Faust. Mephistopheles.

Faust.
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1770Und was der ganzen Menschheit zugetheilt ist,
Will ich in meinen innern Selbst genießen,
Mit meinem Geist das Höchst’ und Tiefste greifen,
Ihr Wohl und Weh auf meinen Busen häu­fen,
Und so mein eigen Selbst zu Ihrem Selbst erweitern,
1775Und, wie sie selbst, am End’ auch ich zerschei­tern.
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Mephistopheles.
O glaube mir, der manche tausend Jahre
An dieser harten Speise kaut,
Daß in der Wieg’ und auf der Bahre
Kein Mensch den alten Sauerteig verdaut!
1780Glaub’ unser einem, dieses Ganze
Ist nur für einen Gott gemacht;
Er findet sich in einem ew’gen Glanze,
Uns hat er in die Finsterniß gebracht,
Und euch taugt einzig Tag und Nacht.
Faust.
1785Allein ich will!
Mephistopheles.
1785Das läßt sich hören!
Doch nur vor Einem ist mir bang’;
Die Zeit ist kurz, die Kunst ist lang.
Ich dächt’ ihr ließet euch belehren.
Associirt euch mit einem Poeten,
1790Laßt den Herrn in Gedanken schweifen,
Und alle edle Qualitäten
Auf euren Ehren-Scheitel häufen,
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Des Löwen Muth,
Des Hirsches Schnelligkeit,
1795Des Italiäners feurig Blut,
Des Nordens Dau’rbarkeit.
Laßt ihn euch das Geheimniß finden,
Großmuth und Arglist zu verbinden,
Und euch mit warmen Jugendtrieben
1800Nach einem Plane zu verlieben.
Möchte selbst solch einen Herren kennen,
Würd’ ihn Herr Mikrokosmus nennen.
Faust.
Was bin ich denn, wenn es nicht möglich ist
Der Menschheit Kronen zu erringen,
1805Nach der sich alle Sinne dringen?
Mephistopheles.
Du bist am Ende – was du bist.
Setz’ dir Perrücken auf von Millionen Locken,
Setz’ deinen Fuß auf ellenhohe Socken,
Du bleibst doch immer was du bist.
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Faust.
1810Ich fühl’s, vergebens hab’ ich alle Schätze
Des Menschengeist’s auf mich herbeygerafft,
Und wenn ich mich am Ende niedersetze,
Quillt innerlich doch keine neue Kraft;
Ich bin nicht um ein Haar breit höher,
1815Bin dem Unendlichen nicht näher.
Mephistopheles.
Mein guter Herr, ihr seht die Sachen,
Wie man die Sachen eben sieht;
Wir müssen das gescheidter machen,
Eh’ uns des Lebens Freude flieht.
1820Was Henker! freylich Händ und Füße
Und Kopf und H die sind dein;
Doch alles was ich frisch genieße,
Ist das drum weniger mein?
Wenn ich sechs Hengste zahlen kann,
1825Sind ihre Kräfte nicht die meine?
Ich renne zu und bin ein rechter Mann,
Als hätt’ ich vier und zwanzig Beine.
Drum frisch! laß alles Sinnen seyn,
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Und g’rad’ mit in die Welt hinein.
1830Ich sag’ es dir: ein Kerl, der speculiert,
Ist wie ein Thier, auf einer Heide
Von einem bösen Geist im Kreis herum ge­führt,
Und rings umher liegt schöne grüne Weide.
Faust.
Wie fangen wir das an?
Mephistopheles.
Wir gehen eben fort.
1835Was ist das für ein Marterort?
Was heißt das für ein Leben führen,
Sich und die Jungens ennüyieren?
Laß du das dem Herrn Nachbar Wanst!
Was willst du dich das Stroh zu dreschen plagen?
1840Das beste, was du wissen kannst,
Darfst du den Buben doch nicht sagen.
Gleich hör’ ich einen auf dem Gange!
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Faust.
Mir ist’s nicht möglich ihn zu sehn.
Mephistopheles.
Der arme Knabe wartet lange,
1845Der darf nicht ungetröstet gehn.
Komm, gib mir deinen Rock und Mütze;
Die Maske muß mir köstlich stehn.
Er kleidet sich um.
Nun überlaß es meinem Witze!
Ich brauche nur ein Viertelstündchen Zeit;
1850Indessen mache dich zur schönen Fahrt bereit!
Faust ab.
Mephistopheles
in Fausts langem Kleide.
Verachte nur Vernunft und Wissenschaft,
Des Menschen allerhöchste Kraft,
Laß nur in Blend- und Zauberwerken
Dich von dem Lügengeist bestärken,
1855So hab’ ich dich schon unbedingt –
Ihm hat das Schicksal einen Geist gegeben,
Der ungebändigt immer vorwärts dringt,
Und dessen übereiltes Streben
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Der Erde Freuden überspringt.
1860Den schlepp’ ich durch das wilde Leben,
Durch flache Unbedeutenheit,
Er soll mir zappeln, starren, kleben,
Und seiner Unersättlichkeit
Soll Speis’ und Trank vor gier’gen Lippen schweben;
1865Er wird Erquickung sich umsonst erflehn,
Und hätt’ er sich auch nicht dem Teufel über­geben,
Er müßte doch zu Grunde gehn!
Ein Schüler tritt auf.
Schüler.
Ich bin allhier erst kurze Zeit,
Und komme voll Ergebenheit,
1870Einen Mann zu sprechen und zu kennen,
Den alle mir mit Ehrfurcht nennen.
Mephistopheles.
Eure Höflichkeit erfreut mich sehr!
Ihr seht einen Mann wie andre mehr.
Habt ihr euch sonst schon umgethan?
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Schüler.
1875Ich bitt’ euch, nehmt euch meiner an.
Ich komme mit allem guten Muth,
Leidlichem Geld und frischem Blut,
Meine Mutter wollte mich kaum entfernen,
Möchte gern ’was rechts hieraußen lernen.
Mephistopheles.
1880Da seyd ihr eben recht am Ort.
Schüler.
Aufrichtig, möchte schon wieder fort:
In diesen Mauern, diesen Hallen,
Will es mir keineswegs gefallen.
Es ist ein gar beschränkter Raum,
1885Man sieht nichts grünes, keinen Baum,
Und in den Sälen, auf den Bänken,
Vergeht mir Hören, Sehn und Denken.
Mephistopheles.
Das kommt nur auf Gewohnheit an.
So nimmt ein Kind der Mutter Brust
1890Nicht gleich im Anfang willig an,
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Doch bald ernährt es sich mit Lust.
So wird’s euch an der Weisheit Brüsten
Mit jedem Tage mehr gelüsten.
Schüler.
An ihrem Hals will ich mit Freuden hangen;
1895Doch sagt mir nur, wie kann ich hingelangen?
Mephistopheles.
Erklärt euch, eh’ ihr weiter geht,
Was wählt ihr für eine Facultät?
Schüler.
Ich wünschte recht gelehrt zu werden,
Und möchte gern, was auf der Erden
1900Und in den Himmel ist, erfassen,
Die Wissenschaft und die Natur.
Mephistopheles.
Da seyd ihr auf der rechten Spur,
Doch müßt ihr euch nicht zerstreuen lassen.
Schüler.
Ich bin dabey mit Seele und Leib;
1905Doch freylich würde mir behagen
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Ein wenig Freyheit und Zeitvertreib
An schönen Sommerfeiertagen.
Mephistopheles.
Gebraucht der Zeit, sie geht so schnell von hinnen,
Doch Ordnung lehrt euch Zeit gewinnen.
1910Mein theurer Freund, ich rath’ euch drum
Zuerst Collegium Logicum.
Da wird der Geist auch wohl dressirt,
In Spanische Stiefeln eingeschnürt,
Daß er bedächtiger so fort an
1915Hinschleiche die Gedankenbahn,
Und nicht etwa die kreuz und quer
Irlichtelire hin und her.
Dann lehret man euch manchen Tag,
Daß, was ihr sonst auf einen Schlag
1920Getrieben, wie Essen und Trinken frey,
Eins! Zwey! Drey! dazu nöthig sey.
Zwar ist’s mit der Gedanken-Fabrik
Wie mit einem Weber-Meisterstück,
Wo Ein Tritt tausend Fäden regt,
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1925Die Schifflein herüber hinüber schießen,
Die Fäden ungesehen fließen,
Ein Schlag tausend Verbindungen schlägt:
Der Philosoph der tritt herein,
Und beweis’t euch, es müßt’ so seyn.
1930Das Erst’ wär’ so, das Zweyte so,
Und drum das Dritt’ und Vierte so;
Und wenn das Erst’ und Zweyt’ nicht wär’,
Das Dritt’ und Viert’ wär’ nimmermehr.
Das preisen die Schüler aller Orten,
1935Sind aber keine Weber geworden.
Wer will ’was lebendig’s erkennen und be­schreiben,
Sucht erst den Geist heraus zu treiben,
Dann hat er die Theile in seiner Hand,
Fehlt leider! nur das geistige Band.
1940Encheiresin naturae nennt’s die Chimie!
Spottet ihrer selbst, und weiß nicht wie.
Schüler.
Kann euch nicht eben ganz verstehen.
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Mephistopheles.
Das wird nächstens schon besser gehen,
Wenn ihr lernt alles reduciren
1945Und gehörig klassificiren.
Schüler.
Mir wird von allem dem so dumm,
Als ging’ mir ein Mühlrad im Kopf herum.
Mephistopheles.
Nachher vor allen andern Sachen
Müßt ihr euch an die Metaphysik machen!
1950Da seht, daß ihr tiefsinnig faßt,
Was in des Menschen Hirn nicht paßt;
Für, was drein geht und nicht drein geht,
Ein prächtig Wort zu Diensten steht.
Doch vorerst dieses halbe Jahr
1955Nehmt ja der besten Ordnung wahr.
Fünf Stunden habt ihr jeden Tag;
Seyd drinne mit dem Glockenschlag!
Habt euch vorher wohl präparirt,
Paragraphos wohl einstudirt,
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1960Damit ihr nachher besser seht,
Daß er nichts sagt, als was im Buche steht;
Doch euch des Schreibens ja befleißt,
Als dictirt’ euch der Heilig’ Geist!
Schüler.
Das sollt ihr mir nicht zweymal sagen!
1965Ich denke mir wie viel es nützt;
Denn, was man schwarz auf weiß besitzt,
Kann man getrost nach Hause tragen.
Mephistopheles.
Doch wählt mir eine Facultät!
Schüler.
Zur Rechtsgelehrsamkeit kann ich mich nicht bequemen.
Mephistopheles.
1970Ich kann es euch so sehr nicht übel nehmen,
Ich weiß wie es um diese Lehre steht.
Es erben sich Gesetz’ und Rechte,
Wie eine ew’ge Krankheit, fort,
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Sie schleppen von Geschlecht sich zum Ge­schlechte,
1975Und rücken sacht von Ort zu Ort.
Vernunft wird Unsinn, Wohlthat Plage;
Weh dir, daß du ein Enkel bist!
Vom Rechte, das mit uns geboren ist,
Von dem ist leider! nie die Frage.
Schüler.
1980Mein Abscheu wird durch euch vermehrt.
O glücklich der, den ihr belehrt!
Fast möcht’ ich nun Theologie studiren.
Mephistopheles.
Ich wünschte nicht euch irre zu führen.
Was diese Wissenschaft betrifft,
1985Es ist so schwer den falschen Weg zu meiden,
Es liegt in ihr so viel verborgnes Gift,
Und von der Arzeney ist’s kaum zu unter­scheiden.
Am besten ist’s auch hier, wenn ihr nur Einen hört,
Und auf des Meisters Worte schwört.
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1990Im Ganzen – haltet euch an Worte!
Dann geht ihr durch die sichre Pforte
Zum Tempel der Gewißheit ein.
Schüler.
Doch ein Begriff muß bey dem Worte seyn.
Mephistopheles.
Schon gut! Nur muß man sich nicht allzu ängstlich quälen,
1995Denn eben wo Begriffe fehlen,
Da stellt ein Wort zur rechten Zeit sich ein.
Mit Worten läßt sich trefflich streiten,
Mit Worten ein System bereiten,
An Worte läßt sich trefflich glauben,
2000Von einem Wort läßt sich kein Jota rauben.
Schüler.
Verzeiht, ich halt’ euch auf mit vielen Fragen,
Allein, ich muß euch noch bemüh’n.
Wollt ihr mir von der Medicin
Nicht auch ein kräftig Wörtchen sagen?
2005Drey Jahr’ ist eine kurze Zeit,
Und, Gott! das Feld ist gar zu weit.
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Wenn man einen Fingerzeig nur hat,
Läßt sich’s schon eher weiter fühlen.
Mephistopheles
für sich.
Ich bin des trocknen Tons nun satt,
2010Muß wieder recht den Teufel spielen.
Laut.
Der Geist der Medicin ist leicht zu fassen;
Ihr durchstudirt die groß’ und kleine Welt,
Um es am Ende gehn zu lassen,
Wie’s Gott gefällt.
2015Vergebens daß ihr ringsum wissenschaftlich schweift,
Ein jeder lernt nur was er lernen kann.
Doch der den Augenblick ergreift,
Das ist der rechte Mann.
Ihr seyd noch ziemlich wohl gebaut,
2020An Kühnheit wird’s euch auch nicht fehlen,
Und wenn ihr euch nur selbst vertraut,
Vertrauen euch die andern Seelen.
Besonders lernt die Weiber führen;
Es ist ihr ewig Weh und Ach
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2025So tausendfach
Aus Einem Puncte zu curiren,
Und wenn ihr halbweg ehrbar thut,
Dann habt ihr sie all’ unter’m Hut.
Ein Titel muß sie erst vertraulich machen,
2030Daß eure Kunst viel Künste übersteigt,
Zum Willkomm’ tappt ihr dann nach allen Siebensachen,
Um die ein andrer viele Jahre streicht,
Versteht das Pülslein wohl zu drücken,
Und fasset sie, mit feurig schlauen Blicken,
2035Wohl um die schlanke Hüfte frey,
Zu seh’n, wie fest geschnürt sie sey.
Schüler.
Das sieht schon besser aus! Man sieht doch wo und wie.
Mephistopheles.
Grau, theurer Freund, ist alle Theorie,
Und grün des Lebens goldner Baum.
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Schüler.
2040Ich schwör’ euch zu, mir ist’s als wie ein Traum.
Dürft’ ich euch wohl ein andermal beschwe­ren,
Von eurer Weisheit auf den Grund zu hören?
Mephistopheles.
Was ich vermag, soll gern geschehn.
Schüler.
Ich kann unmöglich wieder gehn,
2045Ich muß euch noch mein Stammbuch über­reichen.
Gönn’ eure Gunst mir dieses Zeichen!
Mephistopheles.
Sehr wohl.
Er schreibt und gibt’s.
Schüler
lies’t.
Eritis sicut Deus scientes bonum et malum.
Macht’s ehrerbiethig zu und empfiehlt sich.
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Mephistopheles.
Folg’ nur dem alten Spruch und meiner Muh­me der Schlange,
2050Dir wird gewiß einmal bey deiner Gottähn­lichkeit bange!
Faust tritt auf.
Faust.
Wohin soll es nun gehn?
Mephistopheles.
Wohin es dir gefällt.
Wir sehn die kleine, dann die große Welt.
Mit welcher Freude, welchem Nutzen,
Wirst du den Cursum durchschmarutzen!
Faust.
2055Allein mit meinem langen Bart
Fehlt mir die leichte Lebensart.
Es wird mir der Versuch nicht glücken;
Ich wußte nie mich in die Welt zu schicken.
Vor andern fühl’ ich mich so klein;
2060Ich werde stets verlegen seyn.
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Mephistopheles.
Mein guter Freund, das wird sich alles geben,
Sobald du dir vertraust, sobald weißt du zu leben.
Faust.
Wie kommen wir denn aus dem Haus?
Wo hast du Pferde, Knecht und Wagen?
Mephistopheles.
2065Wir breiten nur den Mantel aus,
Der soll uns durch die Lüfte tragen.
Du nimmst bey diesem kühnen Schritt
Nur keinen großen Bündel mit.
Ein Bißchen Feuerluft, die ich bereiten werde,
2070Hebt uns behend von dieser Erde.
Und sind wir leicht, so geht es schnell hinauf;
2072Ich gratulire dir zum neuen Lebenslauf.