.
2674Gleich schenken? Das ist brav! Da wird er reüssiren!
–
2675Ich kenne manchen schönen Platz
2676Und manchen alt vergrabnen Schatz,
2677Ich muß ein Bißchen revidiren.
∞ab.
∞
92
94
95
∞Abend.
∞Ein kleines
reinliches Zimmer.
∞Margarethe
∞ihre Zöpfe flechtend und
aufbindend.
2678Ich gäb’ was drum, wenn ich nur wüßt’,
2679Wer heut der Herr gewesen ist!
2680Er sah gewiß recht wacker aus,
2681Und ist aus einem edlen Haus,
89
2682Das konnt’ ich ihm an der Stirne lesen –
2683Er wär’ auch sonst nicht so keck gewesen.
∞ab.
∞Mephistopheles.
Faust.
∞ab.
∞Faust
∞rings aufschauend.
2687Willkommen süßer Dämmerschein,
2688Der du dieß Heiligthum durchwebst!
2689Ergreif mein Herz, du süße Liebespein,
2690Die du vom Thau der Hoffnung schmachtend lebst!
2691Wie athmet rings Gefühl der Stille,
2692Der Ordnung, der Zufriedenheit,
90
2693In dieser Armuth welche Fülle!
2694In diesem Kerker welche Seligkeit!
∞Er wirft sich auf den
ledernen Sessel am Bette.
2695O nimm mich auf, der du die Vorwelt schon
2696Bey Freud’ und Schmerz in offnen Arm empfangen!
2697Wie oft, ach! hat an diesem Väter-Thron
2698Schon eine Schaar von Kindern rings gehangen!
2699Vielleicht hat, dankbar für den heil’gen Christ,
2700Mein Liebchen hier, mit vollen Kinderwangen,
2701Dem Ahnherrn fromm die welke Hand geküßt.
2702Ich fühl’, o Mädchen, deinen Geist
2703Der Füll’ und Ordnung um mich säuseln,
2704Der mütterlich dich täglich unterweis’t,
2705Den Teppich auf den Tisch dich reinlich breiten heißt,
2706Sogar den Sand zu deinen Füßen kräuseln.
2707O liebe Hand! so göttergleich!
2708Die Hütte wird durch dich ein Himmelreich.
2709Und hier!
∞Er hebt einen
Bettvorhang auf.
91
2709Was faßt mich für ein Wonnegraus!
2710Hier möcht’ ich volle Stunden säumen.
2711Natur! Hier bildetest in leichten Träumen
2712Den eingebornen Engel aus;
2713Hier lag das Kind, mit warmen Leben
2714Den zarten Busen angefüllt,
2715Und hier mit heilig reinem Weben
2716Entwirkte sich das Götterbild!
2717Und du! Was hat dich hergeführt?
2718Wie innig fühl’ ich mich gerührt!
2719Was willst du hier? Was wird das Herz
dir schwer?
2720Armsel’ger Faust! ich kenne dich nicht mehr.
∞Mephistopheles.
2731Hier ist ein Kästchen leidlich schwer,
2732Ich hab’s wo anders hergenommen.
2733Stellt’s hier nur immer in den Schrein;
2734Ich schwör’ euch, ihr vergehn die Sinnen,
2735Ich that euch Sächelchen hinein,
2736Um eine andre zu gewinnen.
2737Zwar Kind ist Kind und Spiel ist Spiel.
∞Mephistopheles.
2738Fragt ihr viel?
2739Meint ihr vielleicht den Schatz zu wahren?
2740Dann rath’ ich eurer Lüsternheit
2741Die liebe schöne Tageszeit,
2742Und mir die weitre Müh’ zu sparen.
93
2743Ich hoff’ nicht daß ihr geitzig seyd!
2744Ich kratz’ den Kopf, reib’ an den Händen –
∞Er stellt das
Kästchen in den Schrein und drückt das Schloß wieder zu.
2745Nur fort, geschwind –
2746Um euch das süße junge Kind
2747Nach Herzens Wunsch und Will’ zu wenden;
2748Und ihr seht drein,
2749Als solltet ihr in den Hörsal hinein,
2750Als stünd’ leibhaftig vor euch da
2751Physik und Metaphysika!
2752Nur fort –
∞ab.
∞Margarethe
∞mit einer Lampe.
2753Es ist so schwül, so dumpfig hie,
∞Sie macht das Fenster
auf.
2754Und ist doch eben so warm nicht draus.
2755Es wird mir so, ich weiß nicht wie –
2756Ich wollt’, die Mutter käm’ nach Haus.
2757Mir läuft ein Schauer über’n Leib –
2758Bin doch ein thöricht furchtsam Weib!
∞Sie fängt an zu singen,
indem sie sich auszieht.
2759Es war ein König in Tule
2760Gar treu bis an das Grab,
2761Dem sterbend seine Bule
2762Einen goldnen Becher gab.
2763Es ging ihm nichts darüber,
2764Er leert’ ihn jeden Schmaus;
2765Die Augen gingen ihm über,
2766So oft er trank daraus.
2767Und als er kam zu sterben,
2768Zählt’ er seine Städt’ im Reich,
2769Gönnt’ alles seinem Erben,
2770Den Becher nicht zugleich.
2771Er saß beym Königsmahle,
2772Die Ritter um ihn her,
2773Auf hohem Väter-Saale,
2774Dort auf dem Schloß am Meer.
2775Dort stand der alte Zecher,
2776Trank letzte Lebensgluth,
2777Und warf den heiligen Becher
2778Hinunter in die Fluth.
2779Er sah ihn stürzen, trinken
2780Und sinken tief in’s Meer,
2781Die Augen thäten ihm sinken,
2782Trank nie einen Tropfen mehr.
∞Sie eröffnet den
Schrein, ihre Kleider einzuräumen, und erblickt das
Schmuckkästchen.
2783Wie kommt das schöne Kästchen hier herein?
2784Ich schloß doch ganz gewiß den Schrein.
2785Es ist doch wunderbar! Was mag wohl drinne seyn?
2786Vielleicht bracht’s jemand als ein Pfand,
2787Und meine Mutter lieh darauf?
2788Da hängt ein Schlüsselchen am Band,
2789Ich denke wohl ich mach’ es auf!
96
2790Was ist das? Gott im Himmel! schau,
2791So was hab’ ich mein’ Tage nicht gesehn!
2792Ein Schmuck! Mit dem könnt’ eine Edelfrau
2793Am höchsten Feiertage gehn!
2794Wie sollte mir die Kette stehn?
2795Wem mag die Herrlichkeit gehören?
∞Sie putzt sich damit
auf und tritt vor den Spiegel.
2796Wenn nur die Ohrring’ meine wären!
2797Man sieht doch gleich ganz anders drein.
2798Was hilft euch Schönheit, junges Blut?
2799Das ist wohl alles schön und gut,
2800Allein man läßt’s auch alles seyn.
2801Man lobt euch halb mit Erbarmen.
2802Nach Golde drängt,
2803Am Golde hängt
2804Doch alles! Ach wir Armen!
97
∞
98
100
∞Spatziergang.
∞Mephistopheles.
2805Bey aller verschmähten Liebe! Bey’m höllischen Elemente!
2806Ich wollt’ ich wüßte ’was ärgers, daß ich’s fluchen
könnte!
∞Mephistopheles.
2809Ich möcht’ mich gleich dem Teufel übergeben,
2810Wenn ich nur selbst kein Teufel wär’!
∞Mephistopheles.
2813Denkt nur, den Schmuck, für Grethchen angeschafft,
2814Den hat ein Pfaff’ hinweggerafft – –
2815Die Mutter kriegt das Ding zu schauen,
2816Gleich fängt’s ihr heimlich an zu grauen;
2817Die Frau hat gar einen feinen Geruch,
2818Schnuffelt immer im Gebetbuch,
2819Und riecht’s einem jeden Möbel an,
2820Ob das Ding heilig ist oder profan;
2821Und an dem Schmuck da spürt sie’s klar,
2822Daß dabey nicht viel Segen war.
2823Mein Kind, rief sie, ungerechtes Gut
2824Befängt die Seele, zehrt auf das Blut,
2825Wollen’s der Mutter Gottes weihen,
2826Wird uns mit Himmels-Manna erfreuen!
2827Margrethlein zog ein schiefes Maul,
2828Ist halt, dacht’ sie, ein geschenkter Gaul,
2829Und wahrlich gottlos ist nicht der,
2830Der ihn so fein gebracht hierher.
2831Die Mutter ließ einen Pfaffen kommen;
2832Der hatte kaum den Spaß vernommen,
99
2833Ließ sich den Anblick wohl behagen;
2834Er sprach: So ist man recht gesinnt!
2835Wer überwindet der gewinnt.
2836Die Kirche hat einen guten Magen,
2837Hat ganze Länder aufgefressen,
2838Und doch noch nie sich übergessen;
2839Die Kirch’ allein, meine liebe Frauen,
2840Kann ungerechtes Gut verdauen.
∞Mephistopheles.
2843Strich drauf ein Spange, Kett’ und Ring,
2844Als wären’s eben Pfifferling,
2845Dankt nicht weniger und nicht mehr,
2846Als ob’s ein Korb voll Nüsse wär’,
2847Versprach ihnen allen himmlischen Lohn –
2848Und sie waren sehr erbaut davon.
∞Mephistopheles.
2849Sitzt nun unruhvoll,
2850Weiß weder, was sie will noch soll,
2851Denkt an’s Geschmeide Tag und Nacht,
2852Noch mehr an den, der’s ihr gebracht.
∞Faust.
2853Des Liebchens Kummer thut mir leid.
2854Schaff’ du ihr gleich ein neu Geschmeid!
2855Am ersten war ja so nicht viel.
∞Faust.
2857Und mach’, und richt’s nach meinem Sinn!
2858Häng’ dich an ihre Nachbarinn.
2859Sey Teufel doch nur nicht wie Brey,
2860Und schaff’ einen neuen Schmuck herbey.
∞Faust ab.
101
∞Mephistopheles.
2862So ein verliebter Thor verpufft
2863Euch Sonne, Mond und alle Sterne
2864Zum Zeitvertreib dem Liebchen in die Luft.
∞ab.
∞
103
105
106
108
110
112
113
114
∞Der Nachbarinn Haus.
∞Marthe
∞allein.
2865Gott verzeih’s meinem lieben Mann,
2866Er hat an mir nicht wohl gethan!
2867Geht da stracks in die Welt hinein,
2868Und läßt mich auf dem Stroh allein.
2869Thät’ ihn doch wahrlich nicht betrüben,
2870Thät’ ihn, weiß Gott, recht herzlich lieben.
∞Sie weint.
2871Vielleicht ist er gar todt! – O Pein! – –
2872Hätt’ ich nur einen Todtenschein!
∞
Margarethe kommt.
102
∞Margarethe.
2874Fast sinken mir die Kniee nieder!
2875Da find’ ich so ein Kästchen wieder
2876In meinem Schrein von Ebenholz,
2877Und Sachen herrlich ganz und gar,
2878Weit reicher als das erste war.
∞Marthe.
2885Komm du nur oft zu mir herüber,
2886Und leg’ den Schmuck hier heimlich an;
2887Spatzier’ ein Stündchen lang dem Spiegelglas vorüber,
2888Wir haben unser Freude dran;
2889Und dann gibt’s einen Anlaß, gibt’s ein Fest,
2890Wo man’s so nach und nach den Leuten sehen läßt,
2891Ein Kettchen erst, die Perle dann in’s Ohr;
2892Die Mutter sieht’s wohl nicht, man macht ihr auch ’was
vor.
∞Margarethe.
2893Wer konnte nur die beyden Kästchen bringen?
2894Es geht nicht zu mit rechten Dingen!
∞Es klopft.
104
∞
Mephistopheles tritt auf.
∞Mephistopheles.
2897Bin so frey g’rad’ herein zu treten,
2898Muß bey den Frauen Verzeihn erbethen.
∞Tritt ehrerbietig vor
Margarethen zurück.
2899Wollte nach Frau Marthe Schwerdlein fragen!
∞Mephistopheles
∞leise zu ihr.
2901Ich kenne Sie jetzt, mir ist das genug;
2902Sie hat da gar vornehmen Besuch.
2903Verzeiht die Freyheit die ich genommen,
2904Will nach Mittage wieder kommen.
∞Margarethe.
2907Ich bin ein armes junges Blut;
2908Ach Gott! der Herr ist gar zu gut,
2909Schmuck und Geschmeide sind nicht mein.
∞Mephistopheles.
2910Ach! es ist nicht der Schmuck allein.
2911Sie hat ein Wesen, einen Blick so scharf!
2912Wie freu’t mich’s, daß ich bleiben darf.
∞Mephistopheles.
2914Ich wollt’ ich hätt’ eine frohere Mähr’!
2915Ich hoffe, Sie läßt mich’s drum nicht büßen:
2916Ihr Mann ist todt und läßt Sie grüßen.
∞Mephistopheles.
2925Er liegt in Padua begraben,
2926Bey’m heiligen Antonius,
2927An einer wohlgeweihten Stätte
2928Zum ewig kühlen Ruhebette.
∞Mephistopheles.
2930Ja, eine Bitte, groß und schwer:
2931Laß Sie doch ja für ihn drey hundert Messen singen!
2932Im übrigen sind meine Taschen leer.
∞Marthe.
2933Was! nicht ein Schaustück? Kein Geschmeid’?
2934Was jeder Handwerksbursch im Grund des Säckels
spart,
107
2935Zum Angedenken aufbewahrt,
2936Und lieber hungert, lieber bettelt!
∞Mephistopheles.
2937Madam, es thut mir herzlich leid;
2938Allein er hat sein Geld wahrhaftig nicht verzettelt.
2939Auch er bereute seine Fehler sehr,
2940Ja, und bejammerte sein Unglück noch viel mehr.
∞Margarethe.
2941Ach! daß die Menschen so unglücklich sind!
2942Gewiß ich will für ihn manch Requiem noch bethen.
∞Mephistopheles.
2943Ihr wäret werth, gleich in die Eh’ zu treten:
2944Ihr seyd ein liebenswürdig Kind.
∞Mephistopheles.
2946Ist’s nicht ein Mann, sey’s derweil’ ein Galan.
2947Es ist eine der größten Himmelsgaben,
2948So ein lieb Ding im Arm zu haben.
∞Mephistopheles.
2951Ich stand an seinem Sterbebette,
2952Es war was besser als von Mist,
2953Von halb gefaultem Stroh; allein er starb
als Christ,
2954Und fand, daß er weit mehr noch auf der Zeche hätte.
2955Wie, rief er, muß ich mich von Grund aus hassen,
2956So mein Gewerb, mein Weib so zu verlassen!
109
2957Ach die Erinnerung tödtet mich.
2958Vergäb’ sie mir nur noch in diesem Leben!
∞Mephistopheles.
2962Er fabelte gewiß in letzten Zügen,
2963Wenn ich nur halb ein Kenner bin.
2964Ich hatte, sprach er, nicht zum Zeitvertreib
zu gaffen,
2965Erst Kinder, und dann Brot für sie zu schaffen,
2966Und Brot im allerweit’sten Sinn,
2967Und konnte nicht einmal mein Theil in Frieden essen.
∞Mephistopheles.
2970Nicht doch, er hat euch herzlich dran gedacht.
2971Er sprach: Als ich nun weg von Malta ging,
2972Da bethet’ ich für Frau und Kinder brünstig;
2973Uns war denn auch der Himmel günstig,
2974Daß unser Schiff ein Türkisch Fahrzeug fing,
2975Das einen Schatz des großen Sultans führte.
2976Da ward der Tapferkeit ihr Lohn,
2977Und ich empfing denn auch, wie sich’s gebührte,
2978Mein wohlgemeßnes Theil davon.
∞Mephistopheles.
2980Wer weiß, wo nun es die vier Winde haben.
2981Ein schönes Fräulein nahm sich seiner an,
2982Als er in Napel fremd umher spatzierte;
111
2983Sie hat an ihm viel Lieb’s und Treu’s gethan,
2984Daß er’s bis an sein selig Ende spürte.
∞Marthe.
2985Der Schelm! Der Dieb an seinen Kindern!
2986Auch alles Elend, alle Noth
2987Konnt’ nicht sein schändlich Leben hindern!
∞Mephistopheles.
2988Ja seht! dafür ist er nun todt.
2989Wär’ ich nun jetzt an euerm Platze,
2990Betraurt’ ich ihn ein züchtig Jahr,
2991Visirte dann unterweil’ nach einem neuen Schatze.
∞Marthe.
2992Ach Gott! wie doch mein erster war,
2993Find’ ich nicht leicht auf dieser Welt den andern!
2994Es konnte kaum ein herz’ger Närrchen seyn.
2995Er liebte nur das allzuviele Wandern,
2996Und fremde Weiber, und fremden Wein,
2997Und das verfluchte Würfelspiel.
∞Mephistopheles.
2998Nun, nun, so konnt’ es gehn und stehen,
2999Wenn er euch ungefähr so viel
3000Von seiner Seite nachgesehen.
3001Ich schwör’ euch zu, mit dem Beding
3002Wechselt’ ich selbst mit euch den Ring.
∞Mephistopheles
∞für sich.
3004Nun mach’ ich mich bey Zeiten fort!
3005Die hielte wohl den Teufel selbst bey’m Wort.
∞Zu Grethchen.
3006Wie steht es denn mit Ihrem Herzen?
∞Marthe.
3008O sagt mir doch geschwind!
3009Ich möchte gern ein Zeugniß haben,
3010Wo, wie und wenn mein Schatz gestorben und begraben.
3011Ich bin von je der Ordnung Freund gewesen,
3012Möcht’ ihn auch todt im Wochenblättchen lesen.
∞Mephistopheles.
3013Ja, gute Frau, durch zweyer Zeugen Mund
3014Wird allerwegs die Wahrheit kund;
3015Habe noch gar einen feinen Gesellen,
3016Den will ich euch vor den Richter stellen.
3017Ich bring’ ihn her.
∞Mephistopheles.
3018Und hier die Jungfrau ist auch da?
3019Ein braver Knab’! ist viel gereis’t,
3020Fräuleins alle Höflichkeit erweis’t.
∞
115
116
117
118
∞Straße.
∞Faust.
Mephistopheles.
∞Mephistopheles.
3026Ah bravo! Find’ ich euch im Feuer?
3027In kurzer Zeit ist Grethchen euer.
3028Heut’ Abend sollt’ ihr sie bey Nachbars Marthen sehn:
3029Das ist ein Weib wie auserlesen
3030Zum Kuppler- und Zigeunerwesen!
∞Mephistopheles.
3033Wir legen nur ein gültig Zeugniß nieder,
3034Daß ihres Ehherrn ausgereckte Glieder
3035In Padua an heil’ger Stätte ruhn.
∞Mephistopheles.
3037Sancta simplicitas! Darum ist’s
nicht zu thun;
3038Bezeugt nur ohne viel zu wissen.
∞Mephistopheles.
3040O heil’ger Mann! Da wär’t ihr’s nun!
3041Ist es das erstemal in euerm Leben,
3042Daß ihr falsch Zeugniß abgelegt?
3043Habt ihr von Gott, der Welt und was sich d’rin
bewegt,
3044Vom Menschen, was sich ihm in Kopf und Herzen regt,
3045Definitionen nicht mit großer Kraft gegeben,
3046Mit frecher Stirne, kühner Brust?
3047Und wollt ihr recht in’s Innre gehen,
3048Habt ihr davon, ihr müßt es g’rad’ gestehen,
3049So viel als von Herrn Schwerdleins Tod gewußt!
∞Mephistopheles.
3051Ja, wenn man’s nicht ein Bißchen tiefer wüßte.
3052Denn morgen wirst in allen Ehren
3053Das arme Grethchen nicht bethören,
3054Und alle Seelenlieb’ ihr schwören.
∞Mephistopheles.
3055Gut und schön!
3056Dann wird von ewiger Treu’ und Liebe,
3057Von einzig überallmächt’gem Triebe –
3058Wird das auch so von Herzen gehn?
∞Faust.
3059Laß das! Es wird! – Wenn ich empfinde,
3060Für das Gefühl, für das Gewühl
3061Nach Namen suche, keinen finde,
3062Dann durch die Welt mit allen Sinnen schweife,
3063Nach allen höchsten Worten greife,
3064Und diese Gluth, von der ich brenne,
3065Unendlich, ewig, ewig nenne,
3066Ist das ein teuflisch Lügenspiel?
∞
119
120
121
125
126
∞Garten.
∞Margarethe.
3073Ich fühl’ es wohl, daß mich der Herr nur schont,
3074Herab sich läßt, mich zu beschämen.
3075Ein Reisender ist so gewohnt
3076Aus Gütigkeit fürlieb zu nehmen,
3077Ich weiß zu gut, daß solch’ erfahrnen Mann
3078Mein arm Gespräch nicht unterhalten kann.
∞Er küßt ihre Hand.
∞Margarethe.
3081Incommodirt euch nicht! Wie könnt’ ihr sie nur
küssen,
3082Sie ist so garstig, ist so rauh!
3083Was hab’ ich nicht schon alles schaffen müssen!
3084Die Mutter ist gar zu genau.
∞Gehn vorüber.
∞Mephistopheles.
3086Ach, daß Gewerb’ und Pflicht uns dazu treiben!
3087Mit wie viel Schmerz verläßt man manchen Ort,
3088Und darf doch nun einmal nicht bleiben!
∞Marthe.
3089In raschen Jahren geht’s wohl an,
3090So um und um frey durch die Welt zu streifen;
3091Doch kömmt die böse Zeit heran,
3092Und sich als Hagestolz allein zum Grab’
zu schleifen,
3093Das hat noch keinem wohl gethan.
∞Gehn vorüber.
∞Margarethe.
3096Ja, aus den Augen aus dem Sinn!
3097Die Höflichkeit ist euch geläufig;
3098Allein ihr habt der Freunde häufig,
3099Sie sind verständiger als ich bin.
∞Faust.
3102Ach, daß die Einfalt, daß die Unschuld nie
3103Sich selbst und ihren heil’gen Werth erkennt!
3104Daß Demuth, Niedrigkeit, die höchsten Gaben
3105Der liebevoll austheilenden Natur –
∞Margarethe.
3106Denkt ihr an mich ein Augenblickchen nur,
3107Ich werde Zeit genug an euch zu denken haben.
∞Margarethe.
3109Ja, unsre Wirthschaft ist nur klein,
3110Und doch will sie versehen seyn.
3111Wir haben keine Magd; muß kochen, fegen, stricken
3112Und nähn, und laufen früh und spat;
3113Und meine Mutter ist in allen Stücken
3114So accurat!
122
3115Nicht daß sie just so sehr sich einzuschränken hat;
3116Wir könnten uns weit eh’ als andre regen:
3117Mein Vater hinterließ ein hübsch Vermögen,
3118Ein Häuschen und ein Gärtchen vor der Stadt.
3119Doch hab’ ich jetzt so ziemlich stille Tage:
3120Mein Bruder ist Soldat,
3121Mein Schwesterchen ist todt.
3122Ich hatte mit dem Kind wohl meine liebe Noth;
3123Doch übernähm’ ich gern noch einmal alle Plage,
3124So lieb war mir das Kind.
∞Margarethe.
3125Ich zog es auf, und herzlich liebt’ es mich.
3126Es war nach meines Vaters Tod geboren.
3127Die Mutter gaben wir verloren,
3128So elend wie sie damals lag,
3129Und sie erhohlte sich sehr langsam, nach und nach.
123
3130Da konnte sie nun nicht d’ran denken
3131Das arme Würmchen selbst zu tränken,
3132Und so erzog ich’s ganz allein,
3133Mit Milch und Wasser; so ward’s mein,
3134Auf meinem Arm, in meinem Schoos
3135War’s freundlich, zappelte, ward groß.
∞Margarethe.
3137Doch auch gewiß gar manche schwere Stunden.
3138Des Kleinen Wiege stand zu Nacht
3139An meinem Bett, es durfte kaum sich regen,
3140War ich erwacht;
3141Bald mußt’ ich’s tränken, bald es zu mir legen,
3142Bald, wenn’s nicht schwieg, vom Bett’ aufstehn,
3143Und tänzelnd in der Kammer auf und nieder gehn,
3144Und früh am Tage schon am Waschtrog stehn;
3145Dann auf dem Markt und an dem Herde sorgen,
3146Und immer fort wie heut so morgen.
124
3147Da geht’s, mein Herr, nicht immer muthig zu;
3148Doch schmeckt dafür das Essen, schmeckt die Ruh.
∞Gehn vorüber.
∞Marthe.
3153Sagt g’rad’, mein Herr, habt ihr noch
nichts gefunden?
3154Hat sich das Herz nicht irgendwo gebunden?
∞Mephistopheles.
3155Das Sprichwort sagt: Ein eigner Herd,
3156Ein braves Weib, sind Gold und Perlen werth.
∞Gehn vorüber.
∞Faust.
3166Und du verzeih’st die Freyheit, die ich nahm?
3167Was sich die Frechheit unterfangen,
3168Als du jüngst aus dem Dom gegangen?
∞Margarethe.
3169Ich war bestürzt, mir war das nie geschehn;
3170Es konnte niemand von mir übels sagen.
3171Ach, dacht’ ich, hat er in deinem Betragen
3172Was freches, unanständiges gesehn?
3173Es schien ihn gleich nur anzuwandeln,
3174Mit dieser Dirne g’rade hin zu handeln.
3175Gesteh’ ich’s doch! Ich wußte nicht was sich
3176Zu euerm Vortheil hier zu regen gleich begonnte;
3177Allein gewiß, ich war recht bös’ auf mich,
3178Daß ich auf euch nicht böser werden konnte.
∞Sie pflückt eine
Sternblume und zupft die Blätter ab, eins nach dem andern.
127
∞Sie rupft und
murmelt.
∞Margarethe
∞fährt fort.
3183Liebt mich – Nicht – Liebt mich – Nicht –
∞Das letzte Blatt
ausrupfend, mit holder Freude.
3184Er liebt mich!
∞Faust.
3184Ja, mein Kind! Laß dieses Blumenwort
128
3185Dir Götter-Ausspruch seyn. Er liebt dich!
3186Verstehst du, was das heißt? Er liebt dich!
∞Er faßt ihr beyde
Hände.
∞Faust.
3188O schaudre nicht! Laß diesen Blick,
3189Laß diesen Händedruck dir sagen,
3190Was unaussprechlich ist:
3191Sich hinzugeben ganz und eine Wonne
3192Zu fühlen, die ewig seyn muß!
3193Ewig! – Ihr Ende würde Verzweiflung seyn.
3194Nein, kein Ende! Kein Ende!
∞Margarethe drückt ihm
die Hände, macht sich los und läuft weg. Er steht einen Augenblick
in Gedanken, dann folgt er ihr.
129
∞Marthe.
3196Ich bäth’ euch länger hier zu bleiben,
3197Allein es ist ein gar zu böser Ort.
3198Es ist als hätte niemand nichts zu treiben
3199Und nichts zu schaffen,
3200Als auf des Nachbarn Schritt und Tritt zu gaffen,
3201Und man kommt in’s Gered’ wie man sich immer stellt.
3202Und unser Pärchen?
130
∞
∞Ein Gartenhäuschen.
∞
Margarethe springt herein, steckt
sich hinter die Thür, hält die Fingerspitze an die Lippen, und
guckt durch die Ritze.
∞Er küßt sie.
∞
Mephistopheles klopft an.
131
∞Faust und Mephistopheles
ab.
132
∞Margarethe.
3211Du lieber Gott! was so ein Mann
3212Nicht alles alles denken kann!
3213Beschämt nur steh’ ich vor ihm da,
3214Und sag’ zu allen Sachen ja.
3215Bin doch ein arm unwissend Kind,
3216Begreife nicht was er an mir find’t.
∞ab.
133
136
∞
137
138
140
142
146
∞Marthens Garten.
∞Margarethe.
Faust.
∞Margarethe.
3415Nun sag’, wie hast du’s mit der Religion?
3416Du bist ein herzlich guter Mann,
3417Allein ich glaub’ du hält’st nicht viel davon.
∞Faust.
3418Laß das, mein Kind! Du fühlst ich bin dir gut;
3419Für meine Lieben ließ’ ich Leib und Blut,
3420Will niemand sein Gefühl und seine Kirche rauben.
∞Margarethe.
3422Ach! wenn ich etwas auf dich könnte!
3423Du ehrst auch nicht die heil’gen Sacramente.
∞Margarethe.
3424Doch ohne Verlangen.
3425Zur Messe, zur Beichte bist du lange nicht gegangen.
3426Glaubst du an Gott?
∞Faust.
3426Mein Liebchen, wer darf sagen,
3427Ich glaub’ an Gott?
3428Magst Priester oder Weise fragen,
3429Und ihre Antwort scheint nur Spott
3430Über den Frager zu seyn.
∞Faust.
3431Mißhör’ mich nicht, du holdes Angesicht!
3432Wer darf ihn nennen?
3433Und wer bekennen,
3434Ich glaub’ ihn?
3435Wer empfinden?
3436Und sich unterwinden
3437Zu sagen, ich glaub’ ihn nicht?
3438Der Allumfasser,
3439Der Allerhalter,
3440Faßt und erhält er nicht
3441Dich, mich, sich selbst?
3442Wölbt sich der Himmel nicht dadroben?
3443Liegt die Erde nicht hierunten fest?
3444Und steigen freundlich blickend
3445Ewige Sterne nicht hierauf?
3446Schau’ ich nicht Aug’ in Auge dir,
3447Und drängt nicht alles
3448Nach Haupt und Herzen dir,
3449Und webt in ewigem Geheimniß
3450Unsichtbar sichtbar neben dir?
3451Erfüll’ davon dein Herz, so groß es ist,
139
3452Und wenn du ganz in dem Gefühle selig bist,
3453Nenn’ es dann wie du willst,
3454Nenn’s Glück! Herz! Liebe! Gott!
3455Ich habe keinen Namen
3456Dafür! Gefühl ist alles;
3457Name ist Schall und Rauch,
3458Umnebelnd Himmelsgluth.
∞Margarethe.
3459Das ist alles recht schön und gut;
3460Ungefähr sagt das der Pfarrer auch,
3461Nur mit ein Bißchen andern Worten.
∞Faust.
3462Es sagen’s aller Orten
3463Alle Herzen unter dem himmlischen Tage,
3464Jedes in seiner Sprache;
3465Warum nicht ich in der meinen?
∞Margarethe.
3466Wenn man’s so hört, möcht’s leidlich scheinen,
3467Steht aber doch immer schief darum;
3468Denn du hast kein Christenthum.
∞Margarethe.
3471Der Mensch, den du da bey dir hast,
3472Ist mir in tiefer inn’rer Seele verhaßt:
3473Es hat mir in meinem Leben
3474So nichts einen Stich in’s Herz gegeben,
3475Als des Menschen widrig Gesicht.
∞Margarethe.
3477Seine Gegenwart bewegt mir das Blut.
3478Ich bin sonst allen Menschen gut;
3479Aber wie ich mich sehne dich zu schauen,
141
3480Hab’ ich vor dem Menschen ein heimlich Grauen,
3481Und halt’ ihn für einen Schelm dazu!
3482Gott verzeih’ mir’s, wenn ich ihm Unrecht thu’!
∞Margarethe.
3484Wollte nicht mit seines Gleichen leben!
3485Kommt er einmal zur Thür herein,
3486Sieht er immer so spöttisch drein,
3487Und halb ergrimmt,
3488Man sieht, daß er an nichts keinen Antheil nimmt;
3489Es steht ihm an der Stirn’ geschrieben,
3490Daß er nicht mag eine Seele lieben.
3491Mir wird’s so wohl in deinem Arm,
3492So frey, so hingegeben warm,
3493Und seine Gegenwart schnürt mir das Inn’re zu.
∞Margarethe.
3495Das übermannt mich so sehr,
3496Daß, wo er nur mag zu uns treten,
3497Mein’ ich sogar, ich liebte
dich nicht mehr.
3498Auch wenn er da ist, könnt’ ich nimmer bethen,
3499Und das frißt mir in’s Herz hinein;
3500Dir, Heinrich, muß es auch so seyn.
∞Faust.
3502Ach kann ich nie
3503Ein Stündchen ruhig dir am Busen hängen,
3504Und Brust an Brust und Seel’ in Seele drängen?
∞Margarethe.
3505Ach wenn ich nur alleine schlief!
3506Ich ließ dir gern heut’ Nacht den Riegel offen;
3507Doch meine Mutter schläft nicht tief,
143
3508Und würden wir von ihr betroffen,
3509Ich wär’ gleich auf der Stelle todt!
∞Faust.
3510Du Engel, das hat keine Noth.
3511Hier ist ein Fläschchen, drey Tropfen nur
3512In ihren Trank umhüllen
3513Mit tiefem Schlaf gefällig die Natur.
∞Margarethe.
3517Seh’ ich dich, bester Mann, nur an,
3518Weiß nicht was mich nach deinem Willen treibt;
3519Ich habe schon so viel für dich gethan,
3520Daß mir zu thun fast nichts mehr über bleibt.
∞ab.
144
∞
Mephistopheles tritt auf.
∞Mephistopheles.
3522Ich hab’s ausführlich wohl vernommen.
3523Herr Doctor wurden da katechisirt;
3524Hoff’ es soll Ihnen wohl bekommen.
3525Die Mädels sind doch sehr interessirt,
3526Ob einer fromm und schlicht nach altem Brauch.
3527Sie denken, duckt er da, folgt er uns eben auch.
∞Faust.
3528Du, Ungeheuer, siehst nicht ein,
3529Wie diese treue liebe Seele
3530Von ihrem Glauben voll,
145
3531Der ganz allein
3532Ihr selig machend ist, sich heilig quäle,
3533Daß sie den liebsten Mann verloren halten soll.
∞Mephistopheles.
3537Und die Physiognomie versteht sie meisterlich;
3538In meiner Gegenwart wird’s ihr sie weiß nicht wie,
3539Mein Mäskchen da weissagt verborgnen Sinn;
3540Sie fühlt, daß ich ganz sicher ein Genie,
3541Vielleicht wohl gar der Teufel bin.
3542Nun heute Nacht –?
∞
147
148
149
∞Am Brunnen.
∞Grethchen und Lieschen mit Krügen.
∞Lieschen.
3546Gewiß, Sibille sagt’ mir’s heute!
3547Die hat sich endlich auch bethört.
3548Das ist das Vornehmthun!
∞Lieschen.
3551So ist’s ihr endlich recht ergangen.
3552Wie lange hat sie an dem Kerl gehangen!
3553Das war ein Spatzieren,
3554Auf Dorf und Tanzplatz führen,
3555Mußt’ überall die erste seyn,
3556Curtesirt’ ihr immer mit Pastetchen und Wein;
3557Bild’t sich was auf ihre Schönheit ein,
3558War doch so ehrlos sich nicht zu schämen
3559Geschenke von ihm anzunehmen.
3560War ein Gekos’ und ein Geschleck’;
3561Da ist denn auch das Blümchen weg!
∞Lieschen.
3562Bedauerst sie noch gar!
3563Wenn unser eins am Spinnen war,
3564Uns Nachts die Mutter nicht hinunter ließ;
3565Stand sie bey ihrem Buhlen süß,
3566Auf der Thürbank und im dunkeln Gang
3567Ward ihnen keine Stunde zu lang.
3568Da mag sie denn sich ducken nun,
3569Im Sünderhemdchen Kirchbuß’ thun!
∞Lieschen.
3571Er wär’ ein Narr! Ein flinker Jung’
3572Hat anderwärts noch Luft genung.
3573Er ist auch fort.
∞Lieschen.
3574Kriegt sie ihn, soll’s ihr übel gehn.
3575Das Kränzel reißen die Buben ihr
3576Und Häckerling streuen wir vor die Thür!
∞ab.
∞Grethchen
∞nach Hause
gehend.
3577Wie konnt’ ich sonst so tapfer schmählen,
3578Sah ich ein armes Mägdlein fehlen!
3579Wie konnt’ ich über andrer Sünden
3580Nicht Worte g’nug der Zunge finden!
3581Wie schien mir’s schwarz, und schwärzt’s noch gar,
3582Mir’s immer doch nicht schwarz g’nug war,
150
3583Und segnet’ mich und that so groß,
3584Und bin nun selbst der Sünde bloß!
3585Doch – alles was mich dazu trieb,
3586Gott! war so gut! ach war so lieb!
151
∞
158
159
∞Wald und Höhle.
∞Faust
∞allein.
3217
Erhabner Geist, du gabst mir, gabst mir
alles,
3218Warum ich bath. Du hast mir nicht umsonst
3219Dein Angesicht im Feuer zugewendet.
3220Gabst mir die herrliche Natur zum Königreich,
3221Kraft sie zu fühlen, zu genießen. Nicht
3222Kalt staunenden Besuch erlaubst du nur,
3223Vergönnest mir in ihre tiefe Brust,
3224Wie in den Busen eines Freund’s, zu schauen.
3225Du führst die Reihe der Lebendigen
3226Vor mir vorbey, und lehrst mich meine Brüder
3227Im stillen Busch, in Luft und Wasser kennen.
3228Und wenn der Sturm im Walde braus’t und knarrt,
152
3229Die Riesenfichte, stürzend, Nachbaräste
3230Und Nachbarstämme, quetschend, nieder streift,
3231Und ihrem Fall dumpf hohl der Hügel donnert;
3232Dann führst du mich zur sichern Höhle, zeigst
3233Mich dann mir selbst, und meiner eignen Brust
3234Geheime tiefe Wunder öffnen sich:
3235Und steigt vor meinem Blick der reine Mond
3236Besänftigend herüber, schweben mir
3237Von Felsenwänden, aus dem feuchten Busch
3238Der Vorwelt silberne Gestalten auf,
3239Und lindern der Betrachtung strenge Lust.
3240O daß dem Menschen nichts
Vollkomm’nes wird,
3241Empfind’ ich nun. Du gabst zu dieser Wonne,
3242Die mich den Göttern nah’ und näher bringt,
3243Mir den Gefährten, den ich schon nicht mehr
3244Entbehren kann, wenn er gleich, kalt und frech,
153
3245Mich vor mir selbst erniedrigt, und zu Nichts,
3246Mit einem Worthauch, deine Gaben wandelt.
3247Er facht in meiner Brust ein wildes Feuer
3248Nach jenem schönen Bild geschäftig an.
3249So tauml’ ich von Begierde zu Genuß,
3250Und im Genuß verschmacht’ ich nach Begierde.
∞
Mephistopheles tritt auf.
∞Mephistopheles.
3251Habt ihr nun bald das Leben g’nug geführt?
3252Wie kann’s euch in die Länge freuen?
3253Es ist wohl gut, daß man’s einmal probirt!
3254Dann aber wieder zu was neuen.
∞Mephistopheles.
3257Nun nun! ich laß’ dich gerne ruhn,
3258Du darfst mir’s nicht im Ernste sagen.
3259An dir Gesellen unhold, barsch und toll,
154
3260Ist wahrlich wenig zu verlieren.
3261Den ganzen Tag hat man die Hände voll!
3262Was ihm gefällt und was man lassen soll,
3263Kann man dem Herrn nie an der Nase spüren.
∞Mephistopheles.
3266Wie hätt’st du, armer Erdensohn,
3267Dein Leben ohne mich geführt?
3268Vom Kribskrabs der Imagination
3269Hab’ ich dich doch auf Zeiten lang curirt;
3270Und wär’ ich nicht, so wär’st du schon
3271Von diesem Erdball abspatzirt.
3272Was hast du da in Höhlen, Felsenritzen
3273Dich wie ein Schuhu zu versitzen?
3274Was schlurfst aus dumpfen Moos und triefendem Gestein,
3275Wie eine Kröte, Nahrung ein?
155
3276Ein schöner, süßer Zeitvertreib!
3277Dir steckt der Doctor noch im Leib.
∞Faust.
3278Verstehst du was für neue Lebenskraft,
3279Mir dieser Wandel in der Öde schafft?
3280Ja würdest du es ahnden können,
3281Du wärest Teufel g’nug mein Glück mir nicht zu
gönnen.
∞Mephistopheles.
3282Ein überirdisches Vergnügen!
3283In Nacht und Thau auf den Gebirgen liegen,
3284Und Erd’ und Himmel wonniglich umfassen,
3285Zu einer Gottheit sich aufschwellen lassen,
3286Der Erde Mark mit Ahndungsdrang durchwühlen,
3287Alle sechs Tagewerk’ im Busen fühlen,
3288In stolzer Kraft ich weiß nicht was genießen,
3289Bald liebewonniglich in alles überfließen,
3290Verschwunden ganz der Erdensohn,
3291Und dann die hohe Intuition –
156
∞Mit einer Geberde.
3292Ich darf nicht sagen wie – zu schließen.
∞Mephistopheles.
3293Das will euch nicht behagen,
3294Ihr habt das Recht gesittet pfuy zu sagen.
3295Man darf das nicht vor keuschen Ohren nennen,
3296Was keusche Herzen nicht entbehren können.
3297Und kurz und gut, ich gönn’ Ihm das Vergnügen,
3298Gelegentlich sich etwas vorzulügen;
3299Doch lange hält Er das nicht aus.
3300Du bist schon wieder abgetrieben,
3301Und, währt es länger, aufgerieben
3302In Tollheit oder Angst uud Graus.
3303Genug damit! Dein Liebchen sitzt dadrinne,
3304Und alles wird ihr eng’ und trüb’.
3305Du kommst ihr gar nicht aus dem Sinne,
3306Sie hat dich übermächtig lieb.
157
3307Erst kam deine Liebeswuth übergeflossen,
3308Wie vom geschmolznen Schnee ein Bächlein übersteigt;
3309Du hast sie ihr in’s Herz gegossen,
3310Nun ist dein Bächlein wieder seicht.
3311Mich dünkt, anstatt in Wäldern zu thronen,
3312Ließ es dem großen Herren gut,
3313Das arme affenjunge Blut
3314Für seine Liebe zu belohnen.
3315Die Zeit wird ihr erbärmlich lang;
3316Sie steht am Fenster, sieht die Wolken ziehn
3317Über die alte Stadtmauer hin.
3318Wenn ich ein Vöglein wär’! So geht ihr Gesang
3319Taglang, halbe Nächte lang.
3320Einmal ist sie munter, meist betrübt,
3321Einmal recht ausgeweint,
3322Dann wieder ruhig, wie’s scheint,
3323Und immer verliebt.
∞Faust.
3326Verruchter, hebe dich von hinnen,
3327Und nenne nicht das schöne Weib!
3328Bring’ die Begier zu ihrem süßen Leib
3329Nicht wieder vor die halb verrückten Sinnen!
∞Mephistopheles.
3330Was soll es dann? Sie meint, du seyst entfloh’n,
3331Und halb und halb bist du es schon.
∞Faust.
3332Ich bin ihr nah’, und wär’ ich noch so fern,
3333Ich kann sie nie vergessen und verlieren;
3334Ja, ich beneide schon den Leib des Herrn,
3335Wenn ihre Lippen ihn indeß berühren.
∞Mephistopheles.
3336Gar wohl, mein Freund! Ich hab’ euch oft beneidet
3337Um’s Zwillingspaar, das unter Rosen weidet.
∞Mephistopheles.
3338Schön! Ihr schimpft und ich muß lachen.
3339Der Gott, der Bub’ und Mädchen schuf,
3340Erkannte gleich den edelsten Beruf,
3341Auch selbst Gelegenheit zu machen.
3342Nur fort, es ist ein großer Jammer!
3343Ihr sollt in eures Liebchens Kammer,
3344Nicht etwa in den Tod.
∞Faust.
3345Was ist die Himmelsfreud’ in ihren Armen?
3346Laß mich an ihrer Brust erwarmen!
3347Fühl’ ich nicht immer ihre Noth?
3348Bin ich der Flüchtling nicht, der Unbehaus’te,
3349Der Unmensch ohne Zweck und Ruh,
3350Der wie ein Wassersturz von Fels zu Felsen braus’te
3351Begierig wüthend nach dem Abgrund zu?
160
3352Und seitwärts sie, mit kindlich dumpfen Sinnen,
3353Im Hüttchen auf dem kleinen Alpenfeld,
3354Und all ihr häusliches Beginnen
3355Umfangen in der kleinen Welt.
∞Und ich, der Gottverhaßte, hatte nicht genug,
3358Daß ich die Felsen faßte
3359Und sie zu Trümmern schlug!
3360Sie, ihren Frieden mußt’ ich untergraben!
3361Du, Hölle, mußtest dieses Opfer haben!
3362Hilf, Teufel, mir die Zeit der Angst verkürzen,
3363Was muß geschehn, mag’s gleich geschehn!
3364Mag ihr Geschick auf mich zusammenstürzen
3365Und sie mit mir zu Grunde gehn!
∞Mephistopheles.
3366Wie’s wieder siedet, wieder glüht!
3367Geh’ ein und tröste sie, du Thor!
3368Wo so ein Köpfchen keinen Ausgang sieht,
3369Stellt er sich gleich das Ende vor.
161
3370Es lebe wer sich tapfer hält!
3371Du bist doch sonst so ziemlich eingeteufelt.
3372Nichts abgeschmackters find’ ich auf der Welt,
3373Als einen Teufel der verzweifelt.
∞
163
∞Zwinger.
∞In der Mauerhöhle ein Andachtsbild der
Mater dolorosa, Blumenkrüge davor.
∞Grethchen
∞steckt frische Blumen in
die Krüge.
3590Das Schwert im Herzen,
3591Mit tausend Schmerzen
3592Blickst auf zu deines Sohnes Tod.
162
3593Zum Vater blickst du,
3594Und Seufzer schickst du
3595Hinauf um sein’ und deine Noth.
3596Wer fühlet,
3597Wie wühlet
3598Der Schmerz mir im Gebein?
3599Was mein armes Herz hier banget,
3600Was es zittert, was verlanget,
3601Weißt nur du, nur du allein!
3602Wohin ich immer gehe,
3603Wie weh, wie weh, wie wehe
3604Wird mir im Busen hier!
3605Ich bin ach kaum alleine,
3606Ich wein’, ich wein’, ich weine,
3607Das Herz zerbricht in mir.
3608Die Scherben vor meinem Fenster
3609Bethaut’ ich mit Thränen, ach!
3610Als ich am frühen Morgen
3611Dir diese Blumen brach.
164
∞
168
∞Dom.
∞Amt, Orgel und Gesang.
∞Böser
Geist.
3776Wie anders, Grethchen, war dir’s,
3777Als du noch voll Unschuld
3778Hier zum Altar trat’st,
3779Aus dem vergriffnen Büchelchen
3780Gebethe lalltest,
3781Halb Kinderspiele,
3782Halb Gott im Herzen.
3783Grethchen!
3784Wo steht dein Kopf?
3785In deinem Herzen,
3786Welche Missethat?
165
3787Beth’st du für deiner Mutter Seele, die
3788Durch dich zur langen, langen Pein hinüber schlief?
3790– Und unter deinem Herzen
3791Regt sich’s nicht quillend schon,
3792Und ängstet dich und sich
3793Mit ahndungsvoller Gegenwart?
∞Grethchen.
3794Weh! Weh!
3795Wär’ ich der Gedanken los,
3796Die mir herüber und hinüber gehen
3797Wider mich!
∞Orgelton.
∞Böser
Geist.
3800Grimm faßt dich!
3801Die Posaune tönt!
166
3802Die Gräber beben!
3803Und dein Herz,
3804Aus Aschenruh’
3805Zu Flammenqualen
3806Wieder aufgeschaffen,
3807Bebt auf!
∞Grethchen.
3808Wär’ ich hier weg!
3809Mir ist als ob die Orgel mir
3810Den Athem versetzte,
3811Gesang mein Herz
3812Im tiefsten lös’te.
∞Grethchen.
3816Mir wird so eng’!
3817Die Mauern-Pfeiler
3818Befangen mich!
167
3819Das Gewölbe,
3820Drängt mich! – Luft!
∞Böser
Geist.
3821Verbirg dich! Sünd’ und Schande
3822Bleibt nicht verborgen.
3823Luft? Licht?
3824Weh dir.
∞Chor.
3825
Quid sum miser tunc dicturus?
3826
Quem patronum rogaturus?
3827
Cum vix justus sit securus.
∞Böser
Geist.
3828Ihr Antlitz wenden
3829Verklärte von dir ab.
3830Die Hände dir zu reichen,
3831Schauert’s den Reinen.
3832Weh!
∞Sie fällt in Ohnmacht.