333
353
∞Glockenklang nnd Chorgesang.
∞Chor der
Engel.
∞Faust.
742Welch tiefes Summen, welch ein heller Ton
743Zieht mit Gewalt das Glas von meinem Munde?
744Verkündiget ihr dumpfen Glocken schon
745Des Osterfestes erste Feyerstunde?
746Ihr Chöre, singt ihr schon den tröstlichen Gesang?
747Der einst, um Grabes Nacht, von Engelslippen klang,
748Gewißheit einem neuen Bunde.
∞Chor der
Weiber.
∞Chor der
Engel.
∞Faust.
762Was sucht ihr mächtig und gelind,
763Ihr Himmelstöne, mich am Staube?
764Klingt dort umher, wo weiche Menschen sind.
765Die Botschaft hör’ ich wohl, allein mir fehlt der Glaube;
766Das Wunder ist des Glaubens liebstes Kind.
767Zu jenen Sphären wag’ ich nicht zu streben,
768Woher die holde Nachricht tönt;
769Und doch, an diesen Klang von Jugend auf gewöhnt,
770Ruft er auch jetzt zurück mich in das Leben.
771Sonst stürzte sich der Himmels-Liebe Kuß
772Auf mich herab, in ernster Sabbathstille;
773Da klang so ahndungsvoll des Glockentones Fülle,
774Und ein Gebet war brünstiger Genuß;
775Ein unbegreiflich holdes Sehnen
776Trieb mich durch Wald und Wiesen hinzugehn,
777Und unter tausend heißen Thränen
778Fühlt’ ich mir eine Welt entstehn.
779Dies Lied verkündete der Jugend muntre Spiele,
780Der Frühlingsfeyer freyes Glück;
781Erinnrung hält mich nun, mit kindlichem Gefühle,
782Vom letzten, ernsten Schritt zurück.
783O! tönet fort, ihr süßen Himmelslieder!
784Die Thräne quillt, die Erde hat mich wieder!
∞Chor der
Jünger.
∞Faust
und Wagner.∞Wagner.
1011Welch ein Gefühl mußt du, o großer Mann!
1012Bey der Verehrung dieser Menge haben!
1013O! glücklich, wer von seinen Gaben
1014Solch einen Vortheil ziehen kann!
1015Der Vater zeigt dich seinem Knaben,
1016Ein jeder fragt und drängt und eilt,
1017Die Fiedel stockt, der Tänzer weilt.
1018Du gehst, in Reihen stehen sie,
1019Die Mützen fliegen in die Höh’;
1020Und wenig fehlt, so beugten sich die Knie,
1021Als käm’ das Venerabile.
∞Faust.
1022Nur wenig Schritte noch hinauf zu jenem Stein,
1023Hier wollen wir von unsrer Wandrung rasten.
1024Hier saß ich oft gedankenvoll allein,
1025Und quälte mich mit Beten und mit Fasten.
1026An Hoffnung reich, im Glauben fest,
1027Mit Thränen, Seufzen, Händeringen
1028Dacht’ ich das Ende jener Pest
1029Vom Herrn des Himmels zu erzwingen.
1030Der Menge Beyfall tönt mir nun wie Hohn.
1031O könntest du in meinem Innern lesen,
1032Wie wenig Vater und Sohn
1033Solch eines Ruhmes werth gewesen!
1034Mein Vater war ein dunkler Ehrenmann,
1035Der über die Natur und ihre heilgen Kreise,
1036In Redlichkeit, jedoch auf seine Weise,
1037Mit grillenhafter Mühe sann;
1038Der, in Gesellschaft von Adepten,
1039Sich in die schwarze Küche schloß,
1040Und, nach unendlichen Recepten,
1041Das Widrige zusammengoß.
1042Da ward ein rother Leu, ein kühner Freyer,
1043Im lauen Bad, der Lilie vermählt,
1044Und beyde dann, mit offnem Flammenfeuer,
1045Aus einem Brautgemach ins andere gequält.
1046Erschien darauf, mit bunten Farben,
1047Die junge Königin im Glas,
1048Hier war die Arzeney, die Patienten starben,
1049Und niemand fragte: wer genas?
1050So haben wir, mit höllischen Latwergen,
1051In diesen Thälern, diesen Bergen,
1052Weit schlimmer als die Pest getobt.
1053Ich habe selbst den Gift an Tausende gegeben,
1054Sie welkten hin, ich muß erleben,
1055Daß man die frechen Mörder lobt.
∞Wagner.
1056Wie könnt ihr euch darum betrüben!
1057Thut nicht ein braver Mann genug,
1058Die Kunst, die man ihm übertrug,
1059Gewissenhaft und pünktlich auszuüben?
1060Wenn du, als Jüngling, deinen Vater ehrst,
1061So wirst du gern von ihm empfangen;
1062Wenn du, als Mann, die Wissenschaft vermehrst,
1063So kann dein Sohn zu höhrem Ziel gelangen.
∞Faust.
1064O! glücklich, wer noch hoffen kann
1065Aus diesem Meer des Irrthums aufzutauchen!
1066Was man nicht weiß, das eben brauchte man,
1067Und was man weiß, kann man nicht brauchen.
1068Doch laß uns dieser Stunde schönes Gut,
1069Durch solchen Trübsinn, nicht verkümmern!
1070Betrachte, wie, in Abendsonne-Glut,
1071Die grünumgebnen Hütten schimmern.
354
1072Sie rückt und weicht, der Tag ist überlebt,
1073Dort eilt sie hin und fördert neues Leben.
1074O! daß kein Flügel mich vom Boden hebt,
1075Ihr nach und immer nach zu streben.
1076Ich säh’ im ewigen Abendstrahl
1077Die stille Welt zu meinen Füßen,
1078Entzündet alle Höh’n, beruhigt jedes Thal,
1079Den Silberbach in goldne Ströme fließen.
1080Nicht hemmte dann den göttergleichen Lauf
1081Der wilde Berg mit allen seinen Schluchten;
1082Schon thut das Meer sich mit erwärmten Buchten
1083Vor den erstaunten Augen auf.
1084Doch scheint die Göttin endlich wegzusinken;
1085Allein der neue Trieb erwacht,
1086Ich eile fort, ihr ew’ges Licht zu trinken,
1087Vor mir den Tag, und hinter mir die Nacht,
1088Den Himmel über mir, und unter mir die Wellen.
1089Ein schöner Traum, indessen sie entweicht.
1090Ach! zu des Geistes Flügeln wird so leicht
1091Kein körperlicher Flügel sich gesellen.
1092Doch ist es jedem eingeboren,
1093Daß sein Gefühl hinauf und vorwärts dringt,
1094Wenn über uns, im blauen Raum verloren,
1095Ihr schmetternd Lied die Lerche singt;
1096Wenn über schroffen Fichtenhöhen
1097Der Adler ausgebreitet schwebt,
1098Und über Flächen, über Seen
1099Der Kranich nach der Heimat strebt.
∞Wagner.
1100Ich hatte selbst oft grillenhafte Stunden,
1101Doch solchen Trieb hab’ ich noch nie empfunden.
1102Man sieht sich leicht an Wald und Feldern satt;
1103Des Vogels Fittig werd’ ich nie beneiden.
1104Wie anders tragen uns die Geistesfreuden
1105Von Buch zu Buch, von Blatt zu Blatt!
1106Da werden Winternächte hold und schön,
1107Ein selig Leben wärmet alle Glieder,
1108Und ach! entrollst du gar ein würdig Pergamen,
1109So steigt der ganze Himmel zu dir nieder.
∞Faust.
1110Du bist dir nur des einen Triebs bewußt,
1111O lerne nie den andern kennen!
1112Zwey Seelen wohnen, ach! in meiner Brust,
1113Die eine will sich von der andern trennen;
1114Die eine hält, in derber Liebeslust,
1115Sich an die Welt, mit klammernden Organen;
1116Die andre hebt gewaltsam sich vom Dust
1117Zu den Gefilden hoher Ahnen.
1118O gibt es Geister in der Luft,
1119Die zwischen Erd’ und Himmel herrschend weben,
1120So steiget nieder aus dem goldnen Duft
1121Und führt mich weg zu neuem buntem Leben!
1122Ja, wäre nur ein Zaubermantel mein!
1123Und trüg’ er mich in fremde Länder!
1124Mir sollt’ er um die köstlichsten Gewänder,
1125Nicht feil um einen Königsmantel seyn.
∞Wagner.
1126Berufe nicht die wohlbekannte Schaar,
1127Die, strömend, sich im Dunstkreis überbreitet,
1128Dem Menschen tausendfältige Gefahr,
1129Von allen Enden her, bereitet.
1130Von Norden dringt der scharfe Geisterzahn
1131Auf dich herbey, mit pfeilgespitzten Zungen;
1132Von Morgen ziehn, vertrocknend, sie heran,
1133Und nähren sich von deinen Lungen;
1134Wenn sie der Mittag aus der Wüste schickt,
1135Die Glut auf Glut um deinen Scheitel häufen,
1136So bringt der West den Schwarm, der erst erquickt,
1137Um dich und Feld und Aue zu ersäufen.
1138Sie hören gern, zum Schaden froh gewandt,
1139Gehorchen gern, weil sie uns gern betrügen;
1140Sie stellen wie vom Himmel sich gesandt,
1141Und lispeln englisch, wenn sie lügen.
1142Doch gehen wir! Ergraut ist schon die Welt,
1143Die Luft gekühlt, der Nebel fällt!
1144Am Abend schätzt man erst das Haus. –
1145Was stehst du so, und blickst erstaunt hinaus?
1146Was kann dich in der Dämmrung so ergreifen?
∞Faust.
1152Bemerkst du, wie in weitem Schneckenkreise
1153Er um uns her und immer näher jagt?
1154Und irr’ ich nicht, so zieht ein Feuerstrudel
1155Auf seinen Pfaden hinterdrein.
∞Wagner.
1156Ich sehe nichts als einen schwarzen Pudel;
1157Es mag bey euch wohl Augentäuschung seyn.
∞Faust.
1158Mir scheint es, daß er magisch leise Schlingen,
1159Zu künftgem Band, um unsre Füße zieht.
∞Wagner.
1160Ich seh’ ihn ungewiß und furchtsam uns umspringen,
1161Weil er, statt seines Herrn, zwey Unbekannte sieht.
∞Wagner.
1163Du siehst! ein Hund, und kein Gespenst ist da.
1164Er knurrt und zweifelt, legt sich auf den Bauch,
1165Er wedelt. Alles Hunde Brauch.
∞Wagner.
1167Es ist ein pudelnärrisch Thier.
1168Du stehest still, er wartet auf;
1169Du sprichst ihn an, er strebt an dir hinauf;
1170Verliere was, er wird es bringen,
1171Nach deinem Stock ins Wasser springen.
∞
430
∞Trüber Tag. Feld.
∞Faust.
Mephistopheles.
∞Faust.
∞Im
Elend! Verzweifelnd! Erbärmlich auf der Erde lange
∞verirrt und nun gefangen! Als
Missethäterinn im Kerker
∞zu
entsetzlichen Qualen eingesperrt das holde unselige Geschöpf!
∞Bis
dahin! dahin! – Verräthrischer, nichtswürdiger
∞Geist, und das hast du mir
verheimlicht! – Steh nur,
∞steh! wälze die teuflischen Augen ingrimmend im Kopf herum!
∞Steh und
trutze mir durch deine unerträgliche Gegenwart!
∞Gefangen! Im
unwiederbringlichen Elend! Bösen
∞Geistern übergeben und der richtenden gefühllosen
Menschheit!
∞Und mich wiegst du indeß in abgeschmackten
Zerstreuungen,
∞verbirgst mir ihren wachsenden Jammer, und
lässest
∞sie hülflos
verderben!
∞Faust.
∞Hund!
abscheuliches Unthier! – Wandle ihn, du unendlicher
∞Geist! wandle den Wurm
wieder in seine Hundsgestalt,
∞wie er sich oft nächtlicher Weile gefiel vor mir
herzutrotten,
∞dem
harmlosen Wandrer vor die Füße zu kollern, und sich
∞dem niederstürzenden auf die
Schultern zu hängen. Wandl’
∞ihn wieder in seine Lieblingsbildung, daß er vor mir
im
∞Sand auf dem Bauche
krieche, ich ihn mit Füßen trete, den
∞Verworfnen! – Die erste nicht! –
Jammer! Jammer!
∞von keiner
Menschenseele zu fassen, daß mehr als ein Geschöpf
∞in die Tiefe dieses
Elendes versank, daß nicht das erste
∞genugthat für die Schuld aller übrigen in seiner
windenden
∞Todesnoth vor den Augen des ewig Verzeihenden! Mir
∞wühlt es Mark und Leben durch, das
Elend dieser einzigen,
∞du grinsest gelassen über das Schicksal von
Tausenden hin.
∞Mephistopheles.
∞Faust.
∞Mephistopheles.
∞
Faust blickt wild umher.
∞Mephistopheles.
∞Mephistopheles.
∞Faust.
∞Mephistopheles.