Goethe’s Werke.
Vollständige Ausgabe letzter Hand.
Zwölfter Band. Unter des durchlauchtigsten deutschen Bundes schützenden Privilegien.

Stuttgart und Tübingen, in der J. G. Cotta’schen Buchhandlung. 1828.
Inhalt.

Faust, erster Theil. Faust, zweyter Theil.

1
Faust.

Eine Tragödie.
2
3

Zueignung.


5
1Ihr naht euch wieder, schwankende Gestalten!
Die früh sich einst dem trüben Blick gezeigt.
Versuch’ ich wohl euch dießmal fest zu halten?
Fühl’ ich mein Herz noch jenem Wahn geneigt?
5Ihr drängt euch zu! nun gut, so mögt ihr walten,
Wie ihr aus Dunst und Nebel um mich steigt;
Mein Busen fühlt sich jugendlich erschüttert
Vom Zauberhauch, der euren Zug umwittert.
Ihr bringt mit euch die Bilder froher Tage,
10Und manche liebe Schatten steigen auf;
Gleich einer alten halbverklungnen Sage,
Kommt erste Lieb’ und Freundschaft mit herauf;
Der Schmerz wird neu, es wiederholt die Klage
Des Lebens labyrinthisch irren Lauf,
15Und nennt die Guten, die, um schöne Stunden
Vom Glück getäuscht, vor mir hinweggeschwunden.
Sie hören nicht die folgenden Gesänge,
Die Seelen, denen ich die ersten sang;
Zerstoben ist das freundliche Gedränge,
20Verklungen ach! der erste Wiederklang.
Mein Leid ertönt der unbekannten Menge,
Ihr Beifall selbst macht meinem Herzen bang,
Und was sich sonst an meinem Lied erfreuet,
Wenn es noch lebt, irrt in der Welt zerstreuet.
6
25Und mich ergreift ein längst entwöhntes Sehnen
Nach jenem stillen ernsten Geisterreich,
Es schwebet nun in unbestimmten Tönen
Mein lispelnd Lied, der Aeolsharfe gleich,
Ein Schauer faßt mich, Thräne folgt den Thränen,
30Das strenge Herz es fühlt sich mild und weich;
Was ich besitze seh’ ich wie im weiten,
32Und was verschwand wird mir zu Wirklichkeiten.

7

Vorspiel auf dem Theater.


9
Director, Theaterdichter, lustige Person.
Director.
33Ihr beiden, die ihr mir so oft,
In Noth und Trübsal, beigestanden,
35Sagt was ihr wohl in deutschen Landen
Von unsrer Unternehmung hofft?
Ich wünschte sehr der Menge zu behagen,
Besonders weil sie lebt und leben läßt.
Die Pfosten sind, die Breter aufgeschlagen,
40Und jedermann erwartet sich ein Fest.
Sie sitzen schon, mit hohen Augenbraunen,
Gelassen da und möchten gern erstaunen.
Ich weiß wie man den Geist des Volks versöhnt;
Doch so verlegen bin ich nie gewesen;
45Zwar sind sie an das Beste nicht gewöhnt,
Allein sie haben schrecklich viel gelesen.
Wie machen wir’s, daß alles frisch und neu
Und mit Bedeutung auch gefällig sey?
Denn freilich mag ich gern die Menge sehen,
50Wenn sich der Strom nach unsrer Bude drängt,
Und mit gewaltig wiederholten Wehen
Sich durch die enge Gnadenpforte zwängt,
10
Bei hellem Tage, schon vor Vieren,
Mit Stößen sich bis an die Kasse ficht
55Und, wie in Hungersnoth um Brot an Beckerthüren,
Um ein Billet sich fast die Hälse bricht,
Dieß Wunder wirkt auf so verschiedne Leute
Der Dichter nur; mein Freund, o! thu’ es heute!
Dichter.
O sprich mir nicht von jener bunten Menge,
60Bei deren Anblick uns der Geist entflieht.
Verhülle mir das wogende Gedränge,
Das wider Willen uns zum Strudel zieht.
Nein, führe mich zur stillen Himmelsenge,
Wo nur dem Dichter reine Freude blüht;
65Wo Lieb’ und Freundschaft unsres Herzens Segen
Mit Götterhand erschaffen und erpflegen.
Ach! was in tiefer Brust uns da entsprungen,
Was sich die Lippe schüchtern vorgelallt,
Mißrathen jetzt und jetzt vielleicht gelungen,
70Verschlingt des wilden Augenblicks Gewalt.
Oft wenn es erst durch Jahre durchgedrungen
Erscheint es in vollendeter Gestalt.
Was glänzt ist für den Augenblick geboren;
Das Aechte bleibt der Nachwelt unverloren.
Lustige Person.
75Wenn ich nur nichts von Nachwelt hören sollte;
Gesetzt daß ich von Nachwelt reden wollte,
11
Wer machte denn der Mitwelt Spaß?
Den will sie doch und soll ihn haben.
Die Gegenwart von einem braven Knaben
80Ist, dächt’ ich, immer auch schon was.
Wer sich behaglich mitzutheilen weiß,
Den wird des Volkes Laune nicht erbittern;
Er wünscht sich einen großen Kreis,
Um ihn gewisser zu erschüttern.
85Drum seyd nur brav und zeigt euch musterhaft,
Laßt Phantasie, mit allen ihren Chören,
Vernunft, Verstand, Empfindung, Leidenschaft,
Doch, merkt euch wohl! nicht ohne Narrheit hören.
Director.
Besonders aber laßt genug geschehn!
90Man kommt zu schaun, man will am liebsten sehn.
Wird Vieles vor den Augen abgesponnen,
So daß die Menge staunend gaffen kann,
Da habt ihr in der Breite gleich gewonnen,
Ihr seyd ein vielgeliebter Mann.
95Die Masse könnt ihr nur durch Masse zwingen,
Ein jeder sucht sich endlich selbst was aus.
Wer Vieles bringt, wird manchem etwas bringen;
Und jeder geht zufrieden aus dem Haus.
Gebt ihr ein Stück, so gebt es gleich in Stücken!
100Solch ein Ragout es muß euch glücken;
Leicht ist es vorgelegt, so leicht als ausgedacht.
Was hilft’s, wenn ihr ein Ganzes dargebracht,
Das Publikum wird es euch doch zerpflücken.
12
Dichter.
Ihr fühlet nicht, wie schlecht ein solches Handwerk sey!
105Wie wenig das dem ächten Künstler zieme!
Der saubern Herren Pfuscherey
Ist, merk’ ich, schon bei euch Maxime.
Director.
Ein solcher Vorwurf läßt mich ungekränkt;
Ein Mann, der recht zu wirken denkt,
110Muß auf das beste Werkzeug halten.
Bedenkt, ihr habet weiches Holz zu spalten,
Und seht nur hin für wen ihr schreibt!
Wenn diesen Langeweile treibt,
Kommt jener satt vom übertischten Mahle,
115Und, was das allerschlimmste bleibt,
Gar mancher kommt vom Lesen der Journale.
Man eilt zerstreut zu uns, wie zu den Maskenfesten,
Und Neugier nur beflügelt jeden Schritt;
Die Damen geben sich und ihren Putz zum besten
120Und spielen ohne Gage mit.
Was träumet ihr auf eurer Dichter-Höhe?
Was macht ein volles Haus euch froh?
Beseht die Gönner in der Nähe!
Halb sind sie kalt, halb sind sie roh.
125Der, nach dem Schauspiel, hofft ein Kartenspiel,
Der eine wilde Nacht an einer Dirne Busen.
Was plagt ihr armen Thoren viel,
Zu solchem Zweck, die holden Musen?
13
Ich sag’ euch, gebt nur mehr, und immer immer mehr,
130So könnt ihr euch vom Ziele nie verirren,
Sucht nur die Menschen zu verwirren,
Sie zu befriedigen ist schwer – –
Was fällt euch an? Entzückung oder Schmerzen?
Dichter.
Geh hin und such dir einen andern Knecht!
135Der Dichter sollte wohl das höchste Recht,
Das Menschenrecht, das ihm Natur vergönnt,
Um deinetwillen freventlich verscherzen!
Wodurch bewegt er alle Herzen?
Wodurch besiegt er jedes Element?
140Ist es der Einklang nicht, der aus dem Busen dringt,
Und in sein Herz die Welt zurücke schlingt?
Wenn die Natur des Fadens ew’ge Länge,
Gleichgültig drehend, auf die Spindel zwingt,
Wenn aller Wesen unharmon’sche Menge
145Verdrießlich durch einander klingt;
Wer theilt die fließend immer gleiche Reihe,
Belebend ab, daß sie sich rhythmisch regt?
Wer ruft das Einzelne zur allgemeinen Weihe,
Wo es in herrlichen Accorden schlägt?
150Wer läßt den Sturm zu Leidenschaften wüthen?
Das Abendroth im ernsten Sinne glühn?
Wer schüttet alle schönen Frühlingsblüthen
Auf der Geliebten Pfade hin?
14
Wer flicht die unbedeutend grünen Blätter
155Zum Ehrenkranz Verdiensten jeder Art?
Wer sichert den Olymp, vereinet Götter?
Des Menschen Kraft im Dichter offenbart.
Lustige Person.
So braucht sie denn die schönen Kräfte
Und treibt die dicht’rischen Geschäfte,
160Wie man ein Liebesabenteuer treibt.
Zufällig naht man sich, man fühlt, man bleibt
Und nach und nach wird man verflochten;
Es wächst das Glück, dann wird es angefochten,
Man ist entzückt, nun kommt der Schmerz heran,
165Und eh man sich’s versieht, ist’s eben ein Roman.
Laßt uns auch so ein Schauspiel geben!
Greift nur hinein in’s volle Menschenleben!
Ein jeder lebt’s, nicht vielen ist’s bekannt,
Und wo ihr’s packt, da ist’s interessant.
170In bunten Bildern wenig Klarheit,
Viel Irrthum und ein Fünkchen Wahrheit,
So wird der beste Trank gebraut,
Der alle Welt erquickt und auferbaut.
Dann sammelt sich der Jugend schönste Blüthe
175Vor eurem Spiel und lauscht der Offenbarung,
Dann sauget jedes zärtliche Gemüthe
Aus eurem Werk sich melanchol’sche Nahrung,
Dann wird bald dieß bald jenes aufgeregt,
Ein jeder sieht was er im Herzen trägt.
15
180Noch sind sie gleich bereit zu weinen und zu lachen,
Sie ehren noch den Schwung, erfreuen sich am Schein;
Wer fertig ist, dem ist nichts recht zu machen;
Ein Werdender wird immer dankbar seyn.
Dichter.
So gib mir auch die Zeiten wieder,
185Da ich noch selbst im Werden war,
Da sich ein Quell gedrängter Lieder
Ununterbrochen neu gebar,
Da Nebel mir die Welt verhüllten,
Die Knospe Wunder noch versprach,
190Da ich die tausend Blumen brach,
Die alle Thäler reichlich füllten.
Ich hatte nichts und doch genug,
Den Drang nach Wahrheit und die Lust am Trug.
Gib ungebändigt jene Triebe,
195Das tiefe schmerzenvolle Glück,
Des Hasses Kraft, die Macht der Liebe,
Gib meine Jugend mir zurück!
Lustige Person.
Der Jugend, guter Frennd, bedarfst du allenfalls,
Wenn dich in Schlachten Feinde drängen,
200Wenn mit Gewalt an deinen Hals
Sich allerliebste Mädchen hängen,
Wenn fern des schnellen Laufes Kranz
Vom schwer erreichten Ziele winket,
Wenn nach dem heft’gen Wirbeltanz
205Die Nächte schmausend man vertrinket.
16
Doch in’s bekannte Saitenspiel
Mit Muth und Anmuth einzugreifen,
Nach einem selbgesteckten Ziel
Mit holdem Irren hinzuschweifen,
210Das, alte Herrn, ist eure Pflicht,
Und wir verehren euch darum nicht minder.
Das Alter macht nicht kindisch, wie man spricht,
Es findet uns nur noch als wahre Kinder.
Director.
Der Worte sind genug gewechselt,
215Laßt mich auch endlich Thaten sehn;
Indeß ihr Complimente drechselt,
Kann etwas nützliches geschehn.
Was hilft es viel von Stimmung reden?
Dem Zaudernden erscheint sie nie.
220Gebt ihr euch einmal für Poeten,
So commandirt die Poesie.
Euch ist bekannt, was wir bedürfen,
Wir wollen stark Getränke schlürfen;
Nun braut mir unverzüglich dran!
225Was heute nicht geschieht, ist morgen nicht gethan,
Und keinen Tag soll man verpassen,
Das Mögliche soll der Entschluß
Beherzt sogleich beim Schopfe fassen,
Er will es dann nicht fahren lassen,
230Und wirket weiter, weil er muß.
17
Ihr wißt, auf unsern deutschen Bühnen
Probirt ein jeder was er mag;
Drum schonet mir an diesem Tag
Prospecte nicht und nicht Maschinen.
235Gebraucht das groß’ und kleine Himmelslicht,
Die Sterne dürfet ihr verschwenden;
An Wasser, Feuer, Felsenwänden,
An Thier und Vögeln fehlt es nicht.
So schreitet in dem engen Breterhaus
240Den ganzen Kreis der Schöpfung aus,
Und wandelt mit bedächt’ger Schnelle
242Vom Himmel durch die Welt zur Hölle.

19

Prolog im Himmel.


21
Der Herr, die himmlischen Heerschaaren, nachher Mephistopheles.
Die drey Erzengel treten vor.
Raphael.
243Die Sonne tönt nach alter Weise
In Brudersphären Wettgesang,
245Und ihre vorgeschrieb’ne Reise
Vollendet sie mit Donnergang,
Ihr Anblick gibt den Engeln Stärke,
Wenn keiner sie ergründen mag;
Die unbegreiflich hohen Werke
250Sind herrlich wie am ersten Tag.
Gabriel.
Und schnell und unbegreiflich schnelle
Dreht sich umher der Erde Pracht;
Es wechselt Paradieses-Helle
Mit tiefer schauervoller Nacht;
255Es schäumt das Meer in breiten Flüssen
Am tiefen Grund der Felsen auf,
Und Fels und Meer wird fortgerissen
In ewig schnellem Sphärenlauf.
22
Michael.
Und Stürme brausen um die Wette,
260Vom Meer auf’s Land, vom Land auf’s Meer,
Und bilden wüthend eine Kette
Der tiefsten Wirkung rings umher.
Da flammt ein blitzendes Verheeren
Dem Pfade vor des Donnerschlags;
265Doch deine Boten, Herr, verehren
Das sanfte Wandeln deines Tags.
Zu Drey.
Der Anblick gibt den Engeln Stärke
Da keiner dich ergründen mag,
Und alle deine hohen Werke
270Sind herrlich wie am ersten Tag.
Mephistopheles.
Da du, o Herr, dich einmal wieder nahst
Und fragst wie alles sich bei uns befinde,
Und du mich sonst gewöhnlich gerne sahst;
So siehst du mich auch unter dem Gesinde.
275Verzeih, ich kann nicht hohe Worte machen,
Und wenn mich auch der ganze Kreis verhöhnt;
Mein Pathos brächte dich gewiß zum Lachen,
Hätt’st du dir nicht das Lachen abgewöhnt.
Von Sonn’ und Welten weiß ich nichts zu sagen,
280Ich sehe nur wie sich die Menschen plagen.
Der kleine Gott der Welt bleibt stets von gleichem Schlag,
Und ist so wunderlich als wie am ersten Tag.
23
Ein wenig besser würd’ er leben,
Hätt’st du ihm nicht den Schein des Himmelslichts gegeben;
285Er nennt’s Vernunft und braucht’s allein,
Nur thierischer als jedes Thier zu seyn.
Er scheint mir, mit Verlaub von Ew. Gnaden,
Wie eine der langbeinigen Cicaden,
Die immer fliegt und fliegend springt
290Und gleich im Gras ihr altes Liedchen singt;
Und läg’ er nur noch immer in dem Grase!
In jeden Quark begräbt er seine Nase.
Der Herr.
Hast du mir weiter nichts zu sagen?
Kommst du nur immer anzuklagen?
295Ist auf der Erde ewig dir nichts recht?
Mephistopheles.
Nein Herr! ich find’ es dort, wie immer, herzlich schlecht.
Die Menschen dauern mich in ihren Jammertagen,
Ich mag sogar die armen selbst nicht plagen.
Der Herr.
Kennst du den Faust?
Mephistopheles.
Den Doctor?
Der Herr.
Meinen Knecht!
Mephistopheles.
300Fürwahr! er dient euch auf besondre Weise.
Nicht irdisch ist des Thoren Trank noch Speise.
24
Ihn treibt die Gährung in die Ferne,
Er ist sich seiner Tollheit halb bewußt;
Vom Himmel fordert er die schönsten Sterne,
305Und von der Erde jede höchste Lust,
Und alle Näh’ und alle Ferne
Befriedigt nicht die tiefbewegte Brust.
Der Herr.
Wenn er mir jetzt auch nur verworren dient;
So werd’ ich ihn bald in die Klarheit führen.
310Weiß doch der Gärtner, wenn das Bäumchen grünt,
Daß Blüth’ und Frucht die künft’gen Jahre zieren.
Mephistopheles.
Was wettet ihr? den sollt ihr noch verlieren,
Wenn ihr mir die Erlaubniß gebt
Ihn meine Straße sacht zu führen!
Der Herr.
315So lang’ er auf der Erde lebt,
So lange sey dir’s nicht verboten.
Es irrt der Mensch so lang’ er strebt.
Mephistopheles.
Da dank’ ich euch; denn mit den Todten
Hab’ ich mich niemals gern befangen.
320Am meisten lieb’ ich mir die vollen frischen Wangen.
Für einen Leichnam bin ich nicht zu Haus;
Mir geht es wie der Katze mit der Maus.
25
Der Herr.
Nun gut, es sey dir überlassen!
Zieh diesen Geist von seinem Urquell ab,
325Und führ’ ihn, kannst du ihn erfassen,
Auf deinem Wege mit herab,
Und steh’ beschämt, wenn du bekennen mußt:
Ein guter Mensch in seinem dunkeln Drange
Ist sich des rechten Weges wohl bewußt.
Mephistopheles.
330Schon gut! nur dauert es nicht lange.
Mir ist für meine Wette gar nicht bange.
Wenn ich zu meinem Zweck gelange,
Erlaubt ihr mir Triumph aus voller Brust.
Staub soll er fressen, und mit Lust,
335Wie meine Muhme, die berühmte Schlange.
Der Herr.
Du darfst auch da nur frei erscheinen;
Ich habe deines gleichen nie gehaßt.
Von allen Geistern die verneinen
Ist mir der Schalk am wenigsten zur Last.
340Des Menschen Thätigkeit kann allzuleicht erschlaffen,
Er liebt sich bald die unbedingte Ruh;
Drum geb’ ich gern ihm den Gesellen zu,
Der reizt und wirkt, und muß, als Teufel, schaffen.
Doch ihr, die ächten Göttersöhne,
345Erfreut euch der lebendig reichen Schöne!
26
Das Werdende, das ewig wirkt und lebt,
Umfass’ euch mit der Liebe holden Schranken,
Und was in schwankender Erscheinung schwebt,
Befestiget mit dauernden Gedanken.
Der Himmel schließt, die Erzengel vertheilen sich.
Mephistopheles
allein.
350Von Zeit zu Zeit seh’ ich den Alten gern,
Und hüte mich mit ihm zu brechen.
Es ist gar hübsch von einem großen Herrn,
353So menschlich mit dem Teufel selbst zu sprechen.

27

Der Tragödie Erster Theil.

29

Nacht.

In einem hochgewölbten, engen, gothischen Zimmer Faust unruhig auf seinem Sessel am Pulte.

Faust.
354Habe nun, ach! Philosophie,
355Juristerey und Medicin,
Und leider auch Theologie!
Durchaus studirt, mit heißem Bemühn.
Da steh’ ich nun, ich armer Thor!
Und bin so klug als wie zuvor;
360Heiße Magister, heiße Doctor gar,
Und ziehe schon an die zehen Jahr,
Herauf, herab und quer und krumm,
Meine Schüler an der Nase herum –
Und sehe, daß wir nichts wissen können!
365Das will mir schier das Herz verbrennen.
Zwar bin ich gescheidter als alle die Laffen,
Doctoren, Magister, Schreiber und Pfaffen;
Mich plagen keine Scrupel noch Zweifel,
Fürchte mich weder vor Hölle noch Teufel –
370Dafür ist mir auch alle Freud’ entrissen,
Bilde mir nicht ein was rechts zu wissen,
30
Bilde mir nicht ein ich könnte was lehren
Die Menschen zu bessern und zu bekehren.
Auch hab’ ich weder Gut noch Geld,
375Noch Ehr’ und Herrlichkeit der Welt;
Es möchte kein Hund so länger leben!
Drum hab’ ich mich der Magie ergeben,
Ob mir, durch Geistes Kraft und Mund,
Nicht manch Geheimniß würde kund;
380Daß ich nicht mehr, mit sauerm Schweiß,
Zu sagen brauche was ich nicht weiß;
Daß ich erkenne was die Welt
Im Innersten zusammenhält,
Schau’ alle Wirkenskraft und Samen,
385Und thu’ nicht mehr in Worten kramen.
O sähst du, voller Mondeuschein,
Zum letztenmal auf meine Pein,
Den ich so manche Mitternacht
An diesem Pult herangewacht:
390Dann, über Büchern und Papier,
Trübsel’ger Freund, erschienst du mir!
Ach! könnt’ ich doch auf Berges-Höh’n,
In deinem lieben Lichte gehn,
Um Bergeshöhle mit Geistern schweben,
395Auf Wiesen in deinem Dämmer weben,
Von allem Wissensqualm entladen
In deinem Thau gesund mich baden!
Weh! steck’ ich in dem Kerker noch?
Verfluchtes dumpfes Mauerloch!
31
400Wo selbst das liebe Himmelslicht
Trüb’ durch gemahlte Scheiben bricht!
Beschränkt von diesem Bücherhauf,
Den Würme nagen, Staub bedeckt,
Den, bis an’s hohe Gewölb’ hinauf,
405Ein angeraucht Papier umsteckt;
Mit Gläsern, Büchsen rings umstellt,
Mit Instrumenten vollgepfropft,
Urväter Hausrath drein gestopft –
Das ist deine Welt! das heißt eine Welt!
410Und fragst du noch, warum dein Herz
Sich bang’ in deinem Busen klemmt?
Warum ein unerklärter Schmerz
Dir alle Lebensregung hemmt?
Statt der lebendigen Natur,
415Da Gott die Menschen schuf hinein,
Umgibt in Rauch und Moder nur
Dich Thiergeripp’ und Todtenbein.
Flieh! Auf! Hinaus in’s weite Land!
Und dieß geheimnißvolle Buch,
420Von Nostradamus eigner Hand,
Ist dir es nicht Geleit genug?
Erkennest dann der Sterne Lauf,
Und wenn Natur dich unterweist,
Dann geht die Seelenkraft dir auf,
425Wie spricht ein Geist zum andern Geist.
Umsonst, daß trocknes Sinnen hier
Die heil’gen Zeichen dir erklärt.
32
Ihr schwebt, ihr Geister, neben mir;
Antwortet mir, wenn ihr mich hört!
Er schlägt das Buch auf und erblickt das Zeichen des Makro­kosmus.
430Ha! welche Wonne fließt in diesem Blick
Auf einmal mir durch alle meine Sinnen!
Ich fühle junges heil’ges Lebensglück
Neuglühend mir durch Nerv’ und Adern rinnen.
War es ein Gott, der diese Zeichen schrieb,
435Die mir das inn’re Toben stillen,
Das arme Herz mit Freude füllen,
Und mit geheimnißvollem Trieb,
Die Kräfte der Natur rings um mich her enthüllen?
Bin ich ein Gott? Mir wird so licht!
440Ich schau’ in diesen reinen Zügen
Die wirkende Natur vor meiner Seele liegen.
Jetzt erst erkenn’ ich was der Weise spricht:
„Die Geisterwelt ist nicht verschlossen;
„Dein Sinn ist zu, dein Herz ist todt!
445„Auf, bade, Schüler, unverdrossen
„Die ird’sche Brust im Morgenroth!“
Er beschaut das Zeichen.
Wie alles sich zum Ganzen webt,
Eins in dem andern wirkt und lebt!
Wie Himmelskräfte auf und nieder steigen
450Und sich die goldnen Eimer reichen!
Mit segenduftenden Schwingen
Vom Himmel durch die Erde dringen,
Harmonisch all’ das All durchklingen!
33
Welch Schauspiel! aber ach! ein Schauspiel nur!
455Wo fass’ ich dich, unendliche Natur?
Euch Brüste, wo? Ihr Quellen alles Lebens,
An denen Himmel und Erde hängt,
Dahin die welke Brust sich drängt –
Ihr quellt, ihr tränkt, und schmacht’ ich so vergebens?
Er schlägt unwillig das Buch um, und erblickt das Zeichen des Erdgeistes.
460Wie anders wirkt dieß Zeichen auf mich ein!
Du, Geist der Erde, bist mir näher;
Schon fühl’ ich meine Kräfte höher,
Schon glüh’ ich wie von neuem Wein,
Ich fühle Muth mich in die Welt zu wagen,
465Der Erde Weh, der Erde Glück zu tragen,
Mit Stürmen mich herumzuschlagen,
Und in des Schiffbruchs Knirschen nicht zu zagen,
Es wölkt sich über mir –
Der Mond verbirgt sein Licht –
470Die Lampe schwindet!
Es dampft! – Es zucken rothe Strahlen
Mir um das Haupt – Es weht
Ein Schauer vom Gewölb’ herab
Und faßt mich an!
475Ich fühl’s, du schwebst um mich, erflehter Geist.
Enthülle dich!
Ha! wie’s in meinem Herzen reißt!
Zu neuen Gefühlen
All’ meine Sinnen sich erwühlen!
34
480Ich fühle ganz mein Herz dir hingegeben!
Du mußt! du mußt! und kostet’ es mein Leben!
Er faßt das Buch und spricht das Zeichen des Geistes geheimniß­voll aus. Es zuckt eine röthliche Flamme, der Geist erscheint in der Flamme.
Geist.
Wer ruft mir?
Faust
abgewendet.
Schreckliches Gesicht!
Geist.
Du hast mich mächtig angezogen,
An meiner Sphäre lang’ gesogen,
485Und nun –
Faust.
485Weh! ich ertrag’ dich nicht!
Geist.
Du flehst erathmend mich zu schauen,
Meine Stimme zu hören, mein Antlitz zu sehn;
Mich neigt dein mächtig Seelenflehn,
Da bin ich! – Welch erbärmlich Grauen
490Faßt Uebermenschen dich! Wo ist der Seele Ruf?
Wo ist die Brust, die eine Welt in sich erschuf,
Und trug und hegte, die mit Freudebeben
Erschwoll, sich uns, den Geistern, gleich zu heben?
Wo bist du, Faust, deß Stimme mir erklang,
495Der sich an mich mit allen Kräften drang?
Bist Du es? der, von meinem Hauch umwittert,
In allen Lebenstiefen zittert,
Ein furchtsam weggekrümmter Wurm!
35
Faust.
Soll ich dir, Flammenbildung, weichen?
500Ich bin’s, bin Faust, bin deines gleichen!
Geist.
In Lebensfluthen, im Thatensturm
Wall’ ich auf und ab,
Wehe hin und her!
Geburt und Grab,
505Ein ewiges Meer,
Ein wechselnd Weben,
Ein glühend Leben,
So schaff’ ich am sausenden Webstuhl der Zeit,
Und wirke der Gottheit lebendiges Kleid.
Faust.
510Der du die weite Welt umschweifst,
Geschäftiger Geist, wie nah fühl’ ich mich dir!
Geist.
Du gleichst dem Geist den du begreifst,
Nicht mir!
Verschwindet.
Faust
zusammenstürzend.
Nicht dir?
515Wem denn?
Ich Ebenbild der Gottheit!
Und nicht einmal dir!
Es klopft.
O Tod! ich kenn’s – das ist mein Famulus –
Es wird mein schönstes Glück zu nichte!
36
520Daß diese Fülle der Gesichte
Der trockne Schleicher stören muß!
Wagner im Schlafrocke und der Nachtmütze, eine Lampe in der Hand. Faust wendet sich unwillig.
Wagner.
Verzeiht! ich hör’ euch declamiren;
Ihr las’t gewiß ein griechisch Trauerspiel?
In dieser Kunst möcht’ ich ’was profitiren,
525Denn heut zu Tage wirkt das viel.
Ich hab’ es öfters rühmen hören,
Ein Komödiant könnt’ einen Pfarrer lehren.
Faust.
Ja, wenn der Pfarrer ein Komödiant ist;
Wie das denn wohl zu Zeiten kommen mag.
Wagner.
530Ach! wenn man so in sein Museum gebannt ist,
Und sieht die Welt kaum einen Feyertag,
Kaum durch ein Fernglas, nur von weiten,
Wie soll man sie durch Ueberredung leiten?
Faust.
Wenn ihr’s nicht fühlt, ihr werdet’s nicht erjagen,
535Wenn es nicht aus der Seele dringt,
Und mit urkräftigem Behagen
Die Herzen aller Hörer zwingt.
Sitzt ihr nur immer! Leimt zusammen,
Braut ein Ragout von andrer Schmaus,
540Und blas’t die kümmerlichen Flammen
Aus eurem Aschenhäufchen ’raus!
37
Bewund’rung von Kindern und Affen,
Wenn euch darnach der Gaumen steht;
Doch werdet ihr nie Herz zu Herzen schaffen,
545Wenn es euch nicht von Herzen geht.
Wagner.
Allein der Vortrag macht des Redners Glück;
Ich fühl’ es wohl noch bin ich weit zurück.
Faust.
Such’ Er den redlichen Gewinn!
Sey Er kein schellenlauter Thor!
550Es trägt Verstand und rechter Sinn
Mit wenig Kunst sich selber vor;
Und wenn’s euch Ernst ist was zu sagen,
Ist’s nöthig Worten nachzujagen?
Ja, eure Reden, die so blinkend sind,
555In denen ihr der Menschheit Schnitzel kräuselt,
Sind unerquicklich wie der Nebelwind,
Der herbstlich durch die dürren Blätter säuselt!
Wagner.
Ach Gott! die Kunst ist lang!
Und kurz ist unser Leben.
560Mir wird, bei meinem kritischen Bestreben,
Doch oft um Kopf und Busen bang’.
Wie schwer sind nicht die Mittel zu erwerben,
Durch die man zu den Quellen steigt!
Und eh’ man nur den halben Weg erreicht,
565Muß wohl ein armer Teufel sterben.
38
Faust.
Das Pergament ist das der heil’ge Bronnen,
Woraus ein Trunk den Durst auf ewig stillt?
Erquickung hast du nicht gewonnen,
Wenn sie dir nicht aus eigner Seele quillt.
Wagner.
570Verzeiht! es ist ein groß Ergetzen
Sich in den Geist der Zeiten zu versetzen,
Zu schauen wie vor uns ein weiser Mann gedacht,
Und wie wir’s dann zuletzt so herrlich weit gebracht.
Faust.
O ja, bis an die Sterne weit!
575Mein Freund, die Zeiten der Vergangenheit
Sind uns ein Buch mit sieben Siegeln;
Was ihr den Geist der Zeiten heißt,
Das ist im Grund der Herren eigner Geist,
In dem die Zeiten sich bespiegeln.
580Da ist’s denn wahrlich oft ein Jammer!
Man läuft euch bei dem ersten Blick davon.
Ein Kehrichtfaß und eine Rumpelkammer,
Und höchstens eine Haupt- und Staatsaction,
Mit trefflichen pragmatischen Maximen,
585Wie sie den Puppen wohl im Munde ziemen!
Wagner,
Allein die Welt! des Menschen Herz und Geist!
Möcht’ jeglicher doch was davon erkennen.
Faust.
Ja was man so erkennen heißt!
Wer darf das Kind beim rechten Namen nennen?
39
590Die wenigen, die was davon erkannt,
Die thöricht g’nug ihr volles Herz nicht wahrten,
Dem Pöbel ihr Gefühl, ihr Schauen offenbarten,
Hat man von je gekreutzigt und verbrannt.
Ich bitt’ euch, Freund, es ist tief in der Nacht,
595Wir müssen’s dießmal unterbrechen.
Wagner.
Ich hätte gern nur immer fortgewacht,
Um so gelehrt mit euch mich zu besprechen.
Doch morgen, als am ersten Ostertage,
Erlaubt mir ein’ und andre Frage.
600Mit Eifer hab’ ich mich der Studien beflissen;
Zwar weiß ich viel, doch möcht’ ich alles wissen.
Ab.
Faust
allein.
Wie nur dem Kopf nicht alle Hoffnung schwindet,
Der immerfort an schalem Zeuge klebt,
Mit gier’ger Hand nach Schätzen gräbt,
605Und froh ist wenn er Regenwürmer findet!
Darf eine solche Menschenstimme hier,
Wo Geisterfülle mich umgab, ertönen?
Doch ach! für dießmal dank’ ich dir,
Dem ärmlichsten von allen Erdensöhnen.
610Du rissest mich von der Verzweiflung los,
Die mir die Sinne schon zerstören wollte.
Ach! die Erscheinung war so riesen-groß,
Daß ich mich recht als Zwerg empfinden sollte.
40
Ich, Ebenbild der Gottheit, das sich schon
615Ganz nah gedünkt dem Spiegel ew’ger Wahrheit,
Sein selbst genoß in Himmelsglanz und Klarheit,
Und abgestreift den Erdensohn;
Ich, mehr als Cherub, dessen freie Kraft
Schon durch die Adern der Natur zu fließen
620Und schaffend, Götterleben zu genießen
Sich ahnungsvoll vermaß, wie muß ich’s büßen!
Ein Donnerwort hat mich hinweggerafft.
Nicht darf ich dir zu gleichen mich vermessen.
Hab’ ich die Kraft dich anzuziehn besessen;
625So hatt’ ich dich zu halten keine Kraft.
In jenem sel’gen Augenblicke
Ich fühlte mich so klein, so groß;
Du stießest grausam mich zurücke,
In’s ungewisse Menschenloos.
630Wer lehret mich? was soll ich meiden?
Soll ich gehorchen jenem Drang?
Ach! unsre Thaten selbst, so gut als unsre Leiden,
Sie hemmen unsres Lebens Gang.
Dem Herrlichsten, was auch der Geist empfangen,
635Drängt immer fremd und fremder Stoff sich an;
Wenn wir zum Guten dieser Welt gelangen,
Dann heißt das Bess’re Trug und Wahn.
Die uns das Leben gaben, herrliche Gefühle
Erstarren in dem irdischen Gewühle.
640Wenn Phantasie sich sonst, mit kühnem Flug,
Und hoffnungsvoll zum Ewigen erweitert,
41
So ist ein kleiner Raum ihr nun genug,
Wenn Glück auf Glück im Zeitenstrudel scheitert.
Die Sorge nistet gleich im tiefen Herzen,
645Dort wirket sie geheime Schmerzen,
Unruhig wiegt sie sich und störet Lust und Ruh;
Sie deckt sich stets mit neuen Masken zu,
Sie mag als Haus und Hof, als Weib und Kind erscheinen,
Als Feuer, Wasser, Dolch und Gift;
650Du bebst vor allem was nicht trifft,
Und was du nie verlierst das mußt du stets beweinen.
Den Göttern gleich’ ich nicht! Zu tief ist es gefühlt;
Dem Wurme gleich’ ich, der den Staub durchwühlt;
Den, wie er sich im Staube nährend lebt,
655Des Wandrers Tritt vernichtet und begräbt.
Ist es nicht Staub was diese hohe Wand,
Aus hundert Fächern, mir verenget;
Der Trödel, der mit tausendfachem Tand,
In dieser Mottenwelt mich dränget?
660Hier soll ich finden was mir fehlt?
Soll ich vielleicht in tausend Büchern lesen,
Daß überall die Menschen sich gequält,
Daß hie und da ein Glücklicher gewesen? –
Was grinsest du mir hohler Schädel her?
665Als daß dein Hirn, wie meines, einst verwirret,
Den leichten Tag gesucht und in der Dämmrung schwer,
Mit Lust nach Wahrheit, jämmerlich geirret.
Ihr Instrumente freilich, spottet mein,
Mit Rad und Kämmen, Walz’ und Bügel.
42
670Ich stand am Thor, ihr solltet Schlüssel seyn;
Zwar euer Bart ist kraus, doch hebt ihr nicht die Riegel
Geheimnißvoll am lichten Tag
Läßt sich Natur des Schleiers nicht berauben,
Und was sie deinem Geist nicht offenbaren mag,
675Das zwingst du ihr nicht ab mit Hebeln und mit Schrauben.
Du alt Geräthe das ich nicht gebraucht,
Du stehst nur hier, weil dich mein Vater brauchte.
Du alte Rolle, du wirst angeraucht,
So lang an diesem Pult die trübe Lampe schmauchte.
680Weit besser hätt’ ich doch mein Weniges verpraßt,
Als mit dem Wenigen belastet hier zu schwitzen!
Was du ererbt von deinen Vättern hast
Erwirb es um es zu besitzen.
Was man nicht nützt ist eine schwere Last;
685Nur was der Augenblick erschafft das kann er nützen.
Doch warum heftet sich mein Blick auf jene Stelle?
Ist jenes Fläschchen dort den Augen ein Magnet?
Warum wird mir auf einmal lieblich helle,
Als wenn im nächt’gen Wald uns Mondenglanz umweht?
690Ich grüße dich, du einzige Phiole!
Die ich mit Andacht nun herunterhole,
In dir verehr’ ich Menschenwitz und Kunst.
Du Inbegriff der holden Schlummersäfte,
Du Auszug aller tödlich feinen Kräfte,
695Erweise deinem Meister deine Gunst!
Ich sehe dich, es wird der Schmerz gelindert,
Ich fasse dich, das Streben wird gemindert,
43
Des Geistes Fluthstrom ebbet nach und nach.
In’s hohe Meer werd’ ich hinausgewiesen,
700Die Spiegelflut erglänzt zu meinen Füßen,
Zu neuen Ufern lockt ein neuer Tag,
Ein Feuerwagen schwebt, auf leichten Schwingen,
An mich heran! Ich fühle mich bereit
Auf neuer Bahn den Aether zu durchdringen,
705Zu neuen Sphären reiner Thätigkeit.
Dieß hohe Leben, diese Götterwonne!
Du, erst noch Wurm, und die verdienest du?
Ja, kehre nur der holden Erdensonne
Entschlossen deinen Rücken zu!
710Vermesse dich die Pforten aufzureißen,
Vor denen jeder gern vorüber schleicht.
Hier ist es Zeit durch Thaten zu beweisen,
Daß Manneswürde nicht der Götterhöhe weicht,
Vor jener dunkeln Höhle nicht zu beben,
715In der sich Phantasie zu eigner Qual verdammt,
Nach jenem Durchgang hinzustreben,
Um dessen engen Mund die ganze Hölle flammt;
Zu diesem Schritt sich heiter zu entschließen
Und, wär’ es mit Gefahr, in’s Nichts dahin zu fließen.
720Nun komm herab, krystallne reine Schale!
Hervor aus deinem alten Futterale,
An die ich viele Jahre nicht gedacht.
Du glänztest bei der Väter Freudenfeste,
Erheitertest die ernsten Gäste,
725Wenn einer dich dem andern zugebracht.
44
Der vielen Bilder künstlich reiche Pracht,
Des Trinkers Pflicht, sie reimweis zu erklären,
Auf Einen Zug die Höhlung auszuleeren,
Erinnert mich an manche Jugend-Nacht;
730Ich werde jetzt dich keinem Nachbar reichen,
Ich werde meinen Witz an deiner Kunst nicht zeigen;
Hier ist ein Saft, der eilig trunken macht.
Mit brauner Fluth erfüllt er deine Höhle.
Den ich bereitet, den ich wähle,
735Der letzte Trunk sey nun, mit ganzer Seele,
Als festlich hoher Gruß, dem Morgen zugebracht!
Er setzt die Schale an den Mund.
Glockenklang und Chorgesang.
Chor der Engel.
Christ ist erstanden!
Freude dem Sterblichen,
Den die verderblichen,
740Schleichenden, erblichen
Mängel umwanden.
Faust.
Welch tiefes Summen, welch ein heller Ton,
Zieht mit Gewalt das Glas von meinem Munde?
Verkündiget ihr dumpfen Glocken schon
745Des Osterfestes erste Feyerstunde?
Ihr Chöre singt ihr schon den tröstlichen Gesang
Der einst, um Grabes Nacht, von Engelslippen klang,
Gewißheit einem neuen Bunde?
45
Chor der Weiber.
Mit Spezereyen
750Hatten wir ihn gepflegt,
Wir seine Treuen
Hatten ihn hingelegt;
Tücher und Binden
Reinlich umwanden wir,
755Ach! und wir finden
Christ nicht mehr hier.
Chor der Engel.
Christ ist erstanden!
Selig der Liebende,
Der die Betrübende,
760Heilsam’ und übende
Prüfung bestanden.
Faust.
Was sucht ihr, mächtig und gelind,
Ihr Himmelstöne, mich am Staube?
Klingt dort umher, wo weiche Menschen sind.
765Die Botschaft hör’ ich wohl, allein mir fehlt der Glaube;
Das Wunder ist des Glaubens liebstes Kind.
Zu jenen Sphären wag’ ich nicht zu streben,
Woher die holde Nachricht tönt;
Und doch, an diesen Klang von Jugend auf gewöhnt,
770Ruft er auch jetzt zurück mich in das Leben.
Sonst stürzte sich der Himmels-Liebe Kuß
Auf mich herab, in ernster Sabathstille;
Da klang so ahnungsvoll des Glockentones Fülle,
Und ein Gebet war brünstiger Genuß;
46
775Ein unbegreiflich holdes Sehnen
Trieb mich durch Wald und Wiesen hinzugehn,
Und unter tausend heißen Thränen,
Fühlt’ ich mir eine Welt entstehn.
Dieß Lied verkündete der Jugend muntre Spiele,
780Der Frühlingsfeyer freies Glück;
Erinnrung hält mich nun, mit kindlichem Gefühle,
Vom letzten, ernsten Schritt zurück.
O tönet fort ihr süßen Himmelslieder!
Die Thräne quillt, die Erde hat mich wieder!
Chor der Jünger.
785Hat der Begrabene
Schon sich nach oben,
Lebend Erhabene,
Herrlich erhoben;
Ist er in Werdelust
790Schaffender Freude nah;
Ach! an der Erde Brust,
Sind wir zum Leide da.
Ließ er die Seinen
Schmachtend uns hier zurück;
795Ach! wir beweinen
Meister dein Glück!
Chor der Engel.
Christ ist erstanden,
Aus der Verwesung Schoos.
Reißet von Banden
800Freudig euch los!
47
Thätig ihn preisenden,
Liebe beweisenden,
Brüderlich speisenden,
Predigend reisenden,
805Wonne verheißenden
Euch ist der Meister nah’,
807Euch ist er da!

48

Vor dem Thor.


Spaziergänger aller Art ziehen hinaus.
Einige Handwerksbursche.
808Warum denn dort hinaus?
Andre.
Wtr gehn hinaus auf’s Jägerhaus.
Die Ersten.
810Wir aber wollen nach der Mühle wandern.
Ein Handwerksbursch.
Ich rath’ euch nach dem Wasserhof zu gehn.
Zweyter.
Der Weg dahin ist gar nicht schön.
Die Zweyten.
Was thust denn du?
Ein Dritter.
Ich gehe mit den Andern.
Vierter.
Nach Burgdorf kommt herauf, gewiß dort findet ihr
815Die schönsten Mädchen und das beste Bier,
Und Händel von der ersten Sorte.
49
Fünfter.
Du überlustiger Gesell,
Juckt dich zum drittenmal das Fell?
Ich mag nicht hin, mir graut es vor dem Orte.
Dienstmädchen.
820Nein, nein! ich gehe nach der Stadt zurück.
Andre.
Wir finden ihn gewiß bei jenen Pappeln stehen.
Erste.
Das ist für mich kein großes Glück;
Er wird an deiner Seite gehen,
Mit dir nur tanzt er auf dem Plan.
825Was gehn mich deine Freuden an!
Andre.
Heut ist er sicher nicht allein,
Der Krauskopf, sagt er, würde bei ihm seyn.
Schüler.
Blitz, wie die wackern Dirnen schreiten!
Herr Bruder komm! wir müssen sie begleiten.
830Ein starkes Bier, ein beizender Toback,
Und eine Magd im Putz das ist nun mein Geschmack.
Bürgermädchen.
Da sieh mir nur die schönen Knaben!
Es ist wahrhaftig eine Schmach;
Gesellschaft könnten sie die allerbeste haben,
835Und laufen diesen Mägden nach!
50
Zweyter Schüler
zum ersten.
Nicht so geschwind! dort hinten kommen zwey,
Sie sind gar niedlich angezogen,
’s ist meine Nachbarin dabei;
Ich bin dem Mädchen sehr gewogen.
840Sie gehen ihren stillen Schritt
Und nehmen uns doch auch am Ende mit.
Erster.
Herr Bruder nein! Ich bin nicht gern genirt.
Geschwind! daß wir das Wildpret nicht verlieren.
Die Hand, die Samstags ihren Besen führt,
845Wird Sonntags dich am besten caressiren.
Bürger.
Nein, er gefällt mir nicht der neue Burgemeister!
Nun, da er’s ist, wird er nur täglich dreister.
Und für die Stadt was thut denn er?
Wird es nicht alle Tage schlimmer?
850Gehorchen soll man mehr als immer,
Und zahlen mehr als je vorher.
Bettler
singt.
Ihr guten Herrn, ihr schönen Frauen,
So wohlgeputzt und backenroth,
Belieb’ es euch mich anzuschauen,
855Und seht und mildert meine Noth!
Laßt hier mich nicht vergebens leyern!
Nur der ist froh, der geben mag.
Ein Tag den alle Menschen feyern,
Er sey für mich ein Erntetag.
51
Andrer Bürger.
860Nichts bessers weiß ich mir an Sonn- und Feyertagen,
Als ein Gespräch von Krieg und Kriegsgeschrey,
Wenn hinten, weit, in der Türkey,
Die Völker auf einander schlagen.
Man steht am Fenster, trinkt sein Gläschen aus
865Und sieht den Fluß hinab die bunten Schiffe gleiten;
Dann kehrt man Abends froh nach Haus,
Und segnet Fried’ und Friedenszeiten.
Dritter Bürger.
Herr Nachbar, ja! so laß ich’s auch geschehn,
Sie mögen sich die Köpfe spalten,
870Mag alles durch einander gehn;
Doch nur zu Hause bleib’s beim Alten.
Alte
zu den Bürgermädchen.
Ey! wie geputzt! das schöne junge Blut!
Wer soll sich nicht in euch vergaffen? –
Nur nicht so stolz! Es ist schon gut!
875Und was ihr wünscht das wüßt’ ich wohl zu schaffen.
Bürgermädchen.
Agathe fort! ich nehme mich in Acht
Mit solchen Hexen öffentlich zu gehen;
Sie ließ mich zwar, in Sanct Andreas Nacht,
Den künft’gen Liebsten leiblich sehen.
Die Andre.
880Mir zeigte sie ihn im Krystall,
Soldatenhaft, mit mehreren Verwegnen;
Ich seh’ mich um, ich such’ ihn überall,
Allein mir will er nicht begegnen.
52
Soldaten.
Burgen mit hohen
885Mauern und Zinnen,
Mädchen mit stolzen
Höhnenden Sinnen
Möcht’ ich gewinnen!
Kühn ist das Mühen,
890Herrlich der Lohn!
Und die Trompete
Lassen wir werben,
Wie zu der Freude,
So zum Verderben.
895Das ist ein Stürmen!
Das ist ein Leben!
Mädchen und Burgen
Müssen sich geben.
Kühn ist das Mühen,
900Herrlich der Lohn!
Und die Soldaten
Ziehen davon.
Faust und Wagner.
Faust.
Vom Eise befreit sind Strom und Bäche
Durch des Frühlings holden, belebenden Blick;
905Im Thale grünet Hoffnungs-Glück;
Der alte Winter, in seiner Schwäche,
Zog sich in rauhe Berge zurück.
53
Von dorther sendet er, fliehend, nur
Ohnmächtige Schauer körnigen Eises
910In Streifen über die grünende Flur;
Aber die Sonne duldet kein Weißes,
Ueberall regt sich Bildung und Streben,
Alles will sie mit Farben beleben;
Doch an Blumen fehlt’s im Revier,
915Sie nimmt geputzte Menschen dafür.
Kehre dich um, von diesen Höhen
Nach der Stadt zurück zu sehen.
Aus dem hohlen finstern Thor
Dringt ein buntes Gewimmel hervor.
920Jeder sonnt sich heute so gern.
Sie feyern die Auferstehung des Herrn,
Denn sie sind selber auferstanden,
Aus niedriger Häuser dumpfen Gemächern,
Aus Handwerks- und Gewerbes-Banden,
925Aus dem Druck von Giebeln und Dächern,
Aus der Straßen quetschender Enge,
Aus der Kirchen ehrwürdiger Nacht
Sind sie alle an’s Licht gebracht.
Sieh nur sieh! wie behend sich die Menge
930Durch die Gärten und Felder zerschlägt,
Wie der Fluß, in Breit’ und Länge,
So manchen lustigen Nachen bewegt,
Und, bis zum Sinken überladen,
Entfernt sich dieser letzte Kahn.
935Selbst von des Berges fernen Pfaden
Blinken uns farbige Kleider an.
54
Ich höre schon des Dorfs Getümmel,
Hier ist des Volkes wahrer Himmel,
Zufrieden jauchzet groß und klein:
940Hier bin ich Mensch, hier darf ich’s seyn.
Wagner.
Mit euch, Herr Doctor, zu spazieren
Ist ehrenvoll und ist Gewinn;
Doch würd’ ich nicht allein mich her verlieren,
Weil ich ein Feind von allem Rohen bin.
945Das Fiedeln, Schreien, Kegelschieben,
Ist mir ein gar verhaßter Klang;
Sie toben wie vom bösen Geist getrieben
Und nennen’s Freude, nennen’s Gesang.
Bauern
unter der Linde.
Tanz und Gesang.

Der Schäfer putzte sich zum Tanz,
950Mit bunter Jacke, Band und Kranz,
Schmuck war er angezogen.
Schon um die Linde war es voll.
Und alles tanzte schon wie toll.
Juchhe! Juchhe!
955Juchheisa! Heisa! He!
So ging der Fiedelbogen.
Er drückte hastig sich heran,
Da stieß er an ein Mädchen an
Mit seinem Ellenbogen;
55
960Die frische Dirne kehrt sich um
Und sagte: nun das find’ ich dumm!
Juchhe! Juchhe!
Juchheisa! Heisa! He!
Seyd nicht so ungezogen.
965Doch hurtig in dem Kreise ging’s,
Sie tanzten rechts, sie tanzten links
Und alle Röcke flogen.
Sie wurden roth, sie wurden warm
Und ruhten athmend Arm in Arm,
970Juchhe! Juchhe!
Juchheisa! Heisa! He!
Und Hüft’ an Ellenbogen.
Und thu’ mir doch nicht so vertraut!
Wie Mancher hat nicht seine Braut
975Belogen und betrogen!
Er schmeichelte sie doch bei Seit’
Und von der Linde scholl es weit:
Juchhe! Juchhe!
Juchheisa! Heisa! He!
980Geschrei und Fiedelbogen.
Alter Bauer.
Herr Doctor, das ist schön von euch,
Daß ihr uns heute nicht verschmäht,
Und unter dieses Volksgedräng’,
Als ein so Hochgelahrter, geht.
985So nehmet auch den schönsten Krug,
56
Den wir mit frischem Trunk gefüllt,
Ich bring’ ihn zu und wünsche laut,
Daß er nicht nur den Durst euch stillt;
Die Zahl der Tropfen, die er hegt,
990Sey euren Tagen zugelegt.
Faust.
Ich nehme den Erquickungs-Trank,
Erwiedr’ euch allen Heil und Dank.
Das Volk sammelt sich im Kreis umher.
Alter Bauer.
Fürwahr es ist sehr wohl gethan,
Daß ihr am frohen Tag erscheint;
995Habt ihr es vormals doch mit uns
An bösen Tagen gut gemeint!
Gar mancher steht lebendig hier,
Den euer Vater noch zuletzt
Der heißen Fieberwuth entriß,
1000Als er der Seuche Ziel gesetzt.
Auch damals ihr, ein junger Mann,
Ihr gingt in jedes Krankenhaus,
Gar manche Leiche trug man fort,
Ihr aber kamt gesund heraus.
1005Bestandet manche harte Proben;
Dem Helfer half der Helfer droben.
Alle.
Gesundheit dem bewährten Mann,
Daß er noch lange helfen kann!
57
Faust.
Vor jenem droben steht gebückt,
1010Der helfen lehrt und Hülfe schickt.
Er geht mit Wagnern weiter.
Wagner.
Welch ein Gefühl mußt du, o großer Mann!
Bei der Verehrung dieser Menge haben!
O! glücklich! wer von seinen Gaben
Solch einen Vortheil ziehen kann.
1015Der Vater zeigt dich seinem Knaben,
Ein jeder fragt und drängt und eilt,
Die Fiedel stockt, der Tänzer weilt.
Du gehst, in Reihen stehen sie,
Die Mützen fliegen in die Höh’:
1020Und wenig fehlt, so beugten sich die Knie,
Als käm’ das Venerabile.
Faust.
Nur wenig Schritte noch hinauf zu jenem Stein,
Hier wollen wir von unsrer Wandrung rasten.
Hier saß ich oft gedankenvoll allein
1025Und quälte mich mit Beten und mit Fasten.
An Hoffnung reich, im Glauben fest,
Mit Thränen, Seufzen, Händeringen
Dacht’ ich das Ende jener Pest
Vom Herrn des Himmels zu erzwingen.
1030Der Menge Beifall tönt mir nun wie Hohn.
O könntest du in meinem Innern lesen,
Wie wenig Vater und Sohn
58
Solch eines Ruhmes werth gewesen!
Mein Vater war ein dunkler Ehrenmann,
1035Der über die Natur und ihre heil’gen Kreise,
In Redlichkeit, jedoch auf seine Weise,
Mit grillenhafter Mühe sann.
Der, in Gesellschaft von Adepten,
Sich in die schwarze Küche schloß,
1040Und, nach unendlichen Recepten,
Das Widrige zusammengoß.
Da ward ein rother Leu, ein kühner Freyer,
Im lauen Bad, der Lilie vermählt
Und beide dann, mit offnem Flammenfeuer,
1045Aus einem Brautgemach ins andere gequält.
Erschien darauf mit bunten Farben
Die junge Königin im Glas,
Hier war die Arzeney, die Patienten starben,
Und niemand fragte: wer genas?
1050So haben wir, mit höllischen Latwergen,
In diesen Thälern, diesen Bergen,
Weit schlimmer als die Pest getobt.
Ich habe selbst den Gift an Tausende gegeben,
Sie welkten hin, ich muß erleben
1055Daß man die frechen Mörder lobt.
Wagner.
Wie könnt ihr euch darum betrüben!
Thut nicht ein braver Mann genug,
Die Kunst, die man ihm übertrug,
Gewissenhaft und pünktlich auszuüben.
1060Wenn du, als Jüngling, deinen Vater ehrst,
59
So wirst du gern von ihm empfangen;
Wenn du, als Mann, die Wissenschaft vermehrst,
So kann dein Sohn zu höh’rem Ziel gelangen.
Faust.
O glücklich! wer noch hoffen kann
1065Aus diesem Meer des Irrthums aufzutauchen.
Was man nicht weiß das eben brauchte man,
Und was man weiß kann man nicht brauchen.
Doch laß uns dieser Stunde schönes Gut
Durch solchen Trübsinn nicht verkümmern!
1070Betrachte wie in Abendsonne-Gluth
Die grünumgebnen Hütten schimmern.
Sie rückt und weicht, der Tag ist überlebt,
Dort eilt sie hin und fördert neues Leben.
O daß kein Flügel mich vom Boden hebt,
1075Ihr nach und immer nach zu streben!
Ich säh’ im ewigen Abendstrahl
Die stille Welt zu meinen Füßen,
Entzündet alle Höhn, beruhigt jedes Thal,
Den Silberbach in goldne Ströme fließen.
1080Nicht hemmte dann den göttergleichen Lauf
Der wilde Berg mit allen seinen Schluchten;
Schon thut das Meer sich mit erwärmten Buchten
Vor den erstaunten Augen auf.
Doch scheint die Göttin endlich wegzusinken;
1085Allein der neue Trieb erwacht,
Ich eile fort ihr ew’ges Licht zu trinken,
Vor mir den Tag, und hinter mir die Nacht,
60
Den Himmel über mir und unter mir die Wellen.
Ein schöner Traum, indessen sie entweicht.
1090Ach! zu des Geistes Flügeln wird so leicht
Kein körperlicher Flügel sich gesellen.
Doch ist es jedem eingeboren,
Daß sein Gefühl hinauf und vorwärts dringt,
Wenn über uns, im blauen Raum verloren,
1095Ihr schmetternd Lied die Lerche singt;
Wenn über schroffen Fichtenhöhen
Der Adler ausgebreitet schwebt,
Und über Flächen, über Seen,
Der Kranich nach der Heimat strebt.
Wagner.
1100Ich hatte selbst oft grillenhafte Stunden,
Doch solchen Trieb hab’ ich noch nie empfunden.
Man sieht sich leicht an Wald und Feldern satt,
Des Vogels Fittig werd’ ich nie beneiden.
Wie anders tragen uns die Geistesfreuden,
1105Von Buch zu Buch, von Blatt zu Blatt!
Da werden Winternächte hold und schön,
Ein selig Leben wärmet alle Glieder,
Und ach! entrollst du gar ein würdig Pergamen,
So steigt der ganze Himmel zu dir nieder.
Faust.
1110Du bist dir nur des einen Triebs bewußt;
O lerne nie den andern kennen!
Zwey Seelen wohnen, ach! in meiner Brust,
Die eine will sich von der andern trennen;
61
Die eine hält, in derber Liebeslust,
1115Sich an die Welt, mit klammernden Organen;
Die andre hebt gewaltsam sich vom Dust
Zu den Gefilden hoher Ahnen.
O gibt es Geister in der Luft,
Die zwischen Erd’ und Himmel herrschend weben,
1120So steiget nieder aus dem goldnen Duft
Und führt mich weg, zu neuem buntem Leben!
Ja, wäre nur ein Zaubermantel mein!
Und trüg’ er mich in fremde Länder,
Mir sollt’ er um die köstlichsten Gewänder,
1125Nicht feil um einen Königsmantel seyn.
Wagner.
Berufe nicht die wohlbekannte Schaar,
Die strömend sich im Dunstkreis überbreitet,
Dem Menschen tausendfältige Gefahr,
Von allen Enden her, bereitet.
1130Von Norden dringt der scharfe Geisterzahn
Auf dich herbei, mit pfeilgespitzten Zungen;
Von Morgen ziehn, vertrocknend, sie heran,
Und nähren sich von deinen Lungen;
Wenn sie der Mittag aus der Wüste schickt,
1135Die Gluth auf Gluth um deinen Scheitel häufen,
So bringt der West den Schwarm, der erst erquickt,
Um dich und Feld und Aue zu ersäufen.
Sie hören gern, zum Schaden sroh gewandt,
Gehorchen gern, weil sie uns gern betriegen,
1140Sie stellen wie vom Himmel sich gesandt,
62
Und lispeln englisch, wenn sie lügen.
Doch gehen wir! Ergraut ist schon die Welt,
Die Luft gekühlt, der Nebel fällt!
Am Abend schätzt man erst das Haus. –
1145Was stehst du so und blickst erstaunt hinaus?
Was kann dich in der Dämmrung so ergreifen?
Faust.
Siehst du den schwarzen Hund durch Saat und Stoppel streifen?
Wagner.
Ich sah ihn lange schon, nicht wichtig schien er mir.
Faust.
Betracht’ ihn recht! Für was hältst du das Thier?
Wagner.
1150Für einen Pudel, der auf seine Weise
Sich auf der Spur des Herren plagt.
Faust.
Bemerkst du, wie in weitem Schneckenkreise
Er um uns her und immer näher jagt?
Und irr’ ich nicht, so zieht ein Feuerstrudel
1155Auf seinen Pfaden hinterdrein.
Wagner.
Ich sehe nichts als einen schwarzen Pudel;
Es mag bei euch wohl Augentäuschung seyn.
Faust.
Mir scheint es, daß er magisch leise Schlingen
Zu künft’gem Band um unsre Füße zieht.
63
Wagner.
1160Ich seh’ ihn ungewiß und furchtsam uns umspringen,
Weil er, statt seines Herrn, zwey Unbekannte sieht.
Faust.
Der Kreis wird eng, schon ist er nah!
Wagner.
Du siehst! ein Hund, und kein Gespenst ist da.
Er knurrt und zweifelt, legt sich auf den Bauch,
1165Er wedelt. Alles Hunde Brauch.
Faust.
Geselle dich zu uns! Komm hier!
Wagner.
Es ist ein pudelnärrisch Thier.
Du stehest still, er wartet auf;
Du sprichst ihn an, er strebt an dir hinauf;
1170Verliere was, er wird es bringen,
Nach deinem Stock ins Wasser springen.
Faust.
Du hast wohl Recht; ich finde nicht die Spur
Von einem Geist, und alles ist Dressur.
Wagner.
Dem Hunde, wenn er gut gezogen,
1175Wird selbst ein weiser Mann gewogen.
Ja deine Gunst verdient er ganz und gar,
1177Er der Studenten trefflicher Scolar.
Sie gehen in das Stadt-Thor.

64

Studirzimmer.


Faust
mit dem Pudel hereintretend.
1178Verlassen hab’ ich Feld und Auen,
Die eine tiefe Nacht bedeckt,
1180Mit ahnungsvollem heil’gem Grauen
In uns die bess’re Seele weckt.
Entschlafen sind nun wilde Triebe,
Mit jedem ungestümen Thun;
Es reget sich die Menschenliebe,
1185Die Liebe Gottes regt sich nun.
Sey ruhig Pudel! renne nicht hin und wieder!
An der Schwelle was schnoberst du hier?
Lege dich hinter den Ofen nieder,
Mein bestes Kissen geb’ ich dir.
1190Wie du draußen auf dem bergigen Wege
Durch Rennen und Springen ergetzt uns hast,
So nimm nun auch von mir die Pflege,
Als ein willkommner stiller Gast.
Ach wenn in unsrer engen Zelle
1195Die Lampe freundlich wieder brennt,
Dann wird’s in unserm Busen helle,
Im Herzen, das sich selber kennt.
65
Vernunft fängt wieder an zu sprechen,
Und Hoffnung wieder an zu blühn;
1200Man sehnt sich nach des Lebens Bächen,
Ach! nach des Lebens Quelle hin.
Knurre nicht Pudel! Zu den heiligen Tönen,
Die jetzt meine ganze Seel’ umfassen,
Will der thierische Laut nicht passen.
1205Wir sind gewohnt, daß die Menschen verhöhnen
Was sie nicht verstehn,
Daß sie vor dem Guten und Schönen,
Das ihnen oft beschwerlich ist, murren;
Will es der Hund, wie sie, beknurren?
1210Aber ach! schon fühl’ ich, bei dem besten Willen,
Befriedigung nicht mehr aus dem Busen quillen.
Aber warum muß der Strom so bald versiegen,
Und wir wieder im Durste liegen?
Davon hab’ ich so viel Erfahrung.
1215Doch dieser Mangel läßt sich ersetzen,
Wir lernen das Ueberirdische schätzen,
Wir sehnen uns nach Offenbarung,
Die nirgends würd’ger und schöner brennt,
Als in dem neuen Testament.
1220Mich drängt’s den Grundtext aufzuschlagen,
Mit redlichem Gefühl einmal
Das heilige Original
In mein geliebtes Deutsch zu übertragen.
Er schlägt ein Volum auf und schickt sich an.
66
Geschrieben steht: „im Anfang war das Wort!“
1225Hier stock’ ich schon! Wer hilft mir weiter fort?
Ich kann das Wort so hoch unmöglich schätzen,
Ich muß es anders übersetzen,
Wenn ich vom Geiste recht erleuchtet bin.
Geschrieben steht: im Anfang war der Sinn.
1230Bedenke wohl die erste Zeile,
Daß deine Feder sich nicht übereile!
Ist es der Sinn, der alles wirkt und schafft?
Es sollte stehn: im Anfang war die Kraft!
Doch, auch indem ich dieses niederschreibe,
1235Schon warnt mich was, daß ich dabei nicht bleibe.
Mir hilft der Geist! Auf einmal seh’ ich Rath
Und schreibe getrost: im Anfang war die That!
Soll ich mit dir das Zimmer theilen,
Pudel, so laß das Heulen,
1240So laß das Bellen!
Solch einen störenden Gesellen
Mag ich nicht in der Nähe leiden.
Einer von uns beiden
Muß die Zelle meiden.
1245Ungern heb’ ich das Gastrecht auf,
Die Thür’ ist offen, hast freien Lauf.
Aber was muß ich sehen!
Kann das natürlich geschehen?
Ist es Schatten? ist’s Wirklichkeit?
1250Wie wird mein Pudel lang und breit!
67
Er hebt sich mit Gewalt,
Das ist nicht eines Hundes Gestalt!
Welch ein Gespenst bracht’ ich ins Haus!
Schon sieht er wie ein Nilpferd aus.
1255Mit feurigen Augen, schrecklichem Gebiß.
O! du bist mir gewiß!
Für solche halbe Höllenbrut
Ist Salomonis Schlüssel gut.
Geister
auf dem Gange.
Drinnen gefangen ist einer!
1260Bleibet haußen, folg’ ihm keiner
Wie im Eisen der Fuchs
Zagt ein alter Höllenluchs
Aber gebt Acht!
Schwebet hin, schwebet wieder,
1265Auf und nieder,
Und er hat sich losgemacht.
Könnt ihr ihm nützen,
Laßt ihn nicht sitzen!
Denn er that uns allen
1270Schon viel zu Gefallen.
Faust.
Erst zu begegnen dem Thiere,
Brauch’ ich den Spruch der Viere:
Salamander soll glühen,
Undene sich winden,
1275Silphe verschwinden,
Kobold sich mühen.
68
Wer sie nicht kennte
Die Elemente,
Ihre Kraft
1280Und Eigenschaft,
Wäre kein Meister
Ueber die Geister.
Verschwind’ in Flammen
Salamander!
1285Rauschend fließe zusammen
Undene!
Leucht’ in Meteoren-Schöne
Silphe!
Bring’ häusliche Hülfe
1290 Incubus! incubus!
Tritt hervor und mache den Schluß.
Keines der Viere
Steckt in dem Thiere.
Es liegt ganz ruhig und grins’t mich an;
1295Ich hab’ ihm noch nicht weh gethan.
Du sollst mich hören
Stärker beschwören.
Bist du Geselle
Ein Flüchtling der Hölle?
1300So sieh dieß Zeichen!
Dem sie sich beugen
Die schwarzen Schaaren.
Schon schwillt es auf mit borstigen Haaren.
69
Verworfnes Wesen!
1305Kannst du ihn lesen?
Den nie entspross’nen,
Unausgesprochnen,
Durch alle Himmel gegoss’nen,
Freventlich durchstochnen?
1310Hinter den Ofen gebannt
Schwillt es wie ein Elephant,
Den ganzen Raum füllt es an,
Es will zum Nebel zerfließen.
Steige nicht zur Decke hinan!
1315Lege dich zu des Meisters Füßen!
Du siehst daß ich nicht vergebens drohe.
Ich versenge dich mit heiliger Lohe!
Erwarte nicht
Das dreymal glühende Licht!
1320Erwarte nicht
Die stärkste von meinen Künsten!
Mephistopheles
tritt, indem der Nebel fällt, gekleidet wie ein fahrender Scholasti­cus, hinter dem Ofen hervor.
Wozu der Lerm? was steht dem Herrn zu Diensten?
Faust.
Das also war des Pudels Kern!
Ein fahrender Scolast? Der Casus macht mich lachen.
Mephistopheles.
1325Ich salutire den gelehrten Herrn!
Ihr habt mich weidlich schwitzen machen.
70
Faust.
Wie nennst du dich?
Mephistopheles.
Die Frage scheint mir klein
Für einen der das Wort so sehr verachtet,
Der, weit entfernt von allem Schein,
1330Nur in der Wesen Tiefe trachtet.
Faust.
Bei euch, ihr Herrn, kann man das Wesen
Gewöhnlich aus dem Namen lesen,
Wo es sich allzudeutlich weis’t,
Wenn man euch Fliegengott, Verderber, Lügner heißt.
1335Nun gut wer bist du denn?
Mephistopheles.
1335Ein Theil von jener Kraft,
Die stets das Böse will und stets das Gute schafft.
Faust.
Was ist mit diesem Räthselwort gemeint?
Mephistopheles.
Ich bin der Geist der stets verneint!
Und das mit Recht; denn alles was entsteht
1340Ist werth daß es zu Grunde geht;
Drum besser wär’s daß nichts entstünde.
So ist denn alles was ihr Sünde,
Zerstörung, kurz das Böse nennt,
Mein eigentliches Element.
71
Faust.
1345Du nennst dich einen Theil, und stehst doch ganz vor mir?
Mephistopheles.
Bescheidne Wahrheit sprech’ ich dir.
Wenn sich der Mensch, die kleine Narrenwelt,
Gewöhnlich für ein Ganzes hält;
Ich bin ein Theil des Theils, der Anfangs alles war,
1350Ein Theil der Finsterniß, die sich das Licht gebar,
Das stolze Licht, das nun der Mutter Nacht
Den alten Rang, den Raum ihr streitig macht,
Und doch gelingt’s ihm nicht, da es, so viel es strebt,
Verhaftet an den Körpern klebt.
1355Von Körpern strömt’s, die Körper macht es schön,
Ein Körper hemmt’s auf seinem Gange,
So, hoff’ ich, dauert es nicht lange
Und mit den Körpern wird’s zu Grunde gehn.
Faust.
Nun kenn’ ich deine würd’gen Pflichten!
1360Du kannst im Großen nichts vernichten
Und fängst es nun im Kleinen an.
Mephistopheles.
Und freilich ist nicht viel damit gethan.
Was sich dem Nichts entgegenstellt,
Das Etwas, diese plumpe Welt,
1365So viel als ich schon unternommen,
Ich wußte nicht ihr beizukommen,
Mit Wellen, Stürmen, Schütteln, Brand,
Geruhig bleibt am Ende Meer und Land!
72
Und dem verdammten Zeug, der Thier- und Menschenbrut,
1370Dem ist nun gar nichts anzuhaben.
Wie viele hab’ ich schon begraben!
Und immer zirkulirt ein neues, frisches Blut.
So geht es fort, man möchte rasend werden!
Der Luft, dem Wasser, wie der Erden
1375Entwinden tausend Keime sich,
Im Trocknen, Feuchten, Warmen, Kalten!
Hätt’ ich mir nicht die Flamme vorbehalten;
Ich hätte nichts Apart’s für mich.
Faust.
So setzest du der ewig regen,
1380Der heilsam schaffenden Gewalt
Die kalte Teufelsfaust entgegen,
Die sich vergebens tückisch ballt!
Was anders suche zu beginnen
Des Chaos wunderlicher Sohn!
Mephistopheles.
1385Wir wollen wirklich uns besinnen,
Die nächstenmale mehr davon!
Dürft’ ich wohl dießmal mich entfernen?
Faust.
Ich sehe nicht warum du fragst.
Ich habe jetzt dich kennen lernen,
1390Besuche nun mich wie du magst.
Hier ist das Fenster, hier die Thüre,
Ein Rauchfang ist dir auch gewiß.
Mephistopheles.
Gesteh’ ich’s nur! Daß ich hinausspaziere
73
Verbietet mir ein kleines Hinderniß,
1395Der Drudenfuß auf eurer Schwelle –
Faust.
Das Pentagramma macht dir Pein?
Ey sage mir, du Sohn der Hölle,
Wenn das dich bannt, wie kamst du denn herein?
Wie ward ein solcher Geist betrogen?
Mephistopheles.
1400Beschaut es recht! es ist nicht gut gezogen;
Der eine Winkel, der nach außen zu,
Ist, wie du siehst, ein wenig offen.
Faust.
Das hat der Zufall gut getroffen!
Und mein Gefangner wärst denn du?
1405Das ist von ohngefähr gelungen!
Mephistopheles.
Der Pudel merkte nichts als er hereingesprungen,
Die Sache sieht jetzt anders aus;
Der Teufel kann nicht aus dem Haus.
Faust.
Doch warum gehst du nicht durch’s Fenster?
Mephistopheles.
1410’s ist ein Gesetz der Teufel und Gespenster:
Wo sie hereingeschlüpft, da müssen sie hinaus.
Das erste steht uns frei, bei’m zweyten sind wir Knechte.
Faust.
Die Hölle selbst hat ihre Rechte?
Das find’ ich gut, da ließe sich ein Packt,
1415Und sicher wohl, mit euch ihr Herren schließen?
74
Mephistopheles.
Was man verspricht, das sollst du rein genießen,
Dir wird davon nichts abgezwackt.
Doch das ist nicht so kurz zu fassen,
Und wir besprechen das zunächst;
1420Doch jetzo bitt’ ich, hoch und höchst,
Für diesesmal mich zu entlassen.
Faust.
So bleibe doch noch einen Augenblick,
Um mir erst gute Mähr zu sagen.
Mephistopheles.
Jetzt laß mich los! ich komme bald zurück;
1425Dann magst du nach Belieben fragen.
Faust.
Ich habe dir nicht nachgestellt,
Bist du doch selbst in’s Garn gegangen.
Den Teufel halte wer ihn hält!
Er wird ihn nicht sobald zum zweytenmale fangen.
Mephistopheles.
1430Wenn dir’s beliebt, so bin ich auch bereit
Dir zur Gesellschaft hier zu bleiben;
Doch mit Bedingniß, dir die Zeit,
Durch meine Künste, würdig zu vertreiben.
Faust.
Ich seh’ es gern, das steht dir frei;
1435Nur daß die Kunst gefällig sey!
Mephistopheles.
Du wirst, mein Freund, für deine Sinnen,
In dieser Stunde mehr gewinnen,
75
Als in des Jahres Einerlei.
Was dir die zarten Geister singen,
1440Die schönen Bilder die sie bringen,
Sind nicht ein leeres Zauberspiel.
Auch dein Geruch wird sich ergetzen,
Dann wirst du deinen Gaumen letzen,
Und dann entzückt sich dein Gefühl.
1445Bereitung braucht es nicht voran,
Beisammen sind wir, fanget an!
Geister.
Schwindet, ihr dunkeln
Wölbungen droben!
Reizender schaue
1450Freuudlich der blaue
Aether herein!
Wären die dunkeln
Wolken zerronnen!
Sternelein funkeln,
1455Mildere Sonnen
Scheinen darein.
Himmlischer Söhne
Geistige Schöne,
Schwankende Beugung
1460Schwebet vorüber.
Sehnende Neigung
Folget hinüber;
Und der Gewänder
Flatternde Bänder
1465Decken die Länder,
76
Decken die Laube,
Wo sich für’s Leben,
Tief in Gedanken,
Liebende geben.
1470Laube bei Laube!
Sprossende Ranken!
Lastende Traube
Stürzt in’s Behälter
Drängender Kelter,
1475Stürzen in Bächen
Schäumende Weine,
Rieseln durch reine,
Edle Gesteine,
Lassen die Höhen
1480Hinter sich liegen,
Breiten zu Seen
Sich um’s Genügen
Grünender Hügel.
Und das Geflügel
1485Schlürfet sich Wonne,
Flieget der Sonne,
Flieget den hellen
Inseln entgegen,
Die sich auf Wellen
1490Gauklend bewegen;
Wo wir in Chören
Jauchzende hören,
Ueber den Auen
Tanzende schauen,
77
1495Die sich im Freien
Alle zerstreuen.
Einige glimmen
Ueber die Höhen,
Andere schwimmen
1500Ueber die Seen,
Andere schweben;
Alle zum Leben,
Alle zur Ferne
Liebender Sterne
1505Seliger Huld.
Mephistopheles.
Er schläft! So recht, ihr luft’gen zarten Jungen!
Ihr habt ihn treulich eingesungen!
Für dieß Concert bin ich in eurer Schuld.
Du bist noch nicht der Mann den Teufel fest zu halten!
1510Umgaukelt ihn mit süßen Traumgestalten,
Versenkt ihn in ein Meer des Wahns;
Doch dieser Schwelle Zauber zu zerspalten
Bedarf ich eines Rattenzahns.
Nicht lange brauch’ ich zu beschwören,
1515Schon raschelt eine hier und wird sogleich mich hören.
Der Herr der Ratten und der Mäuse,
Der Fliegen, Frösche, Wanzen, Läuse,
Befiehlt dir dich hervor zu wagen
Und diese Schwelle zu benagen,
1520So wie er sie mit Oel betupft –
Da kommst du schon hervorgehupft!
78
Nur frisch an’s Werk! Die Spitze, die mich bannte,
Sie sitzt ganz vornen an der Kante.
Noch einen Biß, so ist’s geschehn. –
1525Nun, Fauste, träume fort, bis wir uns wiedersehn.
Faust
erwachend.
Bin ich denn abermals betrogen?
Verschwindet so der geisterreiche Drang,
Daß mir ein Traum den Teufe[l] vorgelogen,
1529Und daß ein Pudel mir entsprang?

79

Studirzimmer.


Faust. Mephistopheles.
Faust.
1530Es klopft? Herein! Wer will mich wieder plagen?
Mephistopheles.
Ich bin’s.
Faust.
Herein!
Mephistopheles.
Du mußt es dreymal sagen.
Faust.
Herein denn!
Mephistopheles.
So gefällst du mir.
Wir werden, hoff’ ich, uns vertragen!
Denn dir die Grillen zu verjagen
1535Bin ich, als edler Junker, hier,
In rothem goldverbrämtem Kleide,
Das Mäntelchen von starrer Seide,
Die Hahnenfeder auf dem Hut,
Mit einem langen, spitzen Degen,
1540Und rathe nun dir, kurz und gut,
80
Dergleichen gleichfalls anzulegen;
Damit du, losgebunden, frei,
Erfahrest was das Leben sey.
Faust.
In jedem Kleide werd’ ich wohl die Pein
1545Des engen Erdelebens fühlen.
Ich bin zu alt, um nur zu spielen,
Zu jung, um ohne Wunsch zu seyn.
Was kann die Welt mir wohl gewähren?
Entbehren sollst du! sollst entbehren!
1550Das ist der ewige Gesang,
Der jedem an die Ohren klingt,
Den, unser ganzes Leben lang,
Uns heiser jede Stunde singt.
Nur mit Entsetzen wach’ ich Morgens auf,
1555Ich möchte bittre Thränen weinen,
Den Tag zu sehn, der mir in seinem Lauf
Nicht Einen Wunsch erfüllen wird, nicht Einen,
Der selbst die Ahnung jeder Lust
Mit eigensinnigem Krittel mindert,
1560Die Schöpfung meiner regen Brust
Mit tausend Lebensfratzen hindert.
Auch muß ich, wenn die Nacht sich niedersenkt,
Mich ängstlich auf das Lager strecken;
Auch da wird keine Rast geschenkt,
1565Mich werden wilde Träume schrecken.
Der Gott, der mir im Busen wohnt,
Kann tief mein Innerstes erregen;
81
Der über allen meinen Kräften thront,
Er kann nach außen nichts bewegen;
1570Und so ist mir das Daseyn eine Last,
Der Tod erwünscht, das Leben mir verhaßt.
Mephistopheles.
Und doch ist nie der Tod ein ganz willkommner Gast.
Faust.
O selig der, dem er im Siegesglanze
Die blut’gen Lorbeer’n um die Schläfe windet,
1575Den er, nach rasch durchras’tem Tanze,
In eines Mädchens Armen findet.
O wär’ ich vor des hohen Geistes Kraft
Entzückt, entseelt dahin gesunken!
Mephistopheles.
Und doch hat Jemand einen braunen Saft,
1580In jener Nacht, nicht ausgetrunken.
Faust.
Das Spioniren, scheint’s, ist deine Lust.
Mephistopheles.
Allwissend bin ich nicht; doch viel ist mir bewußt.
Faust.
Wenn aus dem schrecklichen Gewühle
Ein süß bekannter Ton mich zog,
1585Den Rest von kindlichem Gefühle
Mit Anklang froher Zeit betrog;
So fluch’ ich allem was die Seele
Mit Lock- und Gaukelwerk umspannt,
Und sie in diese Trauerhöhle
1590Mit Blend- und Schmeichelkräften bannt!
82
Verflucht voraus die hohe Meinung,
Womit der Geist sich selbst umfängt!
Verflucht das Blenden der Erscheinung,
Die sich an unsre Sinne drängt!
1595Verflucht was uns in Träumen heuchelt,
Des Ruhms, der Namensdauer Trug!
Verflucht was als Besitz uns schmeichelt,
Als Weib und Kind, als Knecht und Pflug!
Verflucht sey Mammon, wenn mit Schätzen
1600Er uns zu kühnen Thaten regt,
Wenn er zu müßigem Ergetzen
Die Polster uns zurechte legt!
Fluch sey dem Balsamsaft der Trauben!
Fluch jener höchsten Liebeshuld!
1605Fluch sey der Hoffnung! Fluch dem Glauben,
Und Fluch vor allen der Geduld!
Geister-Chor
unsichtbar.
Weh! weh!
Du hast sie zerstört,
Die schöne Welt,
1610Mit mächtiger Faust;
Sie stürzt, sie zerfällt!
Ein Halbgott hat sie zerschlagen!
Wir tragen
Die Trümmern in’s Nichts hinüber,
1615Und klagen
Ueber die verlorne Schöne.
Mächtiger
83
Der Erdensöhne,
Prächtiger
1620Baue sie wieder,
In deinem Busen baue sie auf!
Neuen Lebenslauf
Beginne,
Mit hellem Sinne,
1625Und neue Lieder
Tönen darauf!
Mephistopheles.
Dieß sind die kleinen
Von den Meinen.
Höre, wie zu Lust und Thaten
1630Altklug sie rathen!
In die Welt weit,
Aus der Einsamkeit,
Wo Sinnen und Säfte stocken,
Wollen sie dich locken.
1635Hör’ auf mit deinem Gram zu spielen,
Der, wie ein Geier, dir am Leben frißt;
Die schlechteste Gesellschaft läßt dich fühlen,
Daß du ein Mensch mit Menschen bist.
Doch so ist’s nicht gemeint
1640Dich unter das Pack zu stoßen,
Ich bin keiner von den Großen;
Doch willst du, mit mir vereint,
Deine Schritte durch’s Leben nehmen,
So will ich mich gern bequemen
84
1645Dein zu seyn, auf der Stelle.
Ich bin dein Geselle
Und, mach’ ich dir’s recht,
Bin ich dein Diener, bin dein Knecht!
Faust.
Und was soll ich dagegen dir erfüllen?
Mephistopheles.
1650Dazu hast du noch eine lange Frist.
Faust.
Nein, nein! der Teufel ist ein Egoist
Und thut nicht leicht um Gottes Willen
Was einem Andern nützlich ist.
Sprich die Bedingung deutlich aus;
1655Ein solcher Diener bringt Gefahr in’s Haus.
Mephistopheles.
Ich will mich hier zu deinem Dienst verbinden,
Auf deinen Wink nicht rasten und nicht ruhn;
Wenn wir uns drüben wieder finden,
So sollst du mir das Gleiche thun.
Faust.
1660Das Drüben kann mich wenig kümmern,
Schlägst du erst diese Welt zu Trümmern,
Die andre mag darnach entstehn.
Aus dieser Erde quillen meine Freuden,
Und diese Sonne scheinet meinen Leiden;
1665Kann ich mich erst von ihnen scheiden,
Dann mag was will und kann geschehn.
85
Davon will ich nichts weiter hören,
Ob man auch künft[ig ha]ßt und liebt,
Und ob es auch in je[nen] Sphären
1670Ein Oben oder Unten gibt.
Mephistopheles.
In diesem Sinne kannst du’s wagen.
Verbinde dich; du sollst, in diesen Tagen,
Mit Freuden meine Künste sehn,
Ich gebe dir was noch kein Mensch gesehn.
Faust.
1675Was willst du armer Teufel geben?
Ward eines Menschen Geist, in seinem hohen Streben,
Von deines Gleichen je gefaßt?
Doch hast du Speise die nicht sättigt, hast
Du rothes Gold, das ohne Rast,
1680Quecksilber gleich, dir in der Hand zerrinnt,
Ein Spiel, bei dem man nie gewinnt,
Ein Mädchen, das an meiner Brust
Mit Aeugeln schon dem Nachbar sich verbindet,
Der Ehre schöne Götterlust,
1685Die, wie ein Meteor, verschwindet.
Zeig mir die Frucht die fault, eh’ man sie bricht,
Und Bäume die sich täglich neu begrünen!
Mephistopheles.
Ein solcher Auftrag schreckt mich nicht,
Mit solchen Schätzen kann ich dienen.
1690Doch, guter Freund, die Zeit kommt auch heran
Wo wir was Gut’s in Ruhe schmausen mögen.
86
Faust.
Werd’ ich beruhigt je mich auf ein Faulbett legen;
So sey es gleich um mich gethan!
Kannst du mich schmeichelnd je belügen
1695Daß ich mir selbst gefallen mag,
Kannst du mich mit Genuß betriegen;
Das sey für mich der letzte Tag!
Die Wette biet’ ich!
Mephistopheles.
Top!
Faust.
Und Schlag auf Schlag!
Werd’ ich zum Augenblicke sagen:
1700Verweile doch! du bist so schön!
Dann magst du mich in Fesseln schlagen,
Dann will ich gern zu Grunde gehn!
Dann mag die Todtenglocke schallen,
Dann bist du deines Dienstes frei,
1705Die Uhr mag stehn, der Zeiger fallen,
Es sey die Zeit für mich vorbei!
Mephistopheles.
Bedenk’ es wohl, wir werden’s nicht vergessen.
Faust.
Dazu hast du ein volles Recht,
Ich habe mich nicht freventlich vermessen.
1710Wie ich beharre bin ich Knecht,
Ob dein, was frag’ ich, oder wessen.
87
Mephistopheles.
Ich werde heute gleich, bei’m Doctorschmaus,
Als Diener, meine Pflicht erfüllen.
Nur eins! – Um Lebens oder Sterbens willen,
1715Bitt’ ich mir ein Paar Zeilen aus.
Faust.
Auch was geschriebnes forderst du Pedant?
Hast du noch keinen Mann, nicht Mannes-Wort gekannt?
Ist’s nicht genug, daß mein gesprochnes Wort
Auf ewig soll mit meinen Tagen schalten?
1720Ras’t nicht die Welt in allen Strömen fort,
Und mich soll ein Versprechen halten?
Doch dieser Wahn ist uns in’s Herz gelegt,
Wer mag sich gern davon befreien?
Beglückt wer Treue rein im Busen trägt,
1725Kein Opfer wird ihn je gereuen!
Allein ein Pergament, beschrieben und beprägt,
Ist ein Gespenst vor dem sich Alle scheuen.
Das Wort erstirbt schon in der Feder,
Die Herrschaft führen Wachs und Leder.
1730Was willst du böser Geist von mir?
Erz, Marmor, Pergament, Papier?
Soll ich mit Griffel, Meißel, Feder schreiben?
Ich gebe jede Wahl dir frei.
Mephistopheles.
Wie magst du deine Rednerey
1735Nur gleich so hitzig übertreiben?
Ist doch ein jedes Blättchen gut.
Du unterzeichnest dich mit einem Tröpfchen Blut.
88
Faust.
Wenn dieß dir völlig G’nüge thut,
So mag es bei der Fratze bleiben.
Mephistopheles.
1740Blut ist ein ganz besondrer Saft.
Faust.
Nur keine Furcht, daß ich dieß Bündniß breche!
Das Streben meiner ganzen Kraft
Ist g’rade das was ich verspreche.
Ich habe mich zu hoch gebläht;
1745In deinen Rang gehör’ ich nur.
Der große Geist hat mich verschmäht,
Vor mir verschließt sich die Natur.
Des Denkens Faden ist zerrissen,
Mir ekelt lange vor allem Wissen.
1750Laß in den Tiefen der Sinnlichkeit
Uns glühende Leidenschaften stillen!
In undurchdrungnen Zauberhüllen
Sey jedes Wunder gleich bereit!
Stürzen wir uns in das Rauschen der Zeit,
1755In’s Rollen der Begebenheit!
Da mag denn Schmerz und Genuß,
Gelingen und Verdruß,
Mit einander wechseln wie es kann;
Nur rastlos bethätigt sich der Mann.
Mephistopheles.
1760Euch ist kein Maß und Ziel gesetzt.
Beliebt’s euch überall zu naschen,
89
Im Fliehen etwas zu erhaschen,
Bekomm euch wohl was euch ergetzt.
Nur greift mir zu und seyd nicht blöde!
Faust.
1765Du hörest ja, von Freud’ ist nicht die Rede.
Dem Taumel weih’ ich mich, dem schmerzlichsten Genuß,
Verliebtem Haß, erquickendem Verdruß.
Mein Busen, der vom Wissensdrang geheilt ist,
Soll keinen Schmerzen künftig sich verschließen,
1770Und was der ganzen Menschheit zugetheilt ist,
Will ich in meinem innern Selbst genießen,
Mit meinem Geist das Höchst’ und Tiefste greifen,
Ihr Wohl und Weh auf meinen Busen häufen,
Und so mein eigen Selbst zu ihrem Selbst erweitern,
1775Und, wie sie selbst, am End’ auch ich zerscheitern.
Mephistopheles.
O glaube mir, der manche tausend Jahre
An dieser harten Speise kaut,
Daß von der Wiege bis zur Bahre
Kein Mensch den alten Sauerteig verdaut!
1780Glaub’ unser einem, dieses Ganze
Ist nur für einen Gott gemacht!
Er findet sich in einem ew’gen Glanze,
Uns hat er in die Finsterniß gebracht,
Und euch taugt einzig Tag und Nacht.
Faust.
1785Allein ich will!
Mephistopheles.
1785Das läßt sich hören!
90
Doch nur vor Einem ist mir bang’,
Die Zeit ist kurz, die Kunst ist lang.
Ich dächt’, ihr ließet euch belehren.
Associirt euch mit einem Poeten,
1790Laßt den Herrn in Gedanken schweifen,
Und alle edlen Qualitäten
Auf euren Ehren-Scheitel häufen,
Des Löwen Muth,
Des Hirsches Schnelligkeit,
1795Des Italiäners feurig Blut,
Des Nordens Dau’rbarkeit.
Laßt ihn euch das Geheimniß finden,
Großmuth und Arglist zu verbinden,
Und euch, mit warmen Jugendtrieben,
1800Nach einem Plane, zu verlieben.
Möchte selbst solch einen Herren kennen,
Würd’ ihn Herrn Mikrokosmus nennen.
Faust.
Was bin ich denn, wenn es nicht möglich ist
Der Menschheit Krone zu erringen,
1805Nach der sich alle Sinne dringen?
Mephistopheles.
Du bist am Ende – was du bist.
Setz’ dir Perrücken auf von Millionen Locken,
Setz’ deinen Fuß auf ellenhohe Socken,
Du bleibst doch immer was du bist.
Faust.
1810Ich fühl’s, vergebens hab’ ich alle Schätze
Des Menschengeist’s auf mich herbeigerafft,
91
Und wenn ich mich am Ende niedersetze,
Quillt innerlich doch keine neue Kraft;
Ich bin nicht um ein Haar breit höher,
1815Bin dem Unendlichen nicht näher.
Mephistopheles.
Mein guter Herr, ihr seht die Sachen,
Wie man die Sachen eben sieht;
Wir müssen das gescheidter machen,
Eh’ uns des Lebens Freude flieht.
1820Was Henker! freilich Händ’ und Füße
Und Kopf und H die sind dein;
Doch alles, was ich frisch genieße,
Ist das drum weniger mein?
Wenn ich sechs Hengste zahlen kann,
1825Sind ihre Kräfte nicht die meine?
Ich renne zu und bin ein rechter Mann,
Als hätt’ ich vier und zwanzig Beine.
Drum frisch! Laß alles Sinnen seyn,
Und g’rad’ mit in die Welt hinein!
1830Ich sag’ es dir: ein Kerl, der speculirt,
Ist wie ein Thier, auf dürrer Heide
Von einem bösen Geist im Kreis herum geführt,
Und rings umher liegt schöne grüne Weide.
Faust.
Wie fangen wir das an?
Mephistopheles.
Wir gehen eben fort.
1835Was ist das für ein Marterort?
Was heißt das für ein Leben führen,
92
Sich und die Jungens ennuyiren?
Laß du das dem Herrn Nachbar Wanst!
Was willst du dich das Stroh zu dreschen plagen?
1840Das Beste, was du wissen kannst,
Darfst du den Buben doch nicht sagen.
Gleich hör’ ich einen auf dem Gange!
Faust.
Mir ist’s nicht möglich ihn zu sehn.
Mephistopheles.
Der arme Knabe wartet lange,
1845Der darf nicht ungetröstet gehn.
Komm, gib mir deinen Rock und Mütze;
Die Maske muß mir köstlich stehn.
Er kleidet sich um.
Nun überlaß es meinem Witze!
Ich brauche nur ein Viertelstündchen Zeit;
1850Indessen mache dich zur schönen Fahrt bereit!
Faust ab.
Mephistopheles
in Faust’s langem Kleide.
Verachte nur Vernunft und Wissenschaft,
Des Menschen allerhöchste Kraft,
Laß nur in Blend- und Zauberwerken
Dich von dem Lügengeist bestärken,
1855So hab’ ich dich schon unbedingt –
Ihm hat das Schicksal einen Geist gegeben,
Der ungebändigt immer vorwärts dringt,
Und dessen übereiltes Streben
93
Der Erde Freuden überspringt.
1860Den schlepp’ ich durch das wilde Leben,
Durch flache Unbedeutenheit,
Er soll mir zappeln, starren, kleben,
Und seiner Unersättlichkeit
Soll Speis’ und Trank vor gier’gen Lippen schweben;
1865Er wird Erquickung sich umsonst erflehn,
Und hätt’ er sich auch nicht dem Teufel übergeben,
Er müßte doch zu Grunde gehn!
Ein Schüler tritt auf.
Schüler.
Ich bin allhier erst kurze Zeit,
Und komme voll Ergebenheit,
1870Einen Mann zu sprechen und zu kennen,
Den Alle mir mit Ehrfurcht nennen.
Mephistopheles.
Eure Höflichkeit erfreut mich sehr!
Ihr seht einen Mann wie andre mehr.
Habt ihr euch sonst schon umgethan?
Schüler.
1875Ich bitt’ euch, nehmt euch meiner an!
Ich komme mit allem guten Muth,
Leidlichem Geld und frischem Blut;
Meine Mutter wollte mich kaum entfernen;
Möchte gern’ was rechts hieraußen lernen.
Mephistopheles.
1880Da seyd ihr eben recht am Ort.
94
Schüler.
Aufrichtig, möchte schon wieder fort:
In diesen Mauern, diesen Hallen,
Will es mir keineswegs gefallen.
Es ist ein gar beschränkter Raum,
1885Man sieht nichts Grünes, keinen Baum,
Und in den Sälen, auf den Bänken,
Vergeht mir Hören, Seh’n und Denken.
Mephistopheles.
Das kommt nur auf Gewohnheit an.
So nimmt ein Kind der Mutter Brust
1890Nicht gleich im Anfang willig an,
Doch bald ernährt es sich mit Lust.
So wird’s euch an der Weisheit Brüsten
Mit jedem Tage mehr gelüsten.
Schüler.
An ihrem Hals will ich mit Freuden hangen;
1895Doch sagt mir nur, wie kann ich hingelangen?
Mephistopheles.
Erklärt euch, eh’ ihr weiter geht,
Was wählt ihr für eine Facultät?
Schüler.
Ich wünschte recht gelehrt zu werden,
Und möchte gern was auf der Erden
1900Und in dem Himmel ist erfassen,
Die Wissenschaft und die Natur.
Mephistopheles.
Da seyd ihr auf der rechten Spur;
Doch müßt ihr euch nicht zerstreuen lassen.
95
Schüler.
Ich bin dabei mit Seel’ und Leib;
1905Doch freilich würde mir behagen
Ein wenig Freiheit und Zeitvertreib
An schönen Sommerfeyertagen.
Mephistopheles.
Gebraucht der Zeit, sie geht so schnell von hinnen,
Doch Ordnung lehrt euch Zeit gewinnen.
1910Mein theurer Freund, ich rath’ euch drum
Zuerst Collegium Logicum.
Da wird der Geist euch wohl dressirt,
In spanische Stiefeln eingeschnürt,
Daß er bedächtiger so fort an
1915Hinschleiche die Gedankenbahn,
Und nicht etwa, die Kreuz’ und Quer,
Irrlichtelire hin und her.
Dann lehret man euch manchen Tag,
Daß, was ihr sonst auf einen Schlag
1920Getrieben, wie Essen und Trinken frei,
Eins! Zwey! Drey! dazu nöthig sey.
Zwar ist’s mit der Gedanken-Fabrik
Wie mit einem Weber-Meisterstück,
Wo Ein Tritt tausend Fäden regt,
1925Die Schifflein herüber hinüber schießen,
Die Fäden ungesehen fließen,
Ein Schlag tausend Verbindungen schlägt:
Der Philosoph der tritt herein,
Und beweist euch, es müßt’ so seyn:
96
1930Das Erst’ wär’ so, das Zweyte so,
Und drum das Dritt’ und Vierte so;
Und wenn das Erst’ und Zweyt’ nicht wär’,
Das Dritt’ und Viert’ wär’ nimmermehr.
Das preisen die Schüler aller Orten,
1935Sind aber keine Weber geworden.
Wer will was lebendig’s erkennen und beschreiben,
Sucht erst den Geist heraus zu treiben,
Dann hat er die Theile in seiner Hand,
Fehlt leider! nur das geistige Band.
1940 Encheiresin naturae nennt’s die Chemie,
Spottet ihrer selbst und weiß nicht wie.
Schüler.
Kann euch nicht eben ganz verstehen.
Mephistopheles.
Das wird nächstens schon besser gehen,
Wenn ihr lernt alles reduciren
1945Und gehörig klassificiren.
Schüler.
Mir wird von alle dem so dumm,
Als ging’ mir ein Mühlrad im Kopf herum.
Mephistopheles.
Nachher, vor allen andern Sachen
Müßt ihr euch an die Metaphysik machen!
1950Da seht daß ihr tiefsinnig faßt,
Was in des Menschen Hirn nicht paßt;
Für was drein geht und nicht drein geht,
Ein prächtig Wort zu Diensten steht.
97
Doch vorerst dieses halbe Jahr
1955Nehmt ja der besten Ordnung wahr.
Fünf Stunden habt ihr jeden Tag;
Seyd drinnen mit dem Glockenschlag!
Habt euch vorher wohl präparirt,
Paragraphos wohl einstudirt,
1960Damit ihr nachher besser seht,
Daß er nichts sagt, als was im Buche steht;
Doch euch des Schreibens ja befleißt,
Als dictirt’ euch der Heilig’ Geist!
Schüler.
Das sollt ihr mir nicht zweymal sagen!
1965Ich denke mir wie viel es nützt;
Denn, was man schwarz auf weiß besitzt,
Kann man getrost nach Hause tragen.
Mephistopheles.
Doch wählt mir eine Facultät!
Schüler.
Zur Rechtsgelehrsamkeit kann ich mich nicht bequemen.
Mephistopheles.
1970Ich kann es euch so sehr nicht übel nehmen,
Ich weiß wie es um diese Lehre steht.
Es erben sich Gesetz’ und Rechte
Wie eine ew’ge Krankheit fort;
Sie schleppen von Geschlecht sich zum Geschlechte,
1975Und rücken sacht von Ort zu Ort.
Vernunft wird Unsinn, Wohlthat Plage;
Weh dir, daß du ein Enkel bist!
98
Vom Rechte, das mit uns geboren ist,
Von dem ist leider! nie die Frage.
Schüler.
1980Mein Abscheu wird durch euch vermehrt.
O glücklich der! den ihr belehrt.
Fast möcht’ ich nun Theologie studiren.
Mephistopheles.
Ich wünschte nicht euch irre zu führen.
Was diese Wissenschaft betrifft,
1985Es ist so schwer den falschen Weg zu meiden,
Es liegt in ihr so viel verborgnes Gift,
Und von der Arzeney ist’s kaum zu unterscheiden.
Am besten ist’s auch hier, wenn ihr nur Einen hört,
Und auf des Meisters Worte schwört.
1990Im Ganzen – haltet euch an Worte!
Dann geht ihr durch die sichre Pforte
Zum Tempel der Gewißheit ein.
Schüler.
Doch ein Begriff muß bei dem Worte seyn.
Mephistopheles.
Schon gut! Nur muß man sich nicht allzu ängstlich quälen;
1995Denn eben wo Begriffe fehlen,
Da stellt ein Wort zur rechten Zeit sich ein.
Mit Worten läßt sich trefflich streiten,
Mit Worten ein System bereiten,
An Worte läßt sich trefflich glauben,
2000Von einem Wort läßt sich kein Jota rauben.
99
Schüler.
Verzeiht, ich halt’ euch auf mit vielen Fragen,
Allein ich muß euch noch bemühn.
Wollt ihr mir von der Medicin
Nicht auch ein kräftig Wörtchen sagen?
2005Drey Jahr’ ist eine kurze Zeit,
Und, Gott! das Feld ist gar zu weit.
Wenn man einen Fingerzeig nur hat,
Läßt sich’s schon eher weiter fühlen.
Mephistopheles
für sich.
Ich bin des trocknen Tons nun satt,
2010Muß wieder recht den Teufel spielen.
Laut.
Der Geist der Medicin ist leicht zu fassen;
Ihr durchstudirt die groß’ und kleine Welt
Um es am Ende gehn zu lassen,
Wie’s Gott gefällt.
2015Vergebens daß ihr ringsum wissenschaftlich schweift,
Ein jeder lernt nur was er lernen kann;
Doch der den Augenblick ergreift,
Das ist der rechte Mann.
Ihr seyd noch ziemlich wohlgebaut,
2020An Kühnheit wird’s euch auch nicht fehlen,
Und wenn ihr euch nur selbst vertraut,
Vertrauen euch die andern Seelen.
Besonders lernt die Weiber führen;
Es ist ihr ewig Weh und Ach
2025So tausendfach
Aus Einem Punkte zu kuriren,
100
Und wenn ihr halbweg ehrbar thut,
Dann habt ihr sie all’ unter’m Hut.
Ein Titel muß sie erst vertraulich machen,
2030Daß eure Kunst viel Künste übersteigt;
Zum Willkomm’ tappt ihr dann nach allen Siebensachen,
Um die ein andrer viele Jahre streicht,
Versteht das Pülslein wohl zu drücken,
Und fasset sie, mit feurig schlauen Blicken,
2035Wohl um die schlanke Hüfte frei,
Zu seh’n, wie fest geschnürt sie sey.
Schüler.
Das sieht schon besser aus! Man sieht doch wo und wie?
Mephistopheles.
Grau, theurer Freund, ist alle Theorie,
Und grün des Lebens goldner Baum.
Schüler.
2040Ich schwör’ euch zu, mir ist’s als wie ein Traum.
Dürft’ ich euch wohl ein andermal beschweren,
Von eurer Weisheit auf den Grund zu hören?
Mephistopheles.
Was ich vermag, soll gern geschehn.
Schüler.
Ich kann unmöglich wieder gehn,
2045Ich muß euch noch mein Stammbuch überreichen.
Gönn’ eure Gunst mir dieses Zeichen!
Mephistopheles.
Sehr wohl.
Er schreibt und giebt’s.
101
Schüler
liest.
Eritis sicut Deus, scientes bonum et malum.
Macht’s ehrerbietig zu und empfiehlt sich.
Mephistopheles.
Folg’ nur dem alten Spruch und meiner Muhme der Schlange,
2050Dir wird gewiß einmal bei deiner Gottähnlichkeit bange!
Faust tritt auf.
Faust.
Wohin soll es nun gehn?
Mephistopheles.
Wohin es dir gefällt.
Wir sehn die kleine, dann die große Welt.
Mit welcher Freude, welchem Nutzen,
Wirst du den Cursum durchschmarutzen!
Faust.
2055Allein bei meinem langen Bart
Fehlt mir die leichte Lebensart.
Es wird mir der Versuch nicht glücken;
Ich wußte nie mich in die Welt zu schicken,
Vor andern fühl’ ich mich so klein;
2060Ich werde stets verlegen seyn.
Mephistopheles.
Mein guter Freund, das wird sich alles geben;
Sobald du dir vertraust, sobald weißt du zu leben.
Faust.
Wie kommen wir denn aus dem Haus?
Wo hast du Pferde, Knecht und Wagen?
102
Mephistopheles.
2065Wir breiten nur den Mantel aus,
Der soll uns durch die Lüfte tragen.
Du nimmst bei diesem kühnen Schritt
Nur keinen großen Bündel mit.
Ein Bißchen Feuerluft, die ich bereiten werde,
2070Hebt uns behend von dieser Erde.
Und sind wir leicht, so geht es schnell hinauf;
2072Ich gratulire dir zum neuen Lebenslauf.

103

Auerbachs Keller in Leipzig.


Zeche lustiger Gesellen.
Frosch.
2073Will keiner trinken? keiner lachen?
Ich will euch lehren Gesichter machen!
2075Ihr seyd ja heut wie nasses Stroh,
Und brennt sonst immer lichterloh.
Brander.
Das liegt an dir; du bringst ja nichts herbei,
Nicht eine Dummheit, keine Sauerey.
Frosch
gießt ihm ein Glas Wein über den Kopf.
Da hast du beides!
Brander.
Doppelt Schwein!
Frosch.
2080Ihr wollt’ es ja, man soll es seyn!
Siebel.
Zur Thür hinaus wer sich entzweyt!
Mit offner Brust singt Runda, sauft und schreit
Auf! Holla! Ho!
104
Altmayer.
Weh mir, ich bin verloren!
Baumwolle her! der Kerl sprengt mir die Ohren.
Siebel.
2085Wenn das Gewölbe wiederschallt,
Fühlt man erst recht des Basses Grundgewalt.
Frosch.
So recht, hinaus mit dem der etwas übel nimmt!
A! tara lara da!
Altmayer.
A! tara lara da!
Frosch.
Die Kehlen sind gestimmt.
Singt.
2090Das liebe, heil’ge Röm’sche Reich,
Wie hält’s nur noch zusammen?
Brander.
Ein garstig Lied! Pfuy! ein politisch Lied!
Ein leidig Lied! Dankt Gott mit jedem Morgen
Daß ihr nicht braucht für’s Röm’sche Reich zu sorgen!
2095Ich halt’ es wenigstens für reichlichen Gewinn,
Daß ich nicht Kaiser oder Kanzler bin.
Doch muß auch uns ein Oberhaupt nicht fehlen;
Wir wollen einen Papst erwählen.
Ihr wißt, welch eine Qualität
2100Den Ausschlag gibt, den Mann erhöht.
Frosch
singt.
Schwing’ dich auf, Frau Nachtigall,
Grüß’ mir mein Liebchen zehentausendmal.
105
Siebel.
Dem Liebchen keinen Gruß! Ich will davon nichts hören!
Frosch.
Dem Liebchen Gruß und Kuß! du wirst mir’s nicht ver­wehren!
Singt.
2105Riegel auf! in stiller Nacht.
Riegel auf! der Liebste wacht.
Riegel zu! des Morgens früh.
Siebel.
Ja, singe, singe nur, und lob’ und rühme sie!
Ich will zu meiner Zeit schon lachen.
2110Sie hat mich angeführt, dir wird sie’s auch so machen.
Zum Liebsten sey ein Kobold ihr beschert!
Der mag mit ihr auf einem Kreuzweg schäkern;
Ein alter Bock, wenn er vom Blocksberg kehrt,
Mag im Galopp noch gute Nacht ihr meckern!
2115Ein braver Kerl von echtem Fleisch und Blut
Ist für die Dirne viel zu gut.
Ich will von keinem Gruße wissen,
Als ihr die Fenster eingeschmissen!
Brander
auf den Tisch schlagend.
Paßt auf! paßt auf! Gehorchet mir!
2120Ihr Herrn gesteht, ich weiß zu leben;
Verliebte Leute sitzen hier,
Und diesen muß, nach Standsgebühr,
Zur guten Nacht ich was zum Besten geben.
Gebt Acht! Ein Lied vom neusten Schnitt!
2125Und singt den Rundreim kräftig mit!
106
Er singt.
Es war eine Ratt’ im Kellernest,
Lebte nur von Fett und Butter,
Hatte sich ein Ränzlein angemäst’t,
Als wie der Doctor Luther.
2130Die Köchin hatt’ ihr Gift gestellt;
Da ward’s so eng’ ihr in der Welt,
Als hätte sie Lieb’ im Leibe.
Chorus
jauchzend.
Als hätte sie Lieb’ im Leibe.
Brander.
Sie fuhr herum, sie fuhr heraus,
2135Und soff aus allen Pfützen,
Zernagt’, zerkratzt’ das ganze Haus,
Wollte nichts ihr Wüthen nützen;
Sie thät gar manchen Aengstesprung,
Bald hatte das arme Thier genung,
2140Als hätt’ es Lieb’ im Leibe.
Chorus.
Als hätt’ es Lieb’ im Leibe.
Brander.
Sie kam vor Angst am hellen Tag
Der Küche zugelaufen,
Fiel an den Herd und zuckt’ und lag,
2145Und thät erbärmlich schnaufen.
Da lachte die Vergifterin noch;
Ha! sie pfeift auf dem letzten Loch,
Als hätte sie Lieb’ im Leibe.
107
Chorus.
Als hätte sie Lieb’ im Leibe.
Siebel.
2150Wie sich die platten Bursche freuen!
Es ist mir eine rechte Kunst,
Den armen Ratten Gift zu streuen!
Brander.
Sie stehn wohl sehr in deiner Gunst?
Altmayer.
Der Schmerbauch mit der kahlen Platte!
2155Das Unglück macht ihn zahm und mild;
Er sieht in der geschwollnen Ratte
Sein ganz natürlich Ebenbild.
Faust und Mephistopheles.
Mephistopheles.
Ich muß dich nun vor allen Dingen
In lustige Gesellschaft bringen,
2160Damit du siehst wie leicht sich’s leben läßt.
Dem Volke hier wird jeder Tag ein Fest.
Mit wenig Witz und viel Behagen
Dreht jeder sich im engen Zirkeltanz,
Wie junge Katzen mit dem Schwanz.
2165Wenn sie nicht über Kopfweh klagen,
So lang’ der Wirth nur weiter borgt,
Sind sie vergnügt und unbesorgt.
108
Brander.
Die kommen eben von der Reise,
Man sieht’s an ihrer wunderlichen Weise;
2170Sie sind nicht eine Stunde hier.
Frosch.
Wahrhaftig du hast Recht! Mein Leipzig lob’ ich mir!
Es ist ein klein Paris, und bildet seine Leute.
Siebel.
Für was siehst du die Fremden an?
Frosch.
Laßt mich nur gehn! Bei einem vollen Glase,
2175Zieh’ ich, wie einen Kinderzahn,
Den Burschen leicht die Würmer aus der Nase.
Sie scheinen mir aus einem edlen Haus,
Sie sehen stolz und unzufrieden aus.
Brander.
Marktschreier sind’s gewiß, ich wette!
Altmayer.
2180Vielleicht.
Frosch.
2180Gib Acht, ich schraube sie!
Mephistopheles
zu Faust.
Den Teufel spürt das Völkchen nie,
Und wenn er sie bei’m Kragen hätte.
Faust.
Seyd uns gegrüßt, ihr Herrn!
109
Siebel.
Viel Dank zum Gegengruß.
Leise, Mephistopheles von der Seite ansehend.
Was hinkt der Kerl auf Einem Fuß?
Mephistopheles.
2185Ist es erlaubt, uns auch zu euch zu setzen?
Statt eines guten Trunks, den man nicht haben kann,
Soll die Gesellschaft uns ergetzen.
Altmayer.
Ihr scheint ein sehr verwöhnter Mann.
Frosch.
Ihr seyd wohl spät von Rippach aufgebrochen?
2190Habt ihr mit Herren Hans noch erst zu Nacht gespeis’t?
Mephistopheles.
Heut sind wir ihn vorbei gereist!
Wir haben ihn das letztemal gesprochen.
Von seinen Vettern wußt’ er viel zu sagen,
Viel Grüße hat er uns an jeden aufgetragen.
Er neigt sich gegen Frosch.
Altmayer
leise.
2195Da hast du’s! der versteht’s!
Siebel.
2195Ein pfiffiger Patron!
Frosch.
Nun, warte nur, ich krieg’ ihn schon!
Mephistopheles.
Wenn ich nicht irrte, hörten wir
Geübte Stimmen Chorus singen?
110
Gewiß, Gesang muß trefflich hier
2200Von dieser Wölbung wiederklingen!
Frosch.
Seyd ihr wohl gar ein Virtuos?
Mephistopheles.
O nein! die Kraft ist schwach, allein die Lust ist groß.
Altmayer.
Gebt uns ein Lied!
Mephistopheles.
Wenn ihr begehrt, die Menge.
Siebel.
Nur auch ein nagelneues Stück!
Mephistopheles.
2205Wir kommen erst aus Spanien zurück,
Dem schönen Land des Weins und der Gesänge.
Singt:
Es war einmal ein König,
Der hatt’ einen großen Floh –
Frosch.
Horcht! Einen Floh! Habt ihr das wohl gefaßt?
2210Ein Floh ist mir ein saub’rer Gast.
Mephistopheles
singt:
Es war einmal ein König,
Der hatt’ einen großen Floh,
Den liebt’ er gar nicht wenig,
Als wie seinen eignen Sohn.
2215Da rief er seinen Schneider,
Der Schneider kam heran:
111
Da, miß dem Junker Kleider,
Und miß ihm Hosen an!
Brander.
Vergeßt nur nicht dem Schneider einzuschärfen,
2220Daß er mir auf’s genauste mißt,
Und daß, so lieb sein Kopf ihm ist,
Die Hosen keine Falten werfen!
Mephistopheles.
In Sammet und in Seide
War er nun angethan,
2225Hatte Bänder auf dem Kleide,
Hatt’ auch ein Kreuz daran,
Und war sogleich Minister,
Und hatt’ einen großen Stern.
Da wurden seine Geschwister
2230Bei Hof’ auch große Herrn.
Und Herrn und Frau’n am Hofe,
Die waren sehr geplagt,
Die Königin und die Zofe
Gestochen und genagt,
2235Und durften sie nicht knicken,
Und weg sie jucken nicht.
Wir knicken und ersticken
Doch gleich wenn einer sticht.
Chorus
jauchzend.
Wir knicken und ersticken
2240Doch gleich wenn einer sticht.
112
Frosch.
Bravo! Bravo! Das war schön!
Siebel.
So soll es jedem Floh ergehn!
Brander.
Spitzt die Finger und packt sie fein!
Altmayer.
Es lebe die Freiheit! Es lebe der Wein!
Mephistopheles.
2245Ich tränke gern ein Glas, die Freiheit hoch zu ehren,
Wenn eure Weine nur ein bißchen besser wären.
Siebel.
Wir mögen das nicht wieder hören!
Mephistopheles.
Ich fürchte nur der Wirth beschweret sich;
Sonst gäb’ ich diesen werthen Gästen
2250Aus unserm Keller was zum Besten.
Siebel.
Nur immer her! ich nehm’s auf mich.
Frosch.
Schafft ihr ein gutes Glas, so wollen wir euch loben.
Nur gebt nicht gar zu kleine Proben;
Denn wenn ich judiciren soll,
2255Verlang’ ich auch das Maul recht voll.
Altmayer
leise.
Sie sind vom Rheine, wie ich spüre.
Mephistopheles.
Schafft einen Bohrer an!
113
Brander.
Was soll mit dem geschehn?
Ihr habt doch nicht die Fässer vor der Thüre?
Altmayer.
Dahinten hat der Wirth ein Körbchen Werkzeug stehn.
Mephistopheles
nimmt den Bohrer.
Zu Frosch
2260Nun sagt, was wünschet ihr zu schmecken?
Frosch.
Wie meint ihr das? Habt ihr so mancherlei?
Mephistopheles.
Ich stell’ es einem jeden frei.
Altmayer
zu Frosch.
Aha, du fängst schon an die Lippen abzulecken.
Frosch.
Gut! wenn ich wählen soll, so will ich Rheinwein haben.
2265Das Vaterland verleiht die allerbesten Gaben.
Mephistopheles,
indem er an dem Platz, wo Frosch sitzt, ein Loch in den Tischrand bohrt.
Verschafft ein wenig Wachs, die Pfropfen gleich zu machen!
Altmayer.
Ach das sind Taschenspielersachen.
Mephistopheles
zu Brander.
Und ihr?
Brander.
Ich will Champagner Wein,
Und recht mussirend soll er seyn!
114
Mephistopheles bohrt, einer hat indessen die Wachspfropfen gemacht und verstopft.
Brander.
2270Man kann nicht stets das Fremde meiden,
Das Gute liegt uns oft so fern.
Ein echter deutscher Mann mag keinen Franzen leiden,
Doch ihre Weine trinkt er gern.
Siebel,
indem sich Mephistopheles seinem Platze nähert.
Ich muß gestehn, den sauren mag ich nicht,
2275Gebt mir ein Glas vom echten süßen!
Mephistopheles
bohrt.
Euch soll sogleich Tokayer fließen.
Altmayer.
Nein, Herren, seht mir in’s Gesicht!
Ich seh’ es ein, ihr habt uns nur zum Besten.
Mephistopheles.
Ey! Ey! Mit solchen edlen Gästen
2280Wär’ es ein bißchen viel gewagt.
Geschwind! Nur grad’ heraus gesagt!
Mit welchem Weine kann ich dienen?
Altmayer.
Mit jedem! Nur nicht lang gefragt.
Nachdem die Löcher alle gebohrt und verstopft sind,
Mephistopheles
mit seltsamen Geberden.
Trauben trägt der Weinstock!
2285Hörner der Ziegenbock;
115
Der Wein ist saftig, Holz die Reben,
Der hölzerne Tisch kann Wein auch geben.
Ein tiefer Blick in die Natur!
Hier ist ein Wunder, glaubet nur!
2290Nun zieht die Pfropfen und genießt!
Alle
indem sie die Pfropfen ziehen, und jedem der verlangte Wein in’s Glas läuft.
O schöner Brunnen, der uns fließt!
Mephistopheles.
Nur hütet euch, daß ihr mir nichts vergießt!
Sie trinken wiederholt.
Alle
singen.
Uns ist ganz kannibalisch wohl,
Als wie fünfhundert Säuen!
Mephistopheles.
2295Das Volk ist frei, seht an, wie wohl’s ihm geht!
Faust.
Ich hätte Lust nun abzufahren.
Mephistopheles.
Gib nur erst Acht, die Bestialität
Wird sich gar herrlich offenbaren.
Siebel
trinkt unvorsichtig, der Wein fließt auf die Erde, und wird zur Flamme.
Helft! Feuer! Helft! Die Hölle brennt!
116
Mephistopheles
die Flamme besprechend.
2300Sey ruhig, freundlich Element!
Zu dem Gesellen
Für dießmal war es nur ein Tropfen Fegefeuer.
Siebel.
Was soll das seyn? Wart! Ihr bezahlt es theuer!
Es scheinet, daß ihr uns nicht kennt.
Frosch.
Laß er uns das zum zweytenmale bleiben!
Altmayer.
2305Ich dächt’, wir hießen ihn ganz sachte seitwärts gehn.
Siebel.
Was Herr? Er will sich unterstehn,
Und hier sein Hokuspokus treiben?
Mephistopheles.
Still, altes Weinfaß!
Siebel.
Besenstiel!
Du willst uns gar noch grob begegnen?
Brander.
2310Wart nur! Es sollen Schläge regnen!
Altmayer
zieht einen Pfropf aus dem Tisch, es springt ihm Feuer entgegen.
Ich brenne! ich brenne!
Siebel.
Zauberey!
Stoßt zu! der Kerl ist vogelfrei!
Sie ziehen die Messer und gehn auf Mephistopheles los.
117
Mephistopheles
mit ernsthafter Geberde.
Falsch Gebild und Wort
Verändern Sinn und Ort!
2315Seyd hier und dort!
Sie stehn erstaunt und sehn einander an.
Altmayer.
Wo bin ich? Welches schöne Land?
Frosch.
Weinberge! Seh’ ich recht?
Siebel.
Und Trauben gleich zur Hand!
Brander.
Hier unter diesem grünen Laube,
Seht, welch ein Stock! Seht, welche Traube!
Er faßt Siebeln bei der Nase. Die andern thun es wechsel­seitig und heben die Messer.
Mephistopheles
wie oben.
2320Irrthum, laß los der Augen Band!
Und merkt euch wie der Teufel spaße.
Er verschwindet mit Faust, die Gesellen fahren aus einan[d]er.
Siebel.
Was gibt’s?
Altmayer.
Wie?
Frosch.
War das deine Nase?
Brander
(zu Siebel).
Und deine hab’ ich in der Hand!
118
Altmayer.
Es war ein Schlag, der ging durch alle Glieder!
2325Schafft einen Stuhl, ich sinke nieder!
Frosch.
Nein, sagt mir nur, was ist geschehn?
Siebel.
Wo ist der Kerl? Wenn ich ihn spüre,
Er soll mir nicht lebendig gehn!
Altmayer.
Ich hab’ ihn selbst hinaus zur Kellerthüre –
2330Auf einem Fasse reiten sehn – –
Es liegt mir bleyschwer in den Füßen.
Sich nach dem Tische wendend.
Mein! Sollte wohl der Wein noch fließen?
Siebel.
Betrug war alles, Lug und Schein.
Frosch.
Mir däuchte doch als tränk’ ich Wein.
Brander.
2335Aber wie war es mit den Trauben?
Altmayer.
2336Nun sag’ mir eins, man soll kein Wunder glauben!

119

Hexenküche.


Auf einem niedrigen Herde steht ein großer Kessel über dem Feuer. In dem Dampfe, der davon in die Höhe steigt, zeigen sich verschiedene Gestalten. Eine Meerkatze sitzt bei dem Kessel und schäumt ihn, und sorgt daß er nicht überläuft. Der Meerkater mit den Jungen sitzt darneben und wärmt sich, Wände und Decke sind mit dem seltsamsten Hexenhausrath aus­geschmückt.
Faust. Mephistopheles.
Faust.
2337Mir widersteht des tolle Zauberwesen;
Versprichst du mir, ich soll genesen,
In diesem Wust von Raserey?
2340Verlang’ ich Rath von einem alten Weibe?
Und schafft die Sudelköcherey
Wohl dreyßig Jahre mir vom Leibe?
Weh mir, wenn du nichts bessers weißt!
Schon ist die Hoffnung mir verschwunden.
2345Hat die Natur und hat ein edler Geist
Nichti rgend einen Balsam ausgefunden?
120
Mephistopheles.
Mein Freund, nun sprichst du wieder klug!
Doch zu verjüngen gibt’s auch ein natürlich Mittel;
Allein es steht in einem andern Buch,
2350Und ist ein wunderlich Capitel.
Faust.
Ich will es wissen.
Mephistopheles.
Gut! Ein Mittel, ohne Geld
Und Arzt und Zauberey, zu haben:
Begib dich gleich hinaus auf’s Feld,
Fang’ an zu hacken und zu graben,
2355Erhalte dich und deinen Sinn
In einem ganz beschränkten Kreise,
Ernähre dich mit ungemischter Speise,
Leb’ mit dem Vieh als Vieh, und acht’ es nicht für Raub,
Den Acker, den du erntest, selbst zu düngen;
2360Das ist das beste Mittel, glaub’,
Auf achtzig Jahr dich zu verjüngen!
Faust.
Das bin ich nicht gewöhnt, ich kann mich nicht bequemen,
Den Spaten in die Hand zu nehmen.
Das enge Leben steht mir gar nicht an.
Mephistopheles.
2365So muß denn doch die Hexe dran.
Faust.
Warum denn just das alte Weib!
Kannst du den Trank nicht selber brauen?
121
Mephistopheles.
Das wär’ ein schöner Zeitvertreib!
Ich wollt’ indeß wohl tausend Brücken bauen.
2370Nicht Kunst und Wissenschaft allein,
Geduld will bei dem Werke seyn.
Ein stiller Geist ist Jahre lang geschäftig;
Die Zeit nur macht die feine Gährung kräftig.
Und alles was dazu gehört
2375Es sind gar wunderbare Sachen!
Der Teufel hat sie’s zwar gelehrt;
Allein der Teufel kann’s nicht machen.
Die Thiere erblickend.
Sieh, welch ein zierliches Geschlecht!
Das ist die Magd! das ist der Knecht!
Zu den Thieren
2380Es scheint, die Frau ist nicht zu Hause?
Die Thiere.
Bei’m Schmause,
Aus dem Haus
Zum Schornstein hinaus!
Mephistopheles.
Wie lange pflegt sie wohl zu schwärmen?
Die Thiere.
2385So lange wir uns die Pfoten wärmen.
Mephistopheles
zu Faust.
Wie findest du die zarten Thiere?
Faust.
So abgeschmackt als ich nur jemand sah!
122
Mephistopheles.
Nein, ein Discours wie dieser da,
Ist g’rade der den ich am liebsten führe!
Zu den Thieren
2390So sagt mir doch, verfluchte Puppen!
Was quirlt ihr in dem Brey herum?
Thiere.
Wir kochen breite Bettelsuppen.
Mephistopheles.
Da habt ihr ein groß Publicum.
Der Kater
macht sich herbei und schmeichelt dem Mephistopheles.
O würfle nur gleich
2395Und mache mich reich,
Und laß mich gewinnen!
Gar schlecht ist’s bestellt,
Und wär’ ich bei Geld,
So wär’ ich bei Sinnen.
Mephistopheles.
2400Wie glücklich würde sich der Affe schätzen,
Könnt’ er nur auch in’s Lotto setzen!
Indessen haben die jungen Meerkätzchen mit einer großen Kugel gespielt und rollen sie hervor.
Der Kater.
Das ist die Welt;
Sie steigt und fällt
Und rollt beständig;
2405Sie klingt wie Glas;
123
Wie bald bricht das?
Ist hohl inwendig.
Hier glänzt sie sehr,
Und hier noch mehr,
2410Ich bin lebendig!
Mein lieber Sohn,
Halt dich davon!
Du mußt sterben!
Sie ist von Thon,
2415Es gibt Scherben.
Mephistopheles.
Was soll das Sieb?
Der Kater
holt es herunter.
Wärst du ein Dieb,
Wollt’ ich dich gleich erkennen.
Er läuft zur Kätzin und läßt sie durchsehen.
Sieh durch das Sieb!
2420Erkennst du den Dieb,
Und darfst ihn nicht nennen?
Mephistopheles
sich dem Feuer nähernd.
Und dieser Topf?
Kater und Kätzin.
Der alberne Tropf!
Er kennt nicht den Topf,
2425Er kennt nicht den Kessel!
Mephistopheles.
Unhöfliches Thier
124
Der Kater.
Den Wedel nimm hier,
Und setz’ dich in Sessel!
Er nöthigt den Mephistopheles zu sitzen.
Faust
welcher diese Zeit über vor einem Spiegel gestanden, sich ihm bald genähert, bald sich von ihm entfernt hat.
Was seh’ ich? Welch ein himmlisch Bild
2430Zeigt sich in diesem Zauberspiegel!
O Liebe, leihe mir den schnellsten deiner Flügel,
Und führe mich in ihr Gefild!
Ach wenn ich nicht auf dieser Stelle bleibe,
Wenn ich es wage nah’ zu gehn,
2435Kann ich sie nur als wie im Nebel sehn! –
Das schönste Bild von einem Weibe!
Ist’s möglich, ist das Weib so schön?
Muß ich an diesem hingestreckten Leibe
Den Inbegriff von allen Himmeln sehn?
2440So etwas findet sich auf Erden?
Mephistopheles.
Natürlich, wenn ein Gott sich erst sechs Tage plagt,
Und selbst am Ende Bravo sagt,
Da muß es was gescheidtes werden.
Für dießmal sieh dich immer satt;
2445Ich weiß dir so ein Schätzchen auszuspüren,
Und selig wer das gute Schicksal hat,
Als Bräutigam sie heim zu führen!
Faust sieht immerfort in den Spiegel. Mephistopheles, sich in dem Sessel dehnend und mit dem Wedel spielend, fährt fort zu sprechen.
125
Hier sitz’ ich wie der König auf dem Throne,
Den Zepter halt’ ich hier, es fehlt nur noch die Krone.
Die Thiere
welche bisher allerlei wunderliche Bewegungen durch einander ge­macht haben, bringen dem Mephistopheles eine Krone mit großem Geschrei.
2450O sey doch so gut,
Mit Schweiß und mit Blut
Die Krone zu leimen!
Sie gehn ungeschickt mit der Krone um und zerbrechen sie in zwey Stücke, mit welchen sie herumspringen.
Nun ist es geschehn!
Wir reden und sehn,
2455Wir hören und reimen;
Faust
gegen den Spiegel.
Weh mir! ich werde schier verrückt.
Mephistopheles
auf die Thiere deutend.
Nun fängt mir an fast selbst der Kopf zu schwanken.
Die Thiere.
Und wenn es uns glückt,
Und wenn es sich schickt,
2460So sind es Gedanken!
Faust
wie oben.
Mein Busen fängt mir an zu brennen!
Entfernen wir uns nur geschwind!
Mephistopheles
in obiger Stellung.
Nun, wenigstens muß man bekennen,
Daß es aufrichtige Poeten sind.
126
Der Kessel, welchen die Kätzin bisher außer Acht gelassen, fängt an überzulaufen; es entsteht eine große Flamme, welche zum Schornstein hinaus schlägt. Die Hexe kommt durch die Flamme mit entsetzlichem Geschrei herunter gefahren.
Die Hexe.
2465Au! Au! Au! Au!
Verdammtes Thier! verfluchte Sau!
Versäumst den Kessel, versengst die Frau!
Verfluchtes Thier!
Faust und Mephistopheles erblickend.
Was ist das hier?
2470Wer seyd ihr hier?
Was wollt ihr da?
Wer schlich sich ein?
Die Feuerpein
Euch in’s Gebein!
Sie fährt mit dem Schaumlöffel in den Kessel und spritzt Flam­men nach Faust, Mephistopheles und den Thieren. Die Thiere winseln.
Mephistopheles,
welcher den Wedel, den er in der Hand hält, umkehrt, und unter die Gläser und Töpfe schlägt.
2475Entzwey! entzwey!
Da liegt der Brey!
Da liegt das Glas!
Es ist nur Spaß,
Der Tact, du Aas,
2480Zu deiner Melodey.
Indem die Hexe voll Grimm und Entsetzen zurücktritt.
Erkennst du mich? Gerippe! Scheusal du!
127
Erkennst du deinen Herrn und Meister?
Was hält mich ab, so schlag’ ich zu,
Zerschmettre dich und deine Katzen-Geister!
2485Hast du vor’m rothen Wamms nicht mehr Respect?
Kannst du die Hahnenfeder nicht erkennen?
Hab’ ich dieß Angesicht versteckt?
Soll ich mich etwa selber nennen?
Die Hexe.
O Herr, verzeiht den rohen Gruß!
2490Seh’ ich doch keinen Pferdefuß.
Wo sind denn eure beiden Raben?
Mephistopheles.
Für dießmal kommst du so davon;
Denn freilich ist es eine Weile schon,
Daß wir uns nicht gesehen haben.
2495Auch die Cultur, die alle Welt beleckt,
Hat auf den Teufel sich erstreckt;
Das nordische Phantom ist nun nicht mehr zu schauen;
Wo siehst du Hörner, Schweif und Klauen?
Und was den Fuß betrifft, den ich nicht missen kann,
2500Der würde mir bei Leuten schaden;
Darum bedien’ ich mich, wie mancher junge Mann,
Seit vielen Jahren falscher Waden.
Die Hexe
tanzend.
Sinn und Verstand verlier’ ich schier,
Seh’ ich den Junker Satan wieder hier!
Mephistopheles.
2505Den Namen, Weib, verbitt’ ich mir!
128
Die Hexe.
Warum? Was hat er euch gethan?
Mephistopheles.
Er ist schon lang’ in’s Fabelbuch geschrieben;
Allein die Menschen sind nichts besser dran,
Den Bösen sind sie los, die Bösen sind geblieben.
2510Du nennst mich Herr Baron, so ist die Sache gut;
Ich bin ein Cavalier, wie andre Cavaliere.
Du zweifelst nicht an meinem edlen Blut;
Sieh her, das ist das Wapen, das ich führe!
Er macht eine unanständige Geberde.
Die Hexe
lacht unmäßig.
Ha! Ha! Das ist in eurer Art!
2515Ihr seyd ein Schelm, wie ihr nur immer war’t!
Mephistopheles
zu Faust.
Mein Freund, das lerne wohl verstehn!
Dieß ist die Art mit Hexen umzugehn.
Die Hexe.
Nun sagt, ihr Herren, was ihr schafft.
Mephistopheles.
Ein gutes Glas von dem bekannten Saft,
2520Doch muß ich euch um’s ält’ste bitten;
Die Jahre doppeln seine Kraft.
Die Hexe.
Gar gern! Hier hab’ ich eine Flasche,
Aus der ich selbst zuweilen nasche,
129
Die auch nicht mehr im mind’sten stinkt;
2525Ich will euch gern ein Gläschen geben.
Leise
Doch wenn es dieser Mann unvorbereitet trinkt,
So kann er, wißt ihr wohl, nicht eine Stunde leben.
Mephistopheles.
Es ist ein guter Freund, dem es gedeihen soll;
Ich gönn’ ihm gern das Beste deiner Küche.
2530Zieh deinen Kreis, sprich deine Sprüche,
Und gib ihm eine Tasse voll!
Die Hexe mit seltsamen Geberden, zieht einen Kreis und stellt wunderbare Sachen hinein; indessen fangen die Gläser an zu klingen, die Kessel zu tönen, und machen Musik. Zuletzt bringt sie ein großes Buch, stellt die Meerkatzen in den Kreis, die ihr zum Pult dienen und die Fackel halten müssen. Sie winkt Fausten, zu ihr zu treten.
Faust
zu Mephistopheles.
Nein, sage mir, was soll das werden?
Das tolle Zeug, die rasenden Geberden,
Der abgeschmackteste Betrug,
2535Sind mir bekannt, verhaßt genug.
Mephistopheles.
Ey, Possen! Das ist nur zum Lachen;
Sey nur nicht ein so strenger Mann!
Sie muß als Arzt ein Hokuspokus machen,
Damit der Saft dir wohl gedeihen kann.
Er nöthigt Fausten in den Kreis zu treten.
130
Die Hexe
mit großer Emphase fängt an aus dem Buche zu declamiren.
2540Du mußt verstehn!
Aus Eins mach’ Zehn,
Und Zwey laß gehn,
Und Drey mach’ gleich,
So bist du reich.
2545Verlier’ die Vier!
Aus Fünf und Sechs,
So sagt die Hex’,
Mach’ Sieben und Acht,
So ist’s vollbracht:
2550Und Neun ist Eins,
Und Zehn ist keins.
Das ist das Hexen-Einmal-Eins!
Faust.
Mich dünkt, die Alte spricht im Fieber.
Mephistopheles.
Das ist noch lange nicht vorüber,
2555Ich kenn’ es wohl, so klingt das ganze Buch;
Ich habe manche Zeit damit verloren,
Denn ein vollkommner Widerspruch
Bleibt gleich geheimnißvoll für Kluge wie für Thoren.
Mein Freund, die Kunst ist alt und neu.
2560Es war die Art zu allen Zeiten,
Durch Drey und Eins, und Eins und Drey
Irrthum statt Wahrheit zu verbreiten.
So schwätzt und lehrt man ungestört;
Wer will sich mit den Narr’n befassen?
131
2565Gewöhnlich glaubt der Mensch, wenn er nur Worte hört,
Es müsse sich dabei doch auch was denken lassen.
Die Hexe
fährt fort.
Die hohe Kraft
Der Wissenschaft,
Der ganzen Welt verborgen!
2570Und wer nicht denkt,
Dem wird sie geschenkt,
Er hat sie ohne Sorgen.
Faust.
Was sagt sie uns für Unsinn vor?
Es wird mir gleich der Kopf zerbrechen.
2575Mich dünkt, ich hör’ ein ganzes Chor
Von hundert tausend Narren sprechen.
Mephistopheles.
Geuug, genug, o treffliche Sibylle!
Gib deinen Trank herbei, und fülle
Die Schale rasch bis an den Rand hinan;
2580Denn meinem Freund wird dieser Trunk nicht schaden:
Er ist ein Mann von vielen Graden,
Der manchen guten Schluck gethan.
Die Hex[e] mit vielen Ceremonien, schenkt den Trank in eine Schale; wie sie Faust an den Mund bringt, entsteht eine leichte Flamme.
Mephistopheles.
Nur frisch hinunter! Immer zu!
Es wird dir gleich das Herz erfreuen.
2585Bist mit dem Teufel du und du,
Und willst dich vor der Flamme scheuen?
132
Die Hexe lös’t den Kreis.
Faust tritt heraus.
Mephistopheles.
Nun frisch hinaus! Du darfst nicht ruhn.
Die Hexe.
Mög’ euch das Schlückchen wohl behagen!
Mephistopheles
zur Hexe.
Und kann ich dir was zu Gefallen thun;
2590So darfst du mir’s nur auf Walpurgis sagen.
Die Hexe.
Hier ist ein Lied! wenn ihr’s zuweilen singt,
So werdet ihr besondre Wirkung spüren.
Mephistopheles
zu Faust.
Komm nur geschwind und laß dich führen;
Du mußt nothwendig transpiriren,
2595Damit die Kraft durch Inn- und Aeußres dringt.
Den edlen Müßiggang lehr’ ich hernach dich schätzen,
Und bald empfindest du mit innigem Ergetzen,
Wie sich Cupido regt und hin und wieder springt.
Faust.
Laß mich nur schnell noch in den Spiegel schauen!
2600Das Frauenbild war gar zu schön!
Mephistopheles.
Nein! Nein! Du sollst das Muster aller Frauen
Nun bald leibhaftig vor dir seh’n.
Leise
Du siehst, mit diesem Trank im Leibe,
2604Bald Helenen in jedem Weibe.

133

Straße.


Faust Margarete vorüber gehend.
Faust.
2605Mein schönes Fräulein, darf ich wagen,
Meinen Arm und Geleit Ihr anzutragen?
Margarete.
Bin weder Fräulein, weder schön,
Kann ungeleitet nach Hause gehn.
Sie macht sich los und ab.
Faust.
Beim Himmel, dieses Kind ist schön!
2610So etwas hab ich nie gesehn.
Sie ist so sitt- und tugendreich,
Und etwas schnippisch doch zugleich.
Der Lippe Roth, der Wange Licht,
Die Tage der Welt vergess’ ich’s nicht!
2615Wie sie die Augen niederschlägt,
Hat tief sich in mein Herz geprägt;
Wie sie kurz angebunden war,
Das ist nun zum Entzücken gar!
134
Mephistopheles tritt auf.
Faust.
Hör, du mußt mir die Dirne schaffen!
Mephistopheles.
2620Nun, welche?
Faust.
2620Sie ging just vorbei.
Mephistopheles.
Da die? Sie kam von ihrem Pfaffen,
Der sprach sie aller Sünden frei;
Ich schlich mich hart am Stuhl vorbei,
Es ist ein gar unschuldig Ding,
2625Das eben für nichts zur Beichte ging;
Ueber die hab’ ich keine Gewalt!
Faust.
Ist über vierzehn Jahr doch alt.
Mephistopheles.
Du sprichst ja wie Hans Liederlich,
Der begehrt jede liebe Blum’ für sich,
2630Und dünkelt ihm es wär’ kein Ehr’
Und Gunst die nicht zu pflücken wär’;
Geht aber doch nicht immer an.
Faust.
Mein Herr Magister Lobesan,
Laß er mich mit dem Gesetz in Frieden!
135
2635Und das sag’ ich ihm kurz und gut,
Wenn nicht das süße junge Blut
Heut’ Nacht in meinen Armen ruht;
So sind wir um Mitternacht geschieden.
Mephistopheles.
Bedenk was gehn und stehen mag!
2640Ich brauche wenigstens vierzehn Tag’,
Nur die Gelegenheit auszuspüren.
Faust.
Hätt’ ich nur sieben Stunden Ruh,
Brauchte den Teufel nicht dazu,
So ein Geschöpfchen zu verführen.
Mephistopheles.
2645Ihr sprecht schon fast wie ein Franzos;
Doch bitt’ ich, laßt’s euch nicht verdrießen:
Was hilft’s nur g’rade zu genießen?
Die Freud’ ist lange nicht so groß,
Als wenn ihr erst herauf, herum,
2650Durch allerlei Brimborium,
Das Püppchen geknetet und zugericht’t,
Wie’s lehret manche welsche Geschicht’.
Faust.
Hab’ Appetit auch ohne das.
Mephistopheles.
Jetzt ohne Schimpf und ohne Spaß.
2655Ich sag’ euch, mit dem schönen Kind
136
Geht’s ein- für allemal nicht geschwind.
Mit Sturm ist da nichts einzunehmen;
Wir müssen uns zur List bequemen.
Faust.
Schaff’ mir etwas vom Engelsschatz!
2660Führ’ mich an ihren Ruheplatz!
Schaff’ mir ein Halstuch von ihrer Brust,
Ein Strumpfband meiner Liebeslust!
Mephistopheles.
Damit ihr seht, daß ich eurer Pein
Will förderlich und dienstlich seyn;
2665Wollen wir keinen Augenblick verlieren,
Will euch noch heut’ in ihr Zimmer führen.
Faust.
Und soll sie sehn? sie haben?
Mephistopheles.
Nein!
Sie wird bei einer Nachbarin seyn.
Indessen könnt ihr ganz allein
2670An aller Hoffnung künft’ger Freuden
In ihrem Dunstkreis satt euch weiden.
Faust.
Können wir hin?
Mephistopheles.
Es ist noch zu früh.
137
Faust.
Sorg’ du mir für ein Geschenk für sie.
ab.
Mephistopheles.
Gleich schenken? Das ist brav! Da wird er reüssiren!
2675Ich kenne manchen schönen Platz
Und manchen alt vergrabnen Schatz;
2677Ich muß ein bißchen revidiren.
ab.

138

Abend.


Ein kleines reinliches Zimmer.
Margarete
ihre Zöpfe flechtend und aufbindend.
2678Ich gäb’ was drum, wenn ich nur wüßt’
Wer heut der Herr gewesen ist!
2680Er sah gewiß recht wacker aus,
Und ist aus einem edlen Haus;
Das konnt’ ich ihm an der Stirne lesen –
Er wär’ auch sonst nicht so keck gewesen.
ab.
Mephistopheles. Faust.
Mephistopheles.
Herein, ganz leise, nur herein!
Faust
nach einigem Stillschweigen.
2685Ich bitte dich, laß mich allein!
Mephistopheles
herumspürend.
Nicht jedes Mädchen hält so rein.
ab.
139
Faust
rings aufschauend.
Willkommen süßer Dämmerschein!
Der du dieß Heiligthum durchwebst.
Ergreif mein Herz, du süße Liebespein!
2690Die du vom Thau der Hoffnung schmachtend lebst.
Wie athmet rings Gefühl der Stille,
Der Ordnung, der Zufriedenheit!
In dieser Armuth welche Fülle!
In diesem Kerker welche Seligkeit!
Er wirft sich auf den ledernen Sessel am Bette.
2695O nimm mich auf! der du die Vorwelt schon
Bei Freud’ und Schmerz im offnen Arm empfangen!
Wie oft, ach! hat an diesem Väter-Thron
Schon eine Schaar von Kindern rings gehangen!
Vielleicht hat, dankbar für den heil’gen Christ,
2700Mein Liebchen hier, mit vollen Kinderwangen,
Dem Ahnherrn fromm die welke Hand geküßt.
Ich fühl’, o Mädchen, deinen Geist
Der Füll’ und Ordnung um mich säuseln,
Der mütterlich dich täglich unterweis’t,
2705Den Teppich auf den Tisch dich reinlich breiten heißt,
Sogar den Sand zu deinen Füßen kräuseln.
O liebe Hand! so göttergleich!
Die Hütte wird durch dich ein Himmelreich.
Und hier!
Er hebt einen Bettvorhang auf.
Was faßt mich für ein Wonnegraus!
2710Hier möcht’ ich volle Stunden säumen.
Natur! Hier bildetest in leichten Träumen
140
Den eingebornen Engel aus;
Hier lag das Kind! mit warmem Leben
Den zarten Busen angefüllt,
2715Und hier mit heilig reinem Weben
Entwirkte sich das Götterbild!
Und du! Was hat dich hergeführt?
Wie innig fühl’ ich mich gerührt!
Was willst du hier? Was wird das Herz dir schwer?
2720Armsel’ger Faust! ich kenne dich nicht mehr.
Umgibt mich hier ein Zauberduft?
Mich drang’s so g’rade zu genießen,
Und fühle mich in Liebestraum zerfließen!
Sind wir ein Spiel von jedem Druck der Luft?
2725Und träte sie den Augenblick herein,
Wie würdest du für deinen Frevel büßen!
Der große Hans, ach wie so klein!
Läg’, hingeschmolzen, ihr zu Füßen.
Mephistopheles.
Geschwind! ich seh’ sie unten kommen.
Faust.
2730Fort! Fort! Ich kehre nimmermehr!
Mephistopheles.
Hier ist ein Kästchen leidlich schwer,
Ich hab’s wo anders hergenommen.
Stellt’s hier nur immer in den Schrein,
Ich schwör’ euch, ihr vergehn die Sinnen;
141
2735Ich that euch Sächelchen hinein,
Um eine andre zu gewinnen.
Zwar Kind ist Kind und Spiel ist Spiel.
Faust.
Ich weiß nicht soll ich?
Mephistopheles.
Fragt ihr viel?
Meint ihr vielleicht den Schatz zu wahren?
2740Dann rath’ ich eurer Lüsternheit,
Die liebe schöne Tageszeit
Und mir die weitre Müh’ zu sparen.
Ich hoff’ nicht daß ihr geizig seyd!
Ich kratz’ den Kopf, reib’ an den Händen –
Er stellt das Kästchen in den Schrein und drückt das Schloß wieder zu.
2745Nur fort! geschwind! –
Um euch das süße junge Kind
Nach Herzens Wunsch und Will’ zu wenden;
Und ihr seht drein,
Als solltet ihr in den Hörsaal hinein,
2750Als stünden grau leibhaftig vor euch da
Physik und Metaphysika!
Nur fort! –
ab.
Margarete
mit einer Lampe.
Es ist so schwül, so dumpfig hie
Sie macht das Fenster auf.
142
Und ist doch eben so warm nicht drauß’.
2755Es wird mir so, ich weiß nicht wie –
Ich wollt’, die Mutter käm’ nach Haus.
Mir läuft ein Schauer über’n ganzen Leib –
Bin doch ein thöricht furchtsam Weib!
Sie fängt an zu singen, indem sie sich auszieht.
Es war ein König in Thule
2760Gar treu bis an das Grab,
Dem sterbend seine Buhle
Einen goldnen Becher gab.
Es ging ihm nichts darüber,
Er leert ihn jeden Schmaus;
2765Die Augen gingen ihm über,
So oft er trank daraus.
Und als er kam zu sterben,
Zählt’ er seine Städt’ im Reich,
Gönnt’ alles seinem Erben,
2770Den Becher nicht zugleich.
Er saß bei’m Königsmahle,
Die Ritter um ihn her,
Auf hohem Väter-Saale,
Dort auf dem Schloß am Meer.
2775Dort stand der alte Zecher,
Trank letzte Lebensgluth,
Und warf den heiligen Becher
Hinunter in die Fluth.
143
Er sah ihn stürzen, trinken
2780Und sinken tief in’s Meer,
Die Augen thäten ihm sinken,
Trank nie einen Tropfen mehr.
Sie eröffnet den Schrein, ihre Kleider einzuräumen, und erblickt das Schmuckkästchen.
Wie kommt das schöne Kästchen hier herein?
Ich schloß doch ganz gewiß den Schrein.
2785Es ist doch wunderbar! Was mag wohl drinne seyn?
Vielleicht bracht’s jemand als ein Pfand,
Und meine Mutter lieh darauf.
Da hängt ein Schlüsselchen am Band,
Ich denke wohl ich mach’ es auf!
2790Was ist das? Gott im Himmel! Schau,
So was hab’ ich mein’ Tage nicht gesehn!
Ein Schmuck! Mit dem könnt’ eine Edelfrau
Am höchsten Feyertage gehn.
Wie sollte mir die Kette stehn?
2795Wem mag die Herrlichkeit gehören?
Sie putzt sich damit auf und tritt vor den Spiegel.
Wenn nur die Ohrring’ meine wären!
Man sieht doch gleich ganz anders drein.
Was hilft euch Schönheit, junges Blut?
Das ist wohl alles schön und gut,
2800Allein man läßt’s auch alles seyn;
Man lobt euch halb mit Erbarmen.
Nach Golde drängt,
Am Golde hängt
2804Doch Alles. Ach wir Armen!

144

Spaziergang.


Faust in Gedanken auf und ab gehend. Zu ihm Mephistopheles.
Mephistopheles.
2805Bei aller verschmähten Liebe! Bei’m höllischen Elemente!
Ich wollt’ ich wüßte was ärgers, daß ich’s fluchen könnte!
Faust.
Was hast? was kneipt dich denn so sehr?
So kein Gesicht sah’ ich in meinem Leben!
Mephistopheles.
Ich möcht’ mich gleich dem Teufel übergeben,
2810Wenn ich nur selbst kein Teufel wär’!
Faust.
Hat sich dir was im Kopf verschoben?
Dich kleidet’s, wie ein Rasender zu toben!
Mephistopheles.
Denkt nur, den Schmuck für Gretchen angeschafft,
Den hat ein Pfaff hinweggerafft! –
145
2815Die Mutter kriegt das Ding zu schauen,
Gleich fängt’s ihr heimlich an zu grauen:
Die Frau hat gar einen feinen Geruch,
Schnuffelt immer im Gebetbuch,
Und riecht’s einem jeden Möbel an,
2820Ob das Ding heilig ist oder profan;
Und an dem Schmuck da spürt sie’s klar,
Daß dabei nicht viel Segen war.
Mein Kind, rief sie, ungerechtes Gut
Befängt die Seele, zehrt auf das Blut.
2825Wollen’s der Mutter Gottes weihen,
Wird uns mit Himmels-Manna erfreuen!
Margretlein zog ein schiefes Maul,
Ist halt, dacht’ sie, ein geschenkter Gaul,
Und wahrlich! gottlos ist nicht der,
2830Der ihn so fein gebracht hierher.
Die Mutter ließ einen Pfaffen kommen;
Der hatte kaum den Spaß vernommen,
Ließ sich den Anblick wohl behagen.
Er sprach: So ist man recht gesinnt!
2835Wer überwindet der gewinnt.
Die Kirche hat einen guten Magen,
Hat ganze Länder aufgefressen,
Und doch noch nie sich übergessen;
Die Kirch’ allein, meine lieben Frauen,
2840Kann ungerechtes Gut verdauen.
Faust.
Das ist ein allgemeiner Brauch,
Ein Jud’ und König kann es auch.
146
Mephistopheles.
Strich drauf ein Spange, Kett’ und Ring’,
Als wären’s eben Pfifferling’,
2845Dankt’ nicht weniger und nicht mehr,
Als ob’s ein Korb voll Nüsse wär’,
Versprach ihnen allen himmlischen Lohn –
Und sie waren sehr erbaut davon.
Faust.
Und Gretchen?
Mephistopheles.
Sitzt nun unruhvoll,
2850Weiß weder was sie will noch soll,
Denkt an’s Geschmeide Tag und Nacht,
Noch mehr an den der’s ihr gebracht.
Faust.
Des Liebchens Kummer thut mir leid.
Schaff’ du ihr gleich ein neu Geschmeid’!
2855Am ersten war ja so nicht viel.
Mephistopheles.
O ja, dem Herrn ist Alles Kinderspiel!
Faust.
Und mach’, und richt’s nach meinem Sinn
Häng’ dich an ihre Nachbarin.
Sey Teufel doch nur nicht wie Brey.
2860Und schaff’ einen neuen Schmuck herbei!
147
Mephistopheles.
Ja, gnäd’ger Herr, von Herzen gerne.
Faust ab.
Mephistopheles.
So ein verliebter Thor verpufft
Euch Sonne, Mond und alle Sterne
2864Zum Zeitvertreib dem Liebchen in die Luft.
ab.

148

Der Nachbarin Haus.


Marthe
allein.
2865Gott verzeih’s meinem lieben Mann,
Er hat an mir nicht wohl gethan!
Geht da stracks in die Welt hinein,
Und läßt mich auf dem Stroh allein.
Thät’ ihn doch wahrlich nicht betrüben,
2870Thät’ ihn, weiß Gott, recht herzlich lieben.
Sie weint.
Vielleicht ist er gar todt! – O Pein! – –
Hätt’ ich nur einen Todtenschein!
Margarete kommt.
Margarete.
Frau Marthe!
Marthe.
Gretelchen, was soll’s?
Margarete.
Fast sinken mir die Kniee nieder!
2875Da find’ ich so ein Kästchen wieder
In meinem Schrein, von Ebenholz,
Und Sachen herrlich ganz und gar,
Weit reicher als das erste war.
149
Marthe.
Das muß sie nicht der Mutter sagen;
2880Thät’s wieder gleich zur Beichte tragen.
Margarete.
Ach seh’ sie nur! ach schau’ sie nur!
Marthe
putzt sie auf.
O du glücksel’ge Creatur!
Margarete.
Darf mich, leider, nicht auf der Gassen,
Noch in der Kirche mit sehen lassen.
Marthe.
2885Komm du nur oft zu mir herüber,
Und leg’ den Schmuck hier heimlich an;
Spazier’ ein Stündchen lang dem Spiegelglas vorüber,
Wir haben unsre Freude dran;
Und dann gibt’s einen Anlaß, gibt’s ein Fest,
2890Wo man’s so nach und nach den Leuten sehen läßt.
Ein Kettchen erst, die Perle dann in’s Ohr;
Die Mutter sieht’s wohl nicht, man macht ihr auch was vor
Margarete.
Wer konnte nur die beiden Kästchen bringen?
Es geht nicht zu mit rechten Dingen!
Es klopft.
Margarete.
2895Ach Gott! mag das meine Mutter seyn?
Marthe
durch’s Vorhängel guckend.
Es ist ein fremder Herr – Herein!
150
Mephistopheles tritt auf.
Mephistopheles.
Bin so frei g’rad’ herein zu treten,
Muß bei den Frauen Verzeihn erbeten.
Tritt ehrerbietig vor Margareten zurück.
Wollte nach Frau Marthe Schwerdtlein fragen!
Marthe.
2900Ich bin’s, was hat der Herr zu sagen?
Mephistopheles
leise zu ihr.
Ich kenne Sie jetzt, mir ist das genug;
Sie hat da gar vornehmen Besuch.
Verzeiht die Freiheit die ich genommen,
Will Nachmittage wieder kommen.
Marthe
laut.
2905Denk’, Kind, um alles in der Welt!
Der Herr dich für ein Fräulein hält.
Margarete.
Ich bin ein armes junges Blut;
Ach Gott! der Herr ist gar zu gut:
Schmuck und Geschmeide sind nicht mein.
Mephistopheles.
2910Ach, es ist nicht der Schmuck allein;
Sie hat ein Wesen, einen Blick so scharf!
Wie freut mich’s daß ich bleiben darf.
Marthe.
Was bringt er denn? Verlange sehr –
151
Mephistopheles.
Ich wollt’ ich hätt’ eine frohere Mähr’!
2915Ich hoffe sie läßt mich’s drum nicht büßen:
Ihr Mann ist todt und läßt sie grüßen.
Marthe.
Ist todt? das treue Herz! O weh!
Mein Mann ist todt! Ach ich vergeh’!
Margarete.
Ach! liebe Frau, verzweifelt nicht!
Mephistopheles.
2920So hört die traurige Geschicht’!
Margarete.
Ich würde drum mein’ Tag’ nicht lieben,
Würde mich Verlust zu Tode betrüben.
Mephistopheles.
Freud’ muß Leid, Leid muß Freude haben.
Marthe.
Erzählt mir seines Lebens Schluß!
Mephistopheles.
2925Er liegt in Padua begraben
Bei’m heiligen Antonius,
An einer wohlgeweihten Stätte
Zum ewig kühlen Ruhebette.
Marthe.
Habt ihr sonst nichts an mich zu bringen?
Mephistopheles.
2930Ja, eine Bitte, groß und schwer;
Laß sie doch ja für ihn dreyhundert Messen singen!
Im übrigen sind meine Taschen leer.
152
Marthe.
Was! Nicht ein Schaustück? Kein Geschmeid’?
Was jeder Handwerksbursch im Grund des Säckels spart,
2935Zum Angedenken aufbewahrt,
Und lieber hungert, lieber bettelt!
Mephistopheles.
Madam, es thut mir herzlich leid;
Allein er hat sein Geld wahrhaftig nicht verzettelt.
Auch er bereute seine Fehler sehr,
2940Ja, und bejammerte sein Unglück noch viel mehr.
Margarete.
Ach! daß die Menschen so unglücklich sind!
Gewiß ich will für ihn manch Requiem noch beten.
Mephistopheles.
Ihr wäret werth, gleich in die Eh’ zu treten:
Ihr seyd ein liebenswürdig Kind.
Margarete.
2945Ach nein, das geht jetzt noch nicht an.
Mephistopheles.
Ist’s nicht ein Mann, sey’s derweil’ ein Galan.
’s ist eine der größten Himmelsgaben,
So ein lieb Ding im Arm zu haben.
Margarete.
Das ist des Landes nicht der Brauch.
Mephistopheles.
2950Brauch oder nicht! Es gibt sich auch.
153
Marthe.
Erzählt mir doch!
Mephistopheles.
Ich stand an seinem Sterbebette,
Es war was besser als von Mist,
Von halbgefaultem Stroh; allein er starb als Christ,
Und fand daß er weit mehr noch auf der Zeche hätte.
2955Wie, rief er, muß ich mich von Grund aus hassen,
So mein Gewerb, mein Weib so zu verlassen!
Ach! die Erinnrung tödtet mich.
Vergäb’ sie mir nur noch in diesem Leben! –
Marthe
weinend.
Der gute Mann! ich hab’ ihm längst vergeben.
Mephistopheles.
2960Allein, weiß Gott! sie war mehr Schuld als ich.
Marthe.
Das lügt er! Was! am Rand des Grab’s zu lügen!
Mephistopheles.
Er fabelte gewiß in letzten Zügen,
Wenn ich nur halb ein Kenner bin.
Ich hatte, sprach er, nicht zum Zeitvertreib zu gaffen,
2965Erst Kinder, und dann Brot für sie zu schaffen,
Und Brot im allerweit’sten Sinn,
Und konnte nicht einmal mein Theil in Frieden essen.
Marthe.
Hat er so aller Treu’, so aller Lieb’ vergessen,
Der Plackerey bei Tag und Nacht!
154
Mephistopheles.
2970Nicht doch, er hat euch herzlich dran gedacht.
Er sprach: Als ich nun weg von Malta ging,
Da betet’ ich für Frau und Kinder brünstig;
Uns war denn auch der Himmel günstig,
Daß unser Schiff ein Türkisch Fahrzeug fing,
2975Das einen Schatz des großen Sultans führte.
Da ward der Tapferkeit ihr Lohn,
Und ich empfing denn auch, wie sich’s gebührte,
Mein wohlgemess’nes Theil davon.
Marthe.
Ey wie? Ey wo? Hat er’s vielleicht vergraben?
Mephistopheles.
2980Wer weiß, wo nun es die vier Winde haben.
Ein schönes Fräulein nahm sich seiner an,
Als er in Napel fremd umher spazierte;
Sie hat an ihm viel Lieb’s und Treu’s gethan,
Daß er’s bis an sein selig Ende spürte.
Marthe.
2985Der Schelm! der Dieb an seinen Kindern!
Auch alles Elend, alle Noth
Konnt’ nicht sein schändlich Leben hindern!
Mephistopheles.
Ja seht! dafür ist er nun todt.
Wär’ ich nun jetzt an eurem Platze,
2990Betraurt’ ich ihn ein züchtig Jahr.
Visirte dann unterweil’ nach einem neuen Schatze.
155
Marthe.
Ach Gott! wie doch mein erster war,
Find’ ich nicht leicht auf dieser Welt den andern!
Es konnte kaum ein herziger Närrchen seyn.
2995Er liebte nur das allzuviele Wandern;
Und fremde Weiber, und fremden Wein,
Und das verfluchte Würfelspiel.
Mephistopheles.
Nun, nun, so konnt’ es gehn und stehen,
Wenn er euch ungefähr so viel
3000Von seiner Seite nachgesehen.
Ich schwör’ euch zu, mit dem Beding
Wechselt’ ich selbst mit euch den Ring!
Marthe.
O es beliebt dem Herrn zu scherzen!
Mephistopheles
für sich.
Nun mach’ ich mich bei Zeiten fort!
3005Die hielte wohl den Teufel selbst bei’m Wort.
zu Gretchen
Wie steht es denn mit Ihrem Herzen?
Margarete.
Was meint der Herr damit?
Mephistopheles
für sich.
Du gut’s, unschuldig’s Kind!
Laut
Lebt wohl ihr Fraun!
Margarete.
Lebt wohl!
156
Marthe.
O sagt mir doch geschwind!
Ich möchte gern ein Zeugniß haben,
3010Wo, wie und wann mein Schatz gestorben und begraben.
Ich bin von je der Ordnung Freund gewesen,
Möcht’ ihn auch todt im Wochenblättchen lesen.
Mephistopheles.
Ja, gute Frau, durch zweyer Zeugen Mund
Wird allerwegs die Wahrheit kund;
3015Habe noch gar einen feinen Gesellen,
Den will ich euch vor den Richter stellen.
Ich bring’ ihn her.
Marthe.
O thut das ja!
Mephistopheles.
Und hier die Jungfrau ist auch da? –
Ein braver Knab’! ist viel gereis’t,
3020Fräuleins alle Höflichkeit erweis’t.
Margarete.
Müßte vor dem Herren schamroth werden.
Mephistopheles.
Vor keinem Könige der Erden.
Marthe.
Da hinter’m Haus in meinem Garten
3024Wollen wir der Herrn heut’ Abend warten.

157

Straße.


Faust. Mephistopheles.
Faust.
3025Wie ist’s? Will’s fördern? Will’s bald gehn?
Mephistopheles.
Ah bravo! Find’ ich euch in Feuer?
In kurzer Zeit ist Gretchen euer.
Heut’ Abend sollt ihr sie bei Nachbar’ Marthen sehn:
Das ist ein Weib wie auserlesen
3030Zum Kuppler- und Zigeunerwesen!
Faust.
So recht!
Mephistopheles.
Doch wird auch was von uns begehrt.
Faust.
Ein Dienst ist wohl des andern werth.
Mephistopheles.
Wir legen nur ein gültig Zeugniß nieder,
Daß ihres Ehherrn ausgereckte Glieder
3035In Padua an heil’ger Stätte ruhn.
158
Faust.
Sehr klug! Wir werden erst die Reise machen müssen!
Mephistopheles.
Sancta Simplicitas! darum ist’s nicht zu thun;
Bezeugt nur ohne viel zu wissen.
Faust.
Wenn Er nichts bessers hat, so ist der Plan zerrissen.
Mephistopheles.
3040O heil’ger Mann! Da wär’t ihr’s nun!
Ist es das erstemal in eurem Leben,
Daß ihr falsch Zeugniß abgelegt?
Habt ihr von Gott, der Welt und was sich d’rin bewegt,
Vom Menschen, was sich ihm in Kopf und Herzen regt,
3045Desinitionen nicht mit großer Kraft gegeben?
Mit frecher Stirne, kühner Brust?
Und wollt ihr recht in’s Innre gehen,
Habt ihr davon, ihr müßt es g’rad’ gestehen,
So viel als von Herrn Schwerdtleins Tod gewußt!
Faust.
3050Du bist und bleibst ein Lügner, ein Sophiste.
Mephistopheles.
Ja, wenn mann’s nicht ein bißchen tiefer wüßte.
Denn morgen wirst, in allen Ehren,
Das arme Gretchen nicht bethören,
Und alle Seelenlieb’ ihr schwören?
Faust.
3055Und zwar von Herzen.
159
Mephistopheles.
3055Gut und schön!
Dann wird von ewiger Treu’ und Liebe,
Von einzig überallmächt’gem Triebe –
Wird das auch so von Herzen gehn?
Faust.
Laß das! Es wird! – Wenn ich empfinde,
3060Für das Gefühl, für das Gewühl
Nach Namen suche, keinen finde,
Dann durch die Welt mit allen Sinnen schweife,
Nach allen höchsten Worten greife,
Und diese Gluth, von der ich brenne,
3065Unendlich, ewig, ewig nenne,
Ist das ein teuflisch Lügenspiel?
Mephistopheles.
Ich hab’ doch Recht!
Faust.
Hör’! merk’ dir dieß –
Ich bitte dich, und schone meine Lunge –
Wer Recht behalten will und hat nur eine Zunge,
3070Behält’s gewiß.
Und komm’, ich hab’ des Schwätzens Ueberdruß,
3072Denn du hast Recht, vorzüglich weil ich muß.

160

Garten.


Margarete an Faustens Arm, Marthe mit Mephistopheles auf und ab spazierend.
Margarete.
3073Ich fühl’ es wohl, daß mich der Herr nur schont,
Herab sich läßt, mich zu beschämen.
3075Ein Reisender ist so gewohnt
Aus Gütigkeit fürlieb zu nehmen;
Ich weiß zu gut, daß solch’ erfahrnen Mann
Mein arm Gespräch nicht unterhalten kann.
Faust.
Ein Blick von dir, Ein Wort mehr unterhält,
3080Als alle Weisheit dieser Welt.
Er küßt ihre Hand.
Margarete.
Incommodirt euch nicht! Wie könnt ihr sie nur küssen?
Sie ist so garstig, ist so rauh!
Was hab’ ich nicht schon alles schaffen müssen!
Die Mutter ist gar zu genau.
Gehn vorüber.
161
Marthe.
3085Und ihr, mein Herr, ihr reis’t so immer fort?
Mephistopheles.
Ach, daß Gewerb’ und Pflicht uns dazu treiben!
Mit wie viel Schmerz verläßt man manchen Ort,
Und darf doch nun einmal nicht bleiben!
Marthe.
In raschen Jahren geht’s wohl an,
3090So um und um frei durch die Welt zu streifen;
Doch kömmt die böse Zeit heran,
Und sich als Hagestolz allein zum Grab’ zu schleifen,
Das hat noch Keinem wohl gethan.
Mephistopheles.
Mit Grausen seh’ ich das von weiten.
Marthe.
3095Drum, werther Herr, berathet euch in Zeiten.
Gehn vorüber.
Margarete.
Ja, aus den Augen aus dem Sinn!
Die Höflichkeit ist euch geläufig;
Allein ihr habt der Freunde häufig,
Sie sind verständiger als ich bin.
Faust.
3100O Beste! glaube, was man so verständig nennt,
Ist oft mehr Eitelkeit und Kurzsinn.
Margarete.
Wie?
162
Faust.
Ach, daß die Einfalt, daß die Unschuld nie
Sich selbst und ihren heil’gen Werth erkennt!
Daß Demuth, Niedrigkeit, die höchsten Gaben
3105Der liebevoll austheilenden Natur –
Margarete.
Denkt ihr an mich ein Augenblickchen nur,
Ich werde Zeit genug an euch zu denken haben.
Faust.
Ihr seyd wohl viel allein?
Margarete.
Ja, unsre Wirthschaft ist nur klein,
3110Und doch will sie versehen seyn.
Wir haben keine Magd; muß kochen, fegen, stricken
Und nähn, und laufen früh und spat;
Und meine Mutter ist in allen Stücken
So accurat!
3115Nicht daß sie just so sehr sich einzuschränken hat;
Wir könnten uns weit eh’r als andre regen:
Mein Vater hinterließ ein hübsch Vermögen,
Ein Häuschen und ein Gärtchen vor der Stadt.
Doch hab’ ich jetzt so ziemlich stille Tage;
3120Mein Bruder ist Soldat,
Mein Schwesterchen ist todt.
Ich hatte mit dem Kind wohl meine liebe Noth;
Doch übernähm’ ich gern noch einmal alle Plage,
So lieb war mir das Kind.
Faust.
Ein Engel, wenn dir’s glich.
163
Margarete.
3125Ich zog es auf, und herzlich liebt’ es mich.
Es war nach meines Vaters Tod geboren,
Die Mutter gaben wir verloren,
So elend wie sie damals lag,
Und sie erholte sich sehr langsam, nach und nach.
3130Da konnte sie nun nicht d’ran denken
Das arme Würmchen selbst zu tränken,
Und so erzog ich’s ganz allein,
Mit Milch und Wasser; so ward’s mein.
Auf meinem Arm, in meinem Schoos
3135War’s freundlich, zappelte, ward groß.
Faust.
Du hast gewiß das reinste Glück empfunden.
Margarete.
Doch auch gewiß gar manche schwere Stunden.
Des Kleinen Wiege stand zu Nacht
An meinem Bett’, es durfte kaum sich regen,
3140War ich erwacht;
Bald mußt’ ich’s tränken, bald es zu mir legen,
Bald, wenn’s nicht schwieg, vom Bett’ aufstehn,
Und tänzelnd in der Kammer auf und nieder gehn,
Und früh am Tage schon am Waschtrog stehn;
3145Dann auf dem Markt und an dem Herde sorgen,
Und immer fort wie heut so morgen.
Da geht’s, mein Herr, nicht immer muthig zu;
Doch schmeckt dafür das Essen, schmeckt die Ruh.
Gehn vorüber.
164
Marthe.
Die armen Weiber sind doch übel dran:
3150Ein Hagestolz ist schwerlich zu bekehren.
Mephistopheles.
Es käme nur auf eures gleichen an,
Mich eines bessern zu belehren.
Marthe.
Sagt g’rad’, mein Herr, habt ihr noch nichts gefunden?
Hat sich das Herz nicht irgendwo gebunden?
Mephistopheles.
3155Das Sprichwort sagt: Ein eigner Herd,
Ein braves Weib, sind Gold und Perlen werth.
Marthe.
Ich meine, ob ihr niemals Lust bekommen?
Mephistopheles.
Man hat mich überall recht höflich aufgenommen.
Marthe.
Ich wollte sagen: ward’s nie Ernst in eurem Herzen?
Mephistopheles.
3160Mit Frauen soll man sich nie unterstehn zu scherzen.
Marthe.
Ach, ihr versteht mich nicht!
Mephistopheles.
Das thut mir herzlich leid!
Doch ich versteh’ – daß ihr sehr gütig seyd.
Gehn vorüber.
165
Faust.
Du kanntest mich, o kleiner Engel, wieder,
Gleich als ich in den Garten kam?
Margarete.
3165Saht ihr es nicht? ich schlug die Augen nieder.
Faust.
Und du verzeihst die Freiheit, die ich nahm,
Was sich die Frechheit unterfangen,
Als du jüngst aus dem Dom gegangen?
Margarete.
Ich war bestürzt, mir war das nie geschehn;
3170Es konnte niemand von mir übels sagen.
Ach, dacht’ ich, hat er in deinem Betragen
Was freches, unanständiges gesehn?
Es schien ihn gleich nur anzuwandeln,
Mit dieser Dirne g’rade hin zu handeln.
3175Gesteh’ ich’s doch! Ich wußte nicht was sich
Zu eurem Vortheil hier zu regen gleich begonnte;
Allein gewiß, ich war recht bös’ auf mich,
Daß ich auf euch nicht böser werden konnte.
Faust.
Süß Liebchen!
Margarete.
Laßt einmal!
Sie pflückt eine Sternblume und zupft die Blätter ab, eins nach dem andern.
Faust.
Was soll das? Einen Strauß?
166
Margarete.
3180Nein, es soll nur ein Spiel.
Faust.
3180Wie?
Margarete.
3180Geht! ihr lacht mich aus.
Sie rupft und murmelt.
Faust.
Was murmelst du?
Margarete
halb laut.
Er liebt mich – liebt mich nicht.
Faust.
Du holdes Himmels-Angesicht!
Margarete
fährt fort.
Liebt mich – Nicht – Liebt mich – Nicht –
Das letzte Blatt ausrupfend, mit holder Freude
Er liebt mich!
Faust.
Ja, mein Kind! Laß dieses Blumenwort
3185Dir Götter-Ausspruch seyn. Er liebt dich!
Verstehst du, was das heißt? Er liebt dich!
Er faßt ihre beiden Hände.
Margarete.
Mich überläuft’s!
Faust.
O schaudre nicht! Laß diesen Blick,
Laß diesen Händedruck dir sagen,
3190Was unaussprechlich ist:
Sich hinzugeben ganz und eine Wonne
167
Zu fühlen, die ewig seyn muß!
Ewig! – Ihr Ende würde Verzweiflung seyn.
Nein, kein Ende! Kein Ende!
Margarete drückt ihm die Hände, macht sich los und läuft weg. Er steht einen Augenblick in Gedanken, dann folgt er ihr.
Marthe
kommend.
3195Die Nacht bricht an.
Mephistopheles.
3195Ja, und wir wollen fort.
Marthe.
Ich bät’ euch länger hier zu bleiben,
Allein es ist ein gar zu böser Ort.
Es ist als hätte niemand nichts zu treiben
Und nichts zu schaffen,
3200Als auf des Nachbarn Schritt und Tritt zu gaffen,
Und man kommt in’s Gered’, wie man sich immer stellt.
Und unser Pärchen?
Mephistopheles.
Ist den Gang dort aufgeflogen.
Muthwill’ge Sommervögel!
Marthe.
Er scheint ihr gewogen.
Mephistopheles.
3204Und sie ihm auch. Das ist der Lauf der Welt.

168

Ein Gartenhäuschen.


Margarete springt herein, steckt sich hinter die Thür, hält die Fingerspitze an die Lippen, und guckt durch die Ritze.
Margarete.
3205Er kommt!
Faust
kommt.
3205Ach Schelm, so neckst du mich!
Treff’ ich dich!
Er küßt sie.
Margarete
ihn fassend und den Kuß zurückgebend.
Bester Mann! von Herzen lieb’ ich dich!
Mephistopheles klopft an.
Faust
stampfend.
Wer da?
Mephistopheles.
Gut Freund!
Faust.
Ein Thier!
Mephistopheles.
Es ist wohl Zeit zu scheiden.
169
Marthe
kommt.
Ja, es ist spät, mein Herr.
Faust.
Darf ich euch nicht geleiten?
Margarete.
Die Mutter würde mich – Lebt wohl!
Faust.
Muß ich denn gehn?
3210Lebt wohl!
Marthe.
3210Ade!
Margarete.
3210Auf baldig Wiedersehn!
Faust und Mephistopheles ab.
Margarete.
Du lieber Gott! was so ein Mann
Nicht alles alles denken kann!
Beschämt nur steh’ ich vor ihm da,
Und sag’ zu allen Sachen ja.
3215Bin doch ein arm unwissend Kind,
3216Begreife nicht was er an mir find’t.
ab.

170

Wald und Höhle.


Faust
allein.
3217Erhabner Geist, du gabst mir, gabst mir alles,
Warum ich bat. Du hast mir nicht umsonst
Dein Angesicht im Feuer zugewendet.
3220Gabst mir die herrliche Natur zum Königreich,
Kraft, sie zu fühlen, zu genießen. Nicht
Kalt staunenden Besuch erlaubst du nur,
Vergönnest mir in ihre tiefe Brust
Wie in den Busen eines Freund’s zu schauen.
3225Du führst die Reihe der Lebendigen
Vor mir vorbei, und lehrst mich meine Brüder
Im stillen Busch, in Luft und Wasser kennen.
Und wenn der Sturm im Walde braus’t und knarrt,
Die Riesenfichte stürzend Nachbaräste
3230Und Nachbarstämme quetschend nieder streift,
Und ihrem Fall dumpf hohl der Hügel donnert;
Dann führst du mich zur sichern Höhle, zeigst
Mich dann mir selbst, und meiner eignen Brust
Geheime tiefe Wunder öffnen sich.
3235Und steigt vor meinem Blick der reine Mond
Besänftigend herüber; schweben mir
171
Von Felsenwänden, aus dem feuchten Busch,
Der Vorwelt silberne Gestalten auf,
Und lindern der Betrachtung strenge Lust.
3240O daß dem Menschen nichts Vollkomm’nes wird,
Empfind’ ich nun. Du gabst zu dieser Wonne,
Die mich den Göttern nah’ und näher bringt,
Mir den Gefährten, den ich schon nicht mehr
Entbehren kann, wenn er gleich, kalt und frech,
3245Mich vor mir selbst erniedrigt, und zu Nichts,
Mit einem Worthauch, deine Gaben wandelt.
Er facht in meiner Brust ein wildes Feuer
Nach jenem schönen Bild geschäftig an.
So tauml’ ich von Begierde zu Genuß,
3250Und im Genuß verschmacht’ ich nach Begierde.
Mephistopheles tritt auf.
Mephistopheles.
Habt ihr nun bald das Leben g’nug geführt?
Wie kann’s euch in die Länge freuen?
Es ist wohl gut, daß man’s einmal probirt;
Dann aber wieder zu was Neuen!
Faust.
3255Ich wollt’, du hättest mehr zu thun,
Als mich am guten Tag zu plagen.
Mephistopheles.
Nun nun! ich lass’ dich gerne ruhn,
Du darfst mir’s nicht im Ernste sagen.
An dir Gesellen unhold, barsch und toll,
172
3260Ist wahrlich wenig zu verlieren.
Den ganzen Tag hat man die Hände voll!
Was ihm gefällt und was man lassen soll,
Kann man dem Herrn nie an der Nase spüren.
Faust.
Das ist so just der rechte Ton!
3265Er will noch Dank, daß er mich ennüyirt.
Mephistopheles.
Wie hätt’st du, armer Erdensohn,
Dein Leben ohne mich geführt?
Vom Kribskrabs der Imagination
Hab’ ich dich doch auf Zeiten lang curirt;
3270Und wär’ ich nicht, so wär’st du schon
Von diesem Erdball abspazirt.
Was hast du da in Höhlen, Felsenritzen
Dich wie ein Schuhu zu versitzen?
Was schlurfst aus dumpfem Moos und triefendem Gestein,
3275Wie eine Kröte, Nahrung ein?
Ein schöner, süßer Zeitvertreib!
Dir steckt der Doctor noch im Leib.
Faust.
Verstehst du, was für neue Lebenskraft
Mir dieser Wandel in der Oede schafft?
3280Ja, würdest du es ahnen können,
Du wärest Teufel g’nug mein Glück mir nicht zu gönnen.
Mephistopheles.
Ein überirdisches Vergnügen!
In Nacht und Thau auf den Gebirgen liegen,
173
Und Erd und Himmel wonniglich umfassen,
3285Zu einer Gottheit sich aufschwellen lassen,
Der Erde Mark mit Ahnungsdrang durchwühlen,
Alle sechs Tagewerk’ im Busen fühlen,
In stolzer Kraft ich weiß nicht was genießen,
Bald liebewonniglich in alles überfließen,
3290Verschwunden ganz der Erdensohn,
Und dann die hohe Intuition –
Mit einer Geberde.
Ich darf nicht sagen wie – zu schließen.
Faust.
Pfuy über dich!
Mephistopheles.
Das will euch nicht behagen;
Ihr habt das Recht gesittet pfuy zu sagen.
3295Man darf das nicht vor keuschen Ohren nennen,
Was keusche Herzen nicht entbehren können.
Und kurz und gut, ich gönn’ Ihm das Vergnügen,
Gelegentlich sich etwas vorzulügen;
Doch lange hält Er das nicht aus.
3300Du bist schon wieder abgetrieben,
Und, währt es länger, aufgerieben
In Tollheit oder Angst und Graus.
Genug damit! Dein Liebchen sitzt dadrinne,
Und alles wird ihr eng’ und trüb’.
3305Du kommst ihr gar nicht aus dem Sinne,
Sie hat dich übermächtig lieb.
Erst kam deine Liebeswuth übergeflossen,
Wie vom geschmolznen Schnee ein Bächlein übersteigt;
174
Du hast sie ihr in’s Herz gegossen;
3310Nun ist dein Bächlein wieder seicht.
Mich dünkt, anstatt in Wäldern zu thronen,
Ließ es dem großen Herren gut,
Das arme affenjunge Blut
Für seine Liebe zu belohnen.
3315Die Zeit wird ihr erbärmlich lang;
Sie steht am Fenster, sieht die Wolken ziehn
Ueber die alte Stadtmauer hin.
Wenn ich ein Vöglein wär’! so geht ihr Gesang
Tagelang, halbe Nächte lang.
3320Einmal ist sie munter, meist betrübt,
Einmal recht ausgeweint,
Dann wieder ruhig, wie’s scheint,
Und immer verliebt.
Faust.
Schlange! Schlange!
Mephistopheles
für sich.
3325Gelt! daß ich dich fange!
Faust.
Verruchter! hebe dich von hinnen,
Und nenne nicht das schöne Weib!
Bring’ die Begier zu ihrem süßen Leib
Nicht wieder vor die halb verrückten Sinnen!
Mephistopheles.
3330Was soll es denn? Sie meint, du seyst entfloh’n,
Und halb und halb bist du es schon.
175
Faust.
Ich bin ihr nah’, und wär’ ich noch so fern,
Ich kann sie nie vergessen, nie verlieren;
Ja, ich beneide schon den Leib des Herrn,
3335Wenn ihre Lippen ihn indeß berühren.
Mephistopheles.
Gar wohl, mein Freund! Ich hab’ euch oft beneidet
Um’s Zwillingspaar, das unter Rosen weidet.
Faust.
Entfliehe, Kuppler!
Mephistopheles.
Schön! Ihr schimpft und ich muß lachen.
Der Gott, der Bub’ und Mädchen schuf,
3340Erkannte gleich den edelsten Beruf,
Auch selbst Gelegenheit zu machen.
Nur fort, es ist ein großer Jammer!
Ihr sollt in eures Liebchens Kammer,
Nicht etwa in den Tod.
Faust.
3345Was ist die Himmelsfreud’ in ihren Armen?
Laß mich an ihrer Brust erwarmen!
Fühl’ ich nicht immer ihre Noth?
Bin ich der Flüchtling nicht? der Unbehaus’te?
Der Unmensch ohne Zweck und Ruh?
3350Der wie ein Wassersturz von Fels zu Felsen braus’te
Begierig wüthend nach dem Abgrund zu.
Und seitwärts sie, mit kindlich dumpfen Sinnen,
Im Hüttchen auf dem kleinen Alpenfeld,
176
Und all ihr häusliches Beginnen
3355Umfangen in der kleinen Welt.
Und ich, der Gottverhaßte, hatte nicht genug,
Daß ich die Felsen faßte
Und sie zu Trümmern schlug!
3360Sie, ihren Frieden mußt’ ich untergraben!
Du, Hölle, mußtest dieses Opfer haben!
Hilf, Teufel, mir die Zeit der Angst verkürzen!
Was muß geschehn, mag’s gleich geschehn!
Mag ihr Geschick auf mich zusammenstürzen
3365Und sie mit mir zu Grunde gehn.
Mephistopheles.
Wie’s wieder siedet, wieder glüht!
Geh’ ein und tröste sie, du Thor!
Wo so ein Köpfchen keinen Ausgang sieht,
Stellt er sich gleich das Ende vor.
3370Es lebe wer sich tapfer hält!
Du bist doch sonst so ziemlich eingeteufelt.
Nichts Abgeschmackters find’ ich auf der Welt,
3373Als einen Teufel der verzweifelt.

177

Gretchens Stube.


Gretchen
am Spinnrade allein.
3374Meine Ruh’ ist hin,
3375Mein Herz ist schwer;
Ich finde sie nimmer
Und nimmermehr.
Wo ich ihn nicht hab’
Ist mir das Grab,
3380Die ganze Welt
Ist mir vergällt.
Mein armer Kopf
Ist mir verrückt,
Mein armer Sinn
3385Ist mir zerstückt.
Meine Ruh’ ist hin,
Mein Herz ist schwer;
Ich finde sie nimmer
Und nimmermehr.
178
3390Nach ihm nur schau’ ich
Zum Fenster hinaus,
Nach ihm nur geh’ ich
Aus dem Haus.
Sein hoher Gang,
3395Sein’ edle Gestalt,
Seines Mundes Lächeln,
Seiner Augen Gewalt,
Und seiner Rede
Zauberfluß,
3400Sein Händedruck,
Und ach sein Kuß!
Meine Ruh’ ist hin.
Mein Herz ist schwer,
Ich finde sie nimmer
3405Und nimmermehr.
Mein Busen drängt
Sich nach ihm hin.
Ach dürft’ ich fassen
Und halten ihn!
3410Und küssen ihn
So wie ich wollt’,
An seinen Küssen
3413Vergehen sollt’!

179

Marthens Garten.


Margarete. Faust.
Margarete.
3414Versprich mir, Heinrich!
Faust.
3414Was ich kann!
Margarete.
3415Nun sag’, wie hast du’s mit der Religion?
Du bist ein herzlich guter Mann,
Allein ich glaub’, du hält’st nicht viel davon.
Faust.
Laß das, mein Kind! Du fühlst, ich bin dir gut;
Für meine Lieben ließ ich Leib und Blut,
3420Will niemand sein Gefühl und seine Kirche rauben.
Margarete.
Das ist nicht recht, man muß d’ran glauben!
Faust.
Muß man?
Margarete.
Ach! wenn ich etwas auf dich könnte!
Du ehrst auch nicht die heil’gen Sakramente.
180
Faust.
Ich ehre sie.
Margarete.
Doch ohne Verlangen.
3425Zur Messe, zur Beichte bist du lange nicht gegangen.
Glaubst du an Gott?
Faust.
Mein Liebchen, wer darf sagen,
Ich glaub’ an Gott?
Magst Priester oder Weise fragen,
Und ihre Antwort scheint nur Spott
3430Ueber den Frager zu seyn.
Margarete.
3430So glaubst du nicht?
Faust.
Mißhör’ mich nicht, du holdes Angesicht!
Wer darf ihn nennen?
Und wer bekennen:
Ich glaub’ ihn.
3435Wer empfinden
Und sich unterwinden
Zu sagen: ich glaub’ ihn nicht?
Der Allumfasser,
Der Allerhalter,
3440Faßt und erhält er nicht
Dich, mich, sich selbst?
Wölbt sich der Himmel nicht dadroben?
Liegt die Erde nicht hierunten fest?
181
Und steigen freundlich blickend
3445Ewige Sterne nicht herauf?
Schau’ ich nicht Aug’ in Auge dir,
Und drängt nicht alles
Nach Haupt und Herzen dir,
Und webt in ewigem Geheimniß
3450Unsichtbar sichtbar neben dir?
Erfüll’ davon dein Herz, so groß es ist,
Und wenn du ganz in dem Gefühle selig bist,
Nenn’ es dann wie du willst,
Nenn’s Glück! Herz! Liebe! Gott!
3455Ich habe keinen Namen
Dafür! Gefühl ist alles;
Name ist Schall und Rauch,
Umnebelnd Himmelsgluth.
Margarete.
Das ist alles recht schön und gut;
3460Ungefähr sagt das der Pfarrer auch,
Nur mit ein bißchen andern Worten.
Faust.
Es sagen’s aller Orten
Alle Herzen unter dem himmlischen Tage,
Jedes in seiner Sprache;
3465Warum nicht ich in der meinen?
Margarete.
Wenn man’s so hört, möcht’s leidlich scheinen,
Steht aber doch immer schief darum;
Denn du hast kein Christenthum.
182
Faust.
Lieb’s Kind!
Margarete.
Es thut mir lang’ schon weh,
3470Daß ich dich in der Gesellschaft seh’.
Faust.
Wie so?
Margarete.
Der Mensch, den du da bei dir hast,
Ist mir in tiefer inn’rer Seele verhaßt;
Es hat mir in meinem Leben
So nichts einen Stich in’s Herz gegeben,
3475Als des Menschen widrig Gesicht.
Faust.
Liebe Puppe, fürcht’ ihn nicht!
Magarete.
Seine Gegenwart bewegt mir das Blut.
Ich bin sonst allen Menschen gut;
Aber, wie ich mich sehne dich zu schauen,
3480Hab’ ich vor dem Menschen ein heimlich Grauen,
Und halt’ ihn für einen Schelm dazu!
Gott verzeih’ mir’s, wenn ich ihm Unrecht thu’!
Faust.
Es muß auch solche Käuze geben.
Margarete.
Wollte nicht mit seines Gleichen leben!
3485Kommt er einmal zur Thür herein,
Sieht er immer so spöttisch drein,
183
Und halb ergrimmt;
Man sieht, daß er an nichts keinen Antheil nimmt;
Es steht ihm an der Stirn’ geschrieben,
3490Daß er nicht mag eine Seele lieben.
Mir wird’s so wohl in deinem Arm,
So frei, so hingegeben warm,
Und seine Gegenwart schnürt mir das Inn’re zu.
Faust.
Du ahnungsvoller Engel du!
Margarete.
3495Das übermannt mich so sehr,
Daß, wo er nur mag zu uns treten,
Mein’ ich sogar, ich liebte dich nicht mehr.
Auch wenn er da ist, könnt’ ich nimmer beten,
Und das frißt mir in’s Herz hinein;
3500Dir, Heinrich, muß es auch so seyn.
Faust.
Du hast nun die Antipathie!
Margarete.
Ich muß nun fort.
Faust.
Ach kann ich nie
Ein Stündchen ruhig dir am Busen hängen,
Und Brust an Brust und Seel’ in Seele drängen?
Margarete.
3505Ach wenn ich nur alleine schlief’!
Ich ließ dir gern heut Nacht den Riegel offen;
Doch meine Mutter schläft nicht tief:
184
Und würden wir von ihr betroffen,
Ich wär gleich auf der Stelle todt!
Faust.
3510Du Engel, das hat keine Noth.
Hier ist ein Fläschchen! Drey Tropfen nur
In ihren Trank umhüllen
Mit tiefem Schlaf gefällig die Natur.
Margarete.
Was thu’ ich nicht um deinetwillen?
3515Es wird ihr hoffentlich nicht schaden!
Faust.
Würd’ ich sonst, Liebchen, dir es rathen?
Margarete.
Seh’ ich dich, bester Mann, nur an,
Weiß nicht was mich nach deinem Willen treibt;
Ich habe schon so viel für dich gethan,
3520Daß mir zu thun fast nichts mehr übrig bleibt.
ab.
Mephistopheles tritt auf.
Mephistopheles.
Der Grasaff’! ist er weg?
Faust.
Hast wieder spionirt?
Mephistopheles.
Ich hab’s ausführlich wohl vernommen,
Herr Doctor wurden da katechisirt;
185
Hoff’ es soll Ihnen wohl bekommen.
3525Die Mädels sind doch sehr interessirt,
Ob einer fromm und schlicht nach altem Brauch.
Sie denken, duckt er da, folgt er uns eben auch.
Faust.
Du Ungeheuer siehst nicht ein,
Wie diese treue liebe Seele
3530Von ihrem Glauben voll,
Der ganz allein
Ihr selig machend ist, sich heilig quäle,
Daß sie den liebsten Mann verloren halten soll.
Mephistopheles.
Du übersinnlicher, sinnlicher Freyer,
3535Ein Mägdelein nasführet dich.
Faust.
Du Spottgeburt von Dreck und Feuer!
Mephistopheles.
Und die Physiognomie versteht sie meisterlich.
In meiner Gegenwart wird’s ihr sie weiß nicht wie,
Mein Mäskchen da weissagt verborgnen Sinn;
3540Sie fühlt, daß ich ganz sicher ein Genie,
Vielleicht wohl gar der Teufel bin.
Nun heute Nacht –?
Faust.
Was geht dich’s an?
Mephistopheles.
3543Hab’ ich doch meine Freude d’ran!

186

Am Brunnen.


Gretchen und Lieschen mit Krügen.
Lieschen.
3544Hast nichts von Bärbelchen gehört?
Gretchen.
3545Kein Wort. Ich komm’ gar wenig unter Leute.
Lieschen.
Gewiß, Sibylle sagt’ mir’s heute!
Die hat sich endlich auch bethört.
Das ist das Vornehmthun!
Gretchen.
Wie so?
Lieschen.
Es stinkt!
Sie füttert zwey, wenn sie nun ißt und trinkt.
Gretchen.
3550Ach!
Lieschen.
So ist’s ihr endlich recht ergangen.
Wie lange hat sie an dem Kerl gehangen!
187
Das war ein Spazieren,
Auf Dorf und Tanzplatz Führen,
3555Mußt’ überall die erste seyn,
Curtesirt’ ihr immer mit Pastetchen nnd Wein;
Bild’t sich was auf ihre Schönheit ein,
War doch so ehrlos sich nicht zu schämen
Geschenke von ihm anzunehmen.
3560War ein Gekos’ und ein Geschleck’;
Da ist denn auch das Blümchen weg!
Gretchen.
Das arme Ding!
Lieschen.
Bedauerst sie noch gar!
Wenn unser eins am Spinnen war,
Uns Nachts die Mutter nicht hinunterließ;
3565Stand sie bei ihrem Buhlen süß,
Auf der Thürbank und im dunkeln Gang
Ward ihnen keine Stunde zu lang.
Da mag sie denn sich ducken nun,
Im Sünderhemdchen Kirchbuß’ thun!
Gretchen.
3570Er nimmt sie gewiß zu seiner Frau.
Lieschen.
Er wär’ ein Narr! Ein flinker Jung’
Hat anderwärts noch Luft genung,
Er ist auch fort.
Gretchen.
Das ist nicht schön!
188
Lieschen.
Kriegt sie ihn, soll’s ihr übel gehn.
3575Das Kränzel reißen die Buben ihr,
Und Häckerling streuen wir vor die Thür!
ab.
Gretchen
nach Hause gehend.
Wie konnt’ ich sonst so tapfer schmählen,
Wenn thät ein armes Mägdlein fehlen!
Wie konnt’ ich über andrer Sünden
3580Nicht Worte g’nug der Zunge finden!
Wie schien mir’s schwarz, und schwärzt’s noch gar,
Mir’s immer doch nicht schwarz g’nug war,
Und segnet’ mich und that so groß,
Und bin nun selbst der Sünde bloß!
3585Doch – alles was dazu mich trieb,
3586Gott! war so gut! ach war so lieb!

189

Zwinger.


In der Mauerhöhle ein Andachtsbild der Mater dolorosa, Blumenkrüge davor.
Gretchen
steckt frische Blumen in die Krüge.
3587Ach neige,
Du Schmerzenreiche,
Dein Antlitz gnädig meiner Noth!
3590Das Schwert im Herzen,
Mit tausend Schmerzen
Blickst auf zu deines Sohnes Tod.
Zum Vater blickst du,
Und Seufzer schickst du
3595Hinauf um sein’ und deine Noth.
Wer fühlet,
Wie wühlet
Der Schmerz mir im Gebein?
Was mein armes Herz hier banget,
3600Was es zittert, was verlanget,
Weißt nur du, nur du allein!
190
Wohin ich immer gehe,
Wie weh, wie weh, wie wehe
Wird mir im Busen hier!
3605Ich bin ach kaum alleine,
Ich wein’, ich wein’, ich weine,
Das Herz zerbricht in mir.
Die Scherben vor meinem Fenster
Bethaut’ ich mit Thränen, ach!
3610Als ich am frühen Morgen
Dir diese Blumen brach.
Schien hell in meine Kammer
Die Sonne früh herauf,
Saß ich in allem Jammer
3615In meinem Bett schon auf.
Hilf! rette mich von Schmach und Tod!
Ach neige,
Du Schmerzenreiche,
3619Dein Antlitz gnädig meiner Noth!

191

Nacht.


Straße vor Gretchens Thüre.
Valentin
Soldat, Gretchens Bruder.
3620Wenn ich so saß bei einem Gelag,
Wo mancher sich berühmen mag,
Und die Gesellen mir den Flor
Der Mägdlein laut gepriesen vor,
Mit vollem Glas das Lob verschwemmt,
3625Den Ellenbogen aufgestemmt
Saß ich in meiner sichern Ruh,
Hört’ all’ dem Schwadroniren zu,
Und streiche lächelnd meinen Bart,
Und kriege das volle Glas zur Hand
3630Und sage: Alles nach seiner Art!
Aber ist eine im ganzen Land,
Die meiner trauten Gretel gleicht,
Die meiner Schwester das Wasser reicht?
Top! Top! Kling! Klang! das ging herum!
3635Die einen schrieen: er hat Recht,
Sie ist die Zier vom ganzen Geschlecht!
Da saßen alle die Lober stumm.
192
Und nun! – um’s Haar sich auszuraufen
Und an den Wänden hinauf zu laufen! –
3640Mit Stichelreden, Naserümpfen
Soll jeder Schurke mich beschimpfen!
Soll wie ein böser Schuldner sitzen,
Bei jedem Zufallswörtchen schwitzen!
Und möcht’ ich sie zusammenschmeißen;
3645Könnt’ ich sie doch nicht Lügner heißen.
Was kommt heran? Was schleicht herbei?
Irr’ ich nicht, es sind ihrer zwey.
Ist er’s, gleich pack’ ich ihn beim Felle,
Soll nicht lebendig von der Stelle!
Faust. Mephistopheles.
Faust.
3650Wie von dem Fenster dort der Sakristey
Aufwärts der Schein des ew’gen Lämpcheus stämmert
Und schwach und schwächer seitwärts dämmert,
Und Finsterniß drängt ringsum bei!
So sieht’s in meinem Busen nächtig.
Mephistopheles.
3655Und mir ist’s wie dem Kätzlein schmächtig,
Das an den Feuerleitern schleicht,
Sich leis’ dann um die Mauern streicht;
Mir ist’s ganz tugendlich dabei,
Ein bißchen Diebsgelüst, ein bißchen Rammeley.
3660So spukt mir schon durch alle Glieder
Die herrliche Walpurgisnacht.
193
Die kommt uns übermorgen wieder,
Da weiß man doch warum man wacht.
Faust.
Rückt wohl der Schatz indessen in die Höh’,
3665Den ich dorthinten flimmern seh’?
Mephistopheles.
Du kannst die Freude bald erleben,
Das Kesselchen herauszuheben.
Ich schielte neulich so hinein,
Sind herrliche Löwenthaler drein.
Faust.
3670Nicht ein Geschmeide? Nicht ein Ring?
Meine liebe Buhle damit zu zieren.
Mephistopheles.
Ich sah dabei wohl so ein Ding,
Als wie eine Art von Perlenschnüren.
Faust.
So ist es recht! Mir thut es weh,
3675Wenn ich ohne Geschenke zu ihr geh’.
Mephistopheles.
Es sollt’ euch eben nicht verdrießen
Umsonst auch etwas zu genießen.
Jetzt da der Himmel voller Sterne glüht,
Sollt ihr ein wahres Kunststück hören:
3680Ich sing’ ihr ein moralisch Lied,
Um sie gewisser zu bethören.
194
Singt zur Zither.
Was machst du mir
Vor Liebchens Thür
Kathrinchen hier
3685Bei frühem Tagesblicke?
Laß, laß es seyn!
Er läßt dich ein
Als Mädchen ein,
Als Mädchen nicht zurücke.
3690Nehmt euch in Acht!
Ist es vollbracht,
Dann gute Nacht
Ihr armen, armen Dinger!
Habt ihr euch lieb,
3695Thut keinem Dieb
Nur nichts zu Lieb’,
Als mit dem Ring am Finger.
Valentin
tritt vor.
Wen lockst du hier’? bei’m Element!
Vermaledeyter Rattenfänger!
3700Zum Teufel erst das Instrument!
Zum Teufel hinter drein den Sänger!
Mephistopheles.
Die Zither ist entzwey! an der ist nichts zu halten.
Valentin.
Nun soll es an ein Schedelspalten!
195
Mephistopheles
zu Faust.
Herr Doctor nicht gewichen! Frisch!
3705Hart an mich an, wie ich euch führe.
Heraus mit eurem Flederwisch!
Nur zugestoßen! Ich parire.
Valentin.
Parire den!
Mephistopheles.
Warum denn nicht?
Valentin.
Auch den!
Mephistopheles.
Gewiß!
Valentin.
Ich glaub’ der Teufel ficht!
3710Was ist denn das? Schon wird die Hand mir lahm.
Mephistopheles
zu Faust.
Stoß zu!
Valentin
fällt.
O weh!
Mephistopheles.
Nun ist der Lümmel zahm!
Nun aber fort! Wir müssen gleich verschwinden:
Denn schon entsteht ein mörderlich Geschrei.
Ich weiß mich trefflich mit der Polizey,
3715Doch mit dem Blutbann schlecht mich abzufinden.
Marthe
am Fenster.
Heraus! Heraus!
196
Gretchen
am Fenster.
Herbei ein Licht!
Marthe
wie oben.
Man schilt und rauft, man schreit und ficht.
Volk.
Da liegt schon einer todt!
Marthe
heraustretend.
Die Mörder sind sie denn entflohn?
Gretchen
heraustretend.
3720Wer liegt hier?
Volk.
3720Deiner Mutter Sohn.
Gretchen.
Allmächtiger! welche Noth!
Valentin.
Ich sterbe! das ist bald gesagt
Und bälder noch gethan.
Was steht ihr Weiber heult und klagt?
3725Kommt her und hört mich an!
Alle treten um ihn.
Mein Gretchen sieh! du bist noch jung,
Bist gar noch nicht gescheidt genung,
Machst deine Sachen schlecht.
Ich sag’ dir’s im Vertrauen nur:
3730Du bist doch nun einmal eine Hur’;
So sey’s auch eben recht.
Gretchen.
Mein Bruder! Gott! Was soll mir das?
197
Valentin.
Lass’ unsern Herr Gott aus dem Spaß.
Geschehn ist leider nun geschehn,
3735Und wie es gehn kann, so wird’s gehn.
Du fingst mit Einem heimlich an,
Bald kommen ihrer mehre dran,
Und wenn dich erst ein Dutzend hat,
So hat dich auch die ganze Stadt.
3740Wenn erst die Schande wird geboren,
Wird sie heimlich zur Welt gebracht,
Und man zieht den Schleier der Nacht
Ihr über Kopf und Ohren;
Ja, man möchte sie gern ermorden.
3745Wächst sie aber und macht sich groß,
Dann geht sie auch bei Tage bloß,
Und ist doch nicht schöner geworden.
Je häßlicher wird ihr Gesicht,
Je mehr sucht sie des Tages Licht.
3750Ich seh’ wahrhaftig schon die Zeit,
Daß alle brave Bürgersleut’,
Wie von einer angesteckten Leichen,
Von dir, du Metze! seitab weichen.
Dir soll das Herz im Leib verzagen,
3755Wenn sie dir in die Augen sehn!
Sollst keine goldne Kette mehr tragen!
In der Kirche nicht mehr am Altar stehn!
In einem schönen Spitzenkragen
198
Dich nicht bei’m Tanze wohlbehagen!
3760In eine finstre Jammerecken
Unter Bettler und Krüppel dich verstecken,
Und wenn dir denn auch Gott verzeiht,
Auf Erden seyn vermaledeyt!
Marthe.
Befehlt eure Seele Gott zu Gnaden!
3765Wollt ihr noch Lästrung auf euch laden?
Valentin.
Könnt’ ich dir nur an den dürren Leib,
Du schändlich kupplerisches Weib!
Da hofft’ ich aller meiner Sünden
Vergebung reiche Maß zu finden.
Gretchen.
3770Mein Bruder! Welche Höllenpein!
Valentin.
Ich sage, laß die Thränen seyn!
Da du dich sprachst der Ehre los,
Gabst mir den schwersten Herzensstoß.
Ich gehe durch den Todesschlaf
3775Zu Gott ein als Soldat und brav.
(stirbt.)

199

Dom.

Amt, Orgel und Gesang.


Gretchen unter vielem Volke. Böser Geist hinter Gretchen.
Böser Geist.
3776Wie anders, Gretchen, war dir’s,
Als du noch voll Unschuld
Hier zum Altar trat’st,
Aus dem vergriffnen Büchelchen
3780Gebete lalltest,
Halb Kinderspiele,
Halb Gott im Herzen!
Gretchen!
Wo steht dein Kopf?
3785In deinem Herzen,
Welche Missethat?
Bet’st du für deiner Mutter Seele, die
Durch dich zur langen, langen Pein hinüberschlief?
Auf deiner Schwelle wessen Blut?
3790– Und unter deinem Herzen
Regt sich’s nicht quillend schon,
Und ängstet dich und sich
Mit ahnungsvoller Gegenwart?
200
Gretchen.
Weh! Weh!
3795Wär’ ich der Gedanken los,
Die mir herüber und hinüber gehen
Wider mich!
Chor.
Dies irae, dies illa
Solvet saeclum in favilla.
Orgelton.
Böser Geist.
3800Grimm faßt dich!
Die Posaune tönt!
Die Gräber beben!
Und dein Herz,
Aus Aschenruh’
3805Zu Flammenqualen
Wieder aufgeschaffen,
Bebt auf!
Gretchen.
Wär’ ich hier weg!
Mir ist als ob die Orgel mir
3810Den Athem versetzte,
Gesang mein Herz
Im Tiefsten lös’te.
Chor.
Judex ergo cum sedebit,
Quidquid latet adparebit,
3815Nil inultum remanebit.
201
Gretchen.
Mir wird so eng’!
Die Mauern-Pfeiler
Befangen mich!
Das Gewölbe
3820Drängt mich! – Luft!
Böser Geist.
Verbirg’ dich! Sünd’ und Schande
Bleibt nicht verborgen.
Luft? Licht?
Weh dir!
Chor.
3825Quid sum miser tunc dicturus?
Quem patronum rogaturus?
Cum vix justus sit securus.
Böser Geist.
Ihr Antlitz wenden
Verklärte von dir ab.
3830Die Hände dir zu reichen,
Schauert’s den Reinen.
Weh!
Chor.
Quid sum miser tunc dicturus?
Gretchen.
3834Nachbarin! Euer Fläschchen! –
Sie fällt in Ohnmacht.

202

Walpurgisnacht.


Harzgebirg.
Gegend von Schirke und Elend.
Faust. Mephistopheles.
Mephistopheles.
3835Verlangst du nicht nach einem Besenstiele?
Ich wünschte mir den allerderbsten Bock.
Auf diesem Weg sind wir noch weit vom Ziele.
Faust.
So lang’ ich mich noch frisch auf meinen Beinen fühle,
Genügt mir dieser Knotenstock.
3840Was hilft’s daß man den Weg verkürzt! –
Im Labyrinth der Thäler hinzuschleichen,
Dann diesen Felsen zu ersteigen,
Von dem der Quell sich ewig sprudelnd stürzt,
Das ist die Lust, die solche Pfade würzt!
3845Der Frühling webt schon in den Birken
Und selbst die Fichte fühlt ihn schon;
Sollt’ er nicht auch auf unsre Glieder wirken
203
Mephistopheles.
Fürwahr ich spüre nichts davon!
Mir ist es winterlich im Leibe;
3850Ich wünschte Schnee und Frost auf meiner Bahn.
Wie traurig steigt die unvollkommne Scheibe
Des rothen Monds mit später Gluth heran,
Und leuchtet schlecht, daß man bei jedem Schritte,
Vor einen Baum, vor einen Felsen rennt!
3855Erlaub’ daß ich ein Irrlicht bitte!
Dort seh’ ich eins, das eben lustig brennt.
He da! mein Freund! Darf ich dich zu uns fodern?
Was willst du so vergebens lodern?
Sey doch so gut und leucht’ uns da hinauf!
Irrlicht.
3860Aus Ehrfurcht, hoff’ ich, soll es mir gelingen,
Mein leichtes Naturell zu zwingen;
Nur Zickzack geht gewöhnlich unser Lauf.
Mephistopheles.
Ei! Ei! er denkt’s den Menschen nachzuahmen.
Geh er nur g’rad’, ins Teufels Namen!
3865Sonst blas’ ich ihm sein Flacker-Leben aus.
Irrlicht.
Ich merke wohl, ihr seyd der Herr vom Haus,
Und will mich gern nach euch bequemen.
Allein bedenkt! der Berg ist heute zaubertoll,
Und wenn ein Irrlicht euch die Wege weisen soll,
3870So müßt ihr’s so genau nicht nehmen.
204
Faust, Mephistopheles, Irrlicht
im Wechselgesang.
In die Traum- und Zaubersphäre
Sind wir, scheint es, eingegangen.
Führ’ uns gut und mach’ dir Ehre!
Daß wir vorwärts bald gelangen,
3875In den weiten öden Räumen.
Seh’ die Bäume hinter Bäumen,
Wie sie schnell vorüber rücken,
Und die Klippen, die sich bücken,
Und die langen Felsennasen,
3880Wie sie schnarchen, wie sie blasen!
Durch die Steine, durch den Rasen
Eilet Bach und Bächlein nieder.
Hör’ ich Rauschen? hör’ ich Lieder?
Hör’ ich holde Liebesklage,
3885Stimmen jener Himmelstage?
Was wir hoffen, was wir lieben!
Und das Echo, wie die Sage
Alter Zeiten, hallet wieder.
Uhu! Schuhu! tönt es näher,
3890Kauz und Kibitz und der Häher,
Sind sie alle wach geblieben?
Sind das Molche durch’s Gesträuche?
Lange Beine, dicke Bäuche!
Und die Wurzeln, wie die Schlangen,
3895Winden sich aus Fels und Sande,
205
Strecken wunderliche Bande,
Uns zu schrecken, uns zu fangen;
Aus belebten derben Masern
Strecken sie Polypenfasern
3900Nach dem Wandrer. Und die Mäuse
Tausendfärbig, schaarenweise,
Durch das Moos und durch die Heide!
Und die Funkenwürmer fliegen,
Mit gedrängten Schwärme-Zügen,
3905Zum verwirrenden Geleite.
Aber sag’ mir ob wir ftehen,
Oder ob wir weiter gehen?
Alles, alles scheint zu drehen,
Fels und Bäume, die Gesichter
3910Schneiden, und die irren Lichter,
Die sich mehren, die sich blähen.
Mephistopheles.
Fasse wacker meinen Zipfel!
Hier ist so ein Mittelgipfel,
Wo man mit Erstaunen sieht,
3915Wie im Berg der Mammon glüht.
Faust.
Wie seltsam glimmert durch die Gründe
Ein morgenröthlich trüber Schein!
Und selbst bis in die tiefen Schlünde
Des Abgrunds wittert er hinein.
3920Da steigt ein Dampf, dort ziehen Schwaden,
206
Hier leuchtet Gluth aus Dunst und Flor,
Dann schleicht sie wie ein zarter Faden,
Dann bricht sie wie ein Quell hervor.
Hier schlingt sie eine ganze Strecke,
3925Mit hundert Adern, sich durch’s Thal,
Und hier in der gedrängten Ecke
Vereinzelt sie sich auf einmal.
Da sprühen Funken in der Nähe,
Wie ausgestreuter goldner Sand.
3930Doch schau! in ihrer ganzen Höhe
Entzündet sich die Felsenwand.
Mephistopheles.
Erleuchtet nicht zu diesem Feste
Herr Mammon prächtig den Pallast?
Ein Glück daß du’s gesehen hast;
3935Ich spüre schon die ungestümen Gäste.
Faust.
Wie ras’t die Windsbraut durch die Luft!
Mit welchen Schlägen trifft sie meinen Nacken!
Mephistopheles.
Du mußt des Felsens alte Rippen packen;
Sonst stürzt sie dich hinab in dieser Schlünde Gruft.
3940Ein Nebel verdichtet die Nacht.
Höre wie’s durch die Wälder kracht!
Aufgescheucht fliegen die Eulen.
Hör’ es splittern die Säulen
Ewig grüner Palläste.
3945Girren und Brechen der Aeste
207
Der Stämme mächtiges Dröhnen!
Der Wurzeln Knarren und Gähnen!
Im fürchterlich verworrenen Falle
Ueber einander krachen sie alle,
3950Und durch die übertrümmerten Klüfte
Zischen und heulen die Lüfte.
Hörst du Stimmen in der Höhe?
In der Ferne, in der Nähe?
Ja, den ganzen Berg entlang
3955Strömt ein wüthender Zaubergesang!
Hexen
im Chor.
Die Hexen zu dem Brocken ziehn,
Die Stoppel ist gelb, die Saat ist grün.
Dort sammelt sich der große Hauf,
Herr Urian sitzt oben auf.
3960So geht es über Stein und Stock
Es f–t die Hexe, es st–t der Bock.
Stimme.
Die alte Baubo kommt allein;
Sie reitet auf einem Mutterschwein.
Chor.
So Ehre dem, wem Ehre gebührt!
3965Frau Baubo vor! und angeführt!
Ein tüchtig Schwein und Mutter drauf,
Da folgt der ganze Hexenhauf.
Stimme.
Welchen Weg kommst du her?
208
Stimme.
Ueber’n Ilsenstein!
Da guckt’ ich der Eule in’s Nest hinein.
3970Die macht ein Paar Augen!
Stimme.
3970O fahre zur Hölle!
Was reit’st du so schnelle!
Stimme.
Mich hat sie geschunden,
Da sieh nur die Wunden!
Hexen.
Chor.
Der Weg ist breit, der Weg ist lang,
3975Was ist das für ein toller Drang?
Die Gabel sticht, der Besen kratzt,
Das Kind erstickt, die Mutter platzt.
Hexenmeister.
Halbes Chor.
Wir schleichen wie die Schneck’ im Haus,
Die Weiber alle sind voraus.
3980Denn, geht es zu des Bösen Haus,
Das Weib hat tausend Schritt voraus.
Andre Hälfte.
Wir nehmen das nicht so genau,
Mit tausend Schritten macht’s die Frau;
Doch, wie sie auch sich eilen kann,
3985Mit einem Sprunge macht’s der Mann.
Stimme
oben.
Kommt mit, kommt mit, vom Felsensee!
209
Stimmen
von unten.
Wir möchten gerne mit in die Höh’.
Wir waschen und blank sind wir ganz und gar;
Aber auch ewig unfruchtbar.
Beide Chöre.
3990Es schweigt der Wind, es flieht der Stern,
Der trübe Mond verbirgt sich gern.
Im Sausen sprüht das Zauber-Chor
Viel tausend Feuerfunken hervor.
Stimme
von unten.
Halte! Halte!
Stimme
von oben.
Wer ruft da aus der Felsenspalte?
Stimme
unten.
Nehmt mich mit! Nehmt mich mit!
Ich steige schon dreyhundert Jahr,
Und kann den Gipfel nicht erreichen.
Ich wäre gern bei Meinesgleichen.
Beide Chöre.
4000Es trägt der Besen, trägt der Stock,
Die Gabel trägt, es trägt der Bock;
Wer heute sich nicht heben kann,
Ist ewig ein verlorner Mann.
Halbhexe
unten.
Ich tripple nach, so lange Zeit;
4005Wie sind die Andern schon so weit!
Ich hab’ zu Hause keine Ruh,
Und komme hier doch nicht dazu.
210
Chor der Hexen.
Die Salbe gibt den Hexen Muth,
Ein Lumpen ist zum Segel gut,
4010Ein gutes Schiff ist jeder Trog;
Der flieget nie, der heut nicht flog.
Beide Chöre.
Und wenn wir um den Gipfel ziehn,
So streichet an dem Boden hin.
Und deckt die Heide weit und breit
4015Mit eurem Schwarm der Hexenheit.
Sie lassen sich nieder.
Mephistopheles.
Das drängt und stößt, das ruscht und klappert!
Das zischt und quirlt, das zieht und plappert!
Das leuchtet, sprüht und stinkt und brennt!
Ein wahres Hexenelement!
4020Nur fest an mir! sonst sind wir gleich getrennt.
Wo bist du?
Faust
in der Ferne.
Hier!
Mephistopheles.
Was! dort schon hingerissen?
Da werd’ ich Hausrecht brauchen müssen.
Platz! Junker Voland kommt. Platz! süßer Pöbel, Platz!
Hier, Doctor, fasse mich! und nun, in Einem Satz,
4025Laß uns aus dem Gedräng’ entweichen;
Es ist zu toll, sogar für Meinesgleichen.
211
Dort neben leuchtet was mit ganz besond’rem Schein,
Es zieht mich was nach jenen Sträuchen.
Komm, komm! wir schlupfen da hinein.
Faust.
4030Du Geist des Widerspruchs! Nur zu! du magst mich führen.
Ich denke doch, das war recht klug gemacht;
Zum Brocken wandeln wir in der Walpurgisnacht,
Um uns beliebig nun hieselbst zu isoliren.
Mephistopheles.
Da sieh nur welche bunten Flammen!
4035Es ist ein muntrer Klub beisammen.
Im Kleinen ist man nicht allein.
Faust.
Doch droben möcht’ ich lieber seyn!
Schon seh’ ich Gluth und Wirbelrauch.
Dort strömt die Menge zu dem Bösen;
4040Da muß sich manches Räthsel lösen.
Mephistopheles.
Doch manches Räthsel knüpft sich auch.
Laß du die große Welt nur sausen,
Wir wollen hier im Stillen hausen.
Es ist doch lange hergebracht,
4045Daß in der großen Welt man kleine Welten macht.
Da seh’ ich junge Hexchen nackt und bloß,
Und alte die sich klug verhüllen.
Seyd freundlich, nur um meinetwillen;
Die Müh’ ist klein, der Spaß ist groß.
212
4050Ich höre was von Instrumenten tönen!
Verflucht Geschnarr! Man muß sich dran gewöhnen.
Komm mit! Komm mit! Es kann nicht anders seyn,
Ich tret’ heran und führe dich herein,
Und ich verbinde dich auf’s neue.
4055Was sagst du, Freund? das ist kein kleiner Raum.
Da sieh nur hin! du siehst das Ende kaum.
Ein Hundert Feuer brennen in der Reihe;
Man tanzt, man schwatzt, man kocht, man trinkt, man liebt;
Nun sage mir, wo es was bessers giebt?
Faust.
4060Willst du dich nun, um uns hier einzuführen
Als Zaub’rer oder Teufel produziren?
Mephistopheles.
Zwar bin ich sehr gewohnt incognito zu gehn;
Doch läßt am Galatag man seinen Orden sehn.
Ein Knieband zeichnet mich nicht aus,
4065Doch ist der Pferdefuß hier ehrenvoll zu Haus.
Siehst du die Schnecke da? Sie kommt herangekrochen;
Mit ihrem tastenden Gesicht
Hat sie mir schon was abgerochen.
Wenn ich auch will, verläugn’ ich hier mich nicht.
4070Komm nur! von Feuer gehen wir zu Feuer,
Ich bin der Werber und du bist der Freyer.
Zu einigen, die um verglimmende Kohlen sitzen.
Ihr alten Herrn, was macht ihr hier am Ende?
Ich lobt’ euch, wenn ich euch hübsch in der Mitte fände,
Von Saus umzirkt und Jugendbraus;
4075Genug allein ist jeder ja zu Haus,
213
General.
Wer mag auf Nationen trauen!
Man habe noch so viel für sie gethan;
Denn bei dem Volk, wie bei den Frauen,
Steht immerfort die Jugend oben an.
Minister.
4080Jetzt ist man von dem Rechten allzuweit,
Ich lobe mir die guten Alten;
Denn freilich, da wir alles galten,
Da war die rechte goldne Zeit.
Parvenü.
Wir waren wahrlich auch nicht dumm,
4085Und thaten oft was wir nicht sollten;
Doch jetzo kehrt sich alles um und um,
Und eben da wir’s fest erhalten wollten.
Autor.
Wer mag wohl überhaupt jetzt eine Schrift
Von mäßig klugem Inhalt lesen!
4090Und was das liebe junge Volk betrifft,
Das ist noch nie so naseweis gewesen.
Mephistopheles,
der auf einmal sehr alt erscheint.
Zum jüngsten Tag fühl’ ich das Volk gereift,
Da ich zum letztenmal den Hexenberg ersteige,
Und, weil mein Fäßchen trübe läuft,
4095So ist die Welt auch auf der Neige.
214
Trödelhexe.
Ihr Herren geht nicht so vorbei!
Laßt die Gelegenheit nicht fahren!
Aufmerksam blickt nach meinen Waaren;
Es steht dahier gar mancherlei.
4100Und doch ist nichts in meinem Laden,
Dem keiner auf der Erde gleicht,
Das nicht einmal zum tücht’gen Schaden
Der Menschen und der Welt gereicht.
Kein Dolch ist hier, von dem nicht Blut geflossen,
4105Kein Kelch, aus dem sich nicht, in ganz gesunden Leib,
Verzehrend heißes Gift ergossen,
Kein Schmuck, der nicht ein liebenswürdig Weib
Verführt, kein Schwert das nicht den Bund gebrochen,
Nicht etwa hinterrücks den Gegenmann durchstochen.
Mephistopheles.
4110Frau Muhme! Sie versteht mir schlecht die Zeiten,
Gethan geschehn! Geschehn gethan!
Verleg’ sie sich auf Neuigkeiten!
Nur Neuigkeiten ziehn uns an.
Faust.
Daß ich mich nur nicht selbst vergesse!
4115Heiß’ ich mir das doch eine Messe!
Mephistopheles.
Der ganze Strudel strebt nach oben;
Du glaubst zu schieben und du wirst geschoben.
Faust.
Wer ist denn das?
215
Mephistopheles.
Betrachte sie genau!
Lilith ist das.
Faust.
Wer?
Mephistopheles.
Adams erste Frau.
4120Nimm dich in Acht vor ihren schönen Haaren
Vor diesem Schmuck, mit dem sie einzig prangt.
Wenn sie damit den jungen Mann erlangt,
So läßt sie ihn sobald nicht wieder fahren.
Faust.
Da sitzen zwey, die alte mit der jungen;
4125Die haben schon was rechts gesprungen!
Mephistopheles.
Das hat nun heute keine Ruh.
Es geht zum neuen Tanz; nun komm! wir greifen zu.
Faust
mit der jungen tanzend.
Einst hatt’ ich einen schönen Traum;
Da sah ich einen Apfelbaum,
4130Zwey schöne Aepfel glänzten dran,
Sie reizten mich, ich stieg hinan.
Die Schöne.
Der Aepfelchen begehrt ihr sehr
Und schon vom Paradiese her.
Von Freuden fühl’ ich mich bewegt,
4135Daß auch mein Garten solche trägt.
216
Mephistopheles
mit der Alten.
Einst hatt’ ich einen wüsten Traum;
Da sah’ ich einen gespaltnen Baum,
Der hatt’ ein ;
So es war, gefiel mir’s doch.
Die Alte.
4140Ich biete meinen besten Gruß
Dem Ritter mit dem Pferdefuß
Halt’ er einen bereit,
Wenn er nicht scheut.
Proktophantasmist.
Verfluchtes Volk! was untersteht ihr euch?
4145Hat man euch lange nicht bewiesen,
Ein Geist steht nie auf ordentlichen Füßen?
Nun tanzt ihr gar, uns andern Menschen gleich!
Die Schöne
tanzend.
Was will denn der auf unserm Ball?
Faust
tanzend.
Ey! der ist eben überall.
4150Was Andre tanzen muß er schätzen.
Kann er nicht jeden Schritt beschwätzen,
So ist der Schritt so gut als nicht geschehn.
Am meisten ärgert ihn, sobald wir vorwärts gehn.
Wenn ihr euch so im Kreise drehen wolltet,
4155Wie er’s in seiner alten Mühle thut,
Das hieß er allenfalls noch gut;
Besonders wenn ihr ihn darum begrüßen solltet.
217
Proktophantasmist.
Ihr seyd noch immer da! Nein das ist unerhört.
Verschwindet doch! Wir haben ja aufgeklärt!
4160Das Teufelspack es fragt nach keiner Regel.
Wir sind so klug und dennoch spukt’s in Tegel.
Wie lange hab’ ich nicht am Wahn hinausgekehrt
Und nie wird’s rein, das ist doch unerhört!
Die Schöne.
So hört doch auf uns hier zu ennuyiren!
Proktophantasmist.
4165Ich sag’s euch Geistern in’s Gesicht,
Den Geistesdespotismus leid’ ich nicht;
Mein Geist kann ihn nicht exerciren.
Es wird fortgetanzt.
Heut, seh’ ich, will mir nichts gelingen;
Doch eine Reise nehm’ ich immer mit
4170Und hoffe noch, vor meinem letzten Schritt,
Die Teufel und die Dichter zu bezwingen.
Mephistopheles.
Er wird sich gleich in eine Pfütze setzen,
Das ist die Art wie er sich soulagirt,
Und wenn Blutegel sich an seinem Steiß ergetzen,
4175Ist er von Geistern und von Geist curirt.
Zu Faust, der aus dem Tanz getreten ist
Was lässest du das schöne Mädchen fahren?
Das dir zum Tanz so lieblich sang.
218
Faust.
Ach! mitten im Gesange sprang
Ein rothes Mäuschen ihr aus dem Munde.
Mephistopheles.
4180Das ist was rechts! Das nimmt man nicht genau;
Genug die Maus war doch nicht grau.
Wer fragt darnach in einer Schäferstunde?
Faust.
Dann sah’ ich –
Mephistopheles.
Was?
Faust.
Mephisto, siehst du dort
Ein blasses, schönes Kind allein und ferne stehen?
4185Sie schiebt sich langsam nur vom Ort,
Sie scheint mit geschloss’nen Füßen zu gehen.
Ich muß bekennen, daß mir däucht,
Daß sie dem guten Gretchen gleicht.
Mephistopheles.
Laß das nur stehn! Dabei wird’s niemand wohl.
4190Es ist ein Zauberbild, ist leblos, ein Idol.
Ihm zu begegnen ist nicht gut;
Vom starren Blick erstarrt des Menschen Blut,
Und er wird fast in Stein verkehrt,
Von der Meduse hast du ja gehört.
Faust.
4195Fürwahr es sind die Augen einer Todten,
Die eine liebende Hand nicht schloß.
219
Das ist die Brust, die Gretchen mir geboten,
Das ist der süße Leib, den ich genoß.
Mephistopheles.
Das ist die Zauberey, du leicht verführter Thor!
4200Denn jedem kommt sie wie sein Liebchen vor.
Faust.
Welch eine Wonne! welch ein Leiden!
Ich kann von diesem Blick nicht scheiden.
Wie sonderbar muß diesen schönen Hals
Ein einzig rothes Schnürchen schmücken,
4205Nicht breiter als ein Messerrücken!
Mephistopheles.
Ganz recht! ich seh’ es ebenfalls.
Sie kann das Haupt auch unterm Arme tragen;
Denn Perseus hat’s ihr abgeschlagen. –
Nur immer diese Lust zum Wahn!
4210Komm doch das Hügelchen heran,
Hier ist’s so lustig wie im Prater;
Und hat man mir’s nicht angethan,
So seh’ ich wahrlich ein Theater.
Was gibt’s denn da?
Servibilis.
Gleich fängt man wieder an.
4215Ein neues Stück, das letzte Stück von sieben;
Soviel zu geben ist allhier der Brauch.
Ein Dilettant hat es geschrieben,
220
Und Dilettanten spielen’s auch.
Verzeiht ihr Herrn, wenn ich verschwinde;
4220Mich dilettirt’s den Vorhang aufzuziehn.
Mephistopheles.
Wenn ich euch auf dem Blocksberg finde,
4222Das find’ ich gut; denn da gehört ihr hin.

221

Walpurgisnachtstraum oder Oberons und Titanias goldne Hochzeit.


Intermezzo.

223
Theatermeister.
4223Heute ruhen wir einmal
Miedings wackre Söhne.
4225Alter Berg und feuchtes Thal,
Das ist die ganze Scene!
Herold.
Daß die Hochzeit golden sey
Soll’n funfzig Jahr seyn vorüber;
Aber ist der Streit vorbei,
4230Das golden ist mir lieber.
Oberon.
Seyd ihr Geister wo ich bin,
So zeigt’s in diesen Stunden;
König und die Königin,
Sie sind auf’s neu verbunden.
Puck.
4235Kommt der Puck und dreht sich quer
Und schleift den Fuß im Reihen;
Hundert kommen hinterher
Sich auch mit ihm zu freuen.
Ariel.
Ariel bewegt den Sang
4240In himmlisch reinen Tönen;
Viele Fratzen lockt sein Klang,
Doch lockt er auch die Schönen.
224
Oberon.
Gatten die sich vertragen wollen,
Lernen’s von uns beiden!
4245Wenn sich zweye lieben sollen,
Braucht man sie nur zu scheiden.
Titania.
Schmollt der Mann und grillt die Frau,
So faßt sie nur behende,
Führt mir nach dem Mittag Sie
4250Und Ihn an Nordens Ende.
Orchester Tutti.
Fortissimo.
Fliegenschnauz’ und Mückennas’
Mit ihren Anverwandten,
Frosch im Laub’ und Grill’ im Gras’
Das sind die Musikanten!
Solo.
4255Seht da kommt der Dudelsack!
Es ist die Seifenblase.
Hört den Schneckeschnickeschnack
Durch seine stumpfe Nase.
Geist der sich erst bildet.
Spinnenfuß und Krötenbauch
4260Und Flügelchen dem Wichtchen!
Zwar ein Thierchen gibt es nicht,
Doch gibt es ein Gedichtchen.
225
Ein Pärchen.
Kleiner Schritt und hoher Sprung
Durch Honigthau und Düfte;
4265Zwar du trippelst mir genung,
Doch geht’s nicht in die Lüfte.
Neugieriger Reisender.
Ist das nicht Maskeraden-Spott?
Soll ich den Augen trauen?
Oberon den schönen Gott
4270Auch heute hier zu schauen!
Orthodox.
Keine Klauen, keinen Schwanz!
Doch bleibt es außer Zweifel,
So wie die Götter Griechenlands,
So ist auch er ein Teufel.
Nordischer Künstler.
4275Was ich ergreife das ist heut
Fürwahr nur skizzenweise;
Doch ich bereite mich bei Zeit
Zur italiän’schen Reise.
Purist.
Ach! mein Unglück führt mich her:
4280Wie wird nicht hier geludert!
Und von dem ganzen Hexenheer
Sind zweye nur gepudert.
226
Junge Hexe.
Der Puder ist so wie der Rock
Für alt’ und graue Weibchen;
4285Drum sitz’ ich nackt auf meinem Bock
Und zeig’ ein derbes Leibchen.
Matrone.
Wir haben zu viel Lebensart
Um hier mit euch zu maulen;
Doch hoff’ ich, sollt ihr jung und zart,
4290So wie ihr seyd, verfaulen.
Capellmeister.
Fliegenschnauz’ und Mückennas’
Umschwärmt mir nicht die Nackte!
Frosch im Laub’ und Grill’ im Gras’
So bleibt doch auch im Tacte!
Windfahne
nach der einen Seite.
4295Gesellschaft wie man wünschen kann.
Wahrhaftig lauter Bräute!
Und Junggesellen, Mann für Mann,
Die hoffnungsvollsten Leute.
Windfahne
nach der andern Seite.
Und thut sich nicht der Boden auf
4300Sie alle zu verschlingen,
So will ich mit behendem Lauf
Gleich in die Hölle springen.
227
Xenien.
Als Insecten sind wir da,
Mit kleinen scharfen Scheren,
4305Satan, unsern Herrn Papa,
Nach Würden zu verehren.
Hennings.
Seht! wie sie in gedrängter Schaar
Naiv zusammen scherzen.
Am Ende sagen sie noch gar,
4310Sie hätten gute Herzen.
Musaget.
Ich mag in diesem Hexenheer
Mich gar zu gern verlieren;
Denn freilich diese wüßt’ ich eh’r,
Als Musen anzuführen.
Ci-devant Genius der Zeit.
4315Mit rechten Leuten wird man was.
Komm, fasse meinen Zipfel!
Der Blocksberg, wie der deutsche Parnaß,
Hat gar einen breiten Gipfel.
Neugieriger Reisender.
Sagt wie heißt der steife Mann?
4320Er geht mit stolzen Schritten.
Er schnopert was er schnopern kann.
„Er spürt nach Jesuiten.“
228
Kranich.
In dem Klaren mag ich gern
Und auch im Trüben fischen;
4325Darum seht ihr den frommen Herrn
Sich auch mit Teufeln mischen.
Weltkind.
Ja für die Frommen, glaubet mir,
Ist alles ein Vehikel;
Sie bilden auf dem Blocksberg hier
4330Gar manches Conventikel.
Tänzer.
Da kommt ja wohl ein neues Chor?
Ich höre ferne Trommeln.
Nur ungestört! es sind im Rohr
Die unisonen Dommeln.
Tanzmeister.
4335Wie jeder doch die Beine lupft!
Sich wie er kann herauszieht!
Der Krumme springt, der Plumpe hupft
Und fragt nicht wie es aussieht.
Fideler.
Das haßt sich schwer das Lumpenpack
4340Und gäb’ sich gern das Restchen;
Es eint sie hier der Dudelsack
Wie Orpheus Leyer die Bestjen.
229
Dogmatiker.
Ich lasse mich nicht irre schrein,
Nicht durch Kritik noch Zweifel.
4345Der Teufel muß doch etwas seyn;
Wie gäb’s denn sonst auch Teufel?
Idealist.
Die Phantasie in meinem Sinn
Ist dießmal gar zu herrisch.
Fürwahr, wenn ich das alles bin,
4350So bin ich heute närrisch.
Realist.
Das Wesen ist mir recht zur Qual
Und muß mich baß verdrießen;
Ich stehe hier zum erstenmal
Nicht fest auf meinen Füßen.
Supernaturalist.
4355Mit viel Vergnügen bin ich da
Und freue mich mit diesen;
Denn von den Teufeln kann ich ja
Auf gute Geister schließen.
Skeptiker.
Sie gehn den Flämmchen auf der Spur,
4360Und glaub’n sich nah dem Schatze.
Auf Teufel reimt der Zweifel nur;
Da bin ich recht am Platze.
230
Capellmeister.
Frosch im Laub’ und Grill’ im Gras’
Verfluchte Dilettanten!
4365Fliegenschnauz’ und Mückennas’
Ihr seyd doch Musikanten!
Die Gewandten.
Sanssouci so heißt das Heer
Von lustigen Geschöpfen,
Auf den Füßen geht’s nicht mehr,
4370Drum gehn wir auf den Köpfen.
Die Unbehülflichen.
Sonst haben wir manchen Bissen erschranzt,
Nun aber Gott befohlen!
Unsere Schuhe sind durchgetanzt,
Wir laufen auf nackten Sohlen.
Irrlichter.
4375Von dem Sumpfe kommen wir,
Woraus wir erst entstanden;
Doch sind wir gleich im Reihen hier
Die glänzenden Galanten.
Sternschnuppe.
Aus der Höhe schoß ich her
4380Im Stern- und Feuerscheine,
Liege nun im Grase quer,
Wer hilft mir auf die Beine?
231
Die Massiven.
Platz und Platz! und ringsherum!
So gehn die Gräschen nieder,
4385Geister kommen, Geister auch
Sie haben plumpe Glieder.
Puck.
Tretet nicht so mastig auf
Wie Elephantenkälber,
Und der plumpst’ an diesem Tag
4390Sey Puck der derbe selber.
Ariel.
Gab die liebende Natur
Gab der Geist euch Flügel,
Folget meiner leichten Spur,
Auf zum Rosenhügel!
Orchester.
Pianissimo.
4395Wolkenzug und Nebelflor
Erhellen sich von oben.
Luft im Laub und Wind im Rohr,
4398Und alles ist zerstoben.

232

Trüber Tag. Feld.


Faust. Mephistopheles.
Faust.
Im Elend! Verzweifelnd! Erbärmlich auf der Erde lange
verirrt und nun gefangen! Als Missethäterin im Kerker
zu entsetzlichen Qualen eingesperrt das holde unseli­ge Geschöpf!
Bis dahin! dahin! – Verrätherischer, nichts­würdiger
Geist, und das hast du mir verheimlicht! – Steh nur,
steh! Wälze die teuflischen Augen ingrimmend im Kopf herum!
Steh und trutze mir durch deine uner­trägliche Gegenwart!
Gefangen! Im unwiederbringlichen Elend! Bösen
Geistern übergeben und der richtenden ge­fühllosen Menschheit!
Und mich wiegst du indeß in abge­schmackten Zerstreuungen,
verbirgst mir ihren wachsenden Jammer und lässest
sie hülflos verderben!
Mephistopheles.
Sie ist die erste nicht.
Faust.
Hund! abscheuliches Unthier! – Wandle ihn, du un­endlicher
Geist! wandle den Wurm wieder in seine Hunds­ 233gestalt,
wie er sich oft nächtlicher Weise gefiel vor mir herzutrotten,
dem harmlosen Wandrer vor die Füße zu kollern und sich
dem niederstürzenden auf die Schultern zu hängen. Wandl’
ihn wieder in seine Lieblingsbildung, daß er vor mir im
Sand auf dem Bauch krieche, ich ihn mit Füßen trete, den
Verworfnen! – Die erste nicht! – Jammer! Jammer!
von keiner Menschenseele zu fassen, daß mehr als ein Geschöpf
in die Tiefe dieses Elendes ver­sank, daß nicht das erste
genugthat für die Schuld aller übrigen in seiner windenden
Todesnoth vor den Augen des ewig Verzeihenden! Mir
wühlt es Mark und Leben durch, das Elend dieser einzigen;
du grinsest gelassen über das Schicksal von Tausenden hin!
Mephistopheles.
Nun sind wir schon wieder an der Gränze unsres Wi­tzes,
da wo euch Menschen der Sinn überschnappt. War­um machst
du Gemeinschaft mit uns, wenn du sie nicht durchführen
kannst? Willst fliegen und bist vor’m Schwin­del nicht sicher?
Drangen wir uns dir auf, oder du dich uns?
Faust.
Fletsche deine gefräßigen Zähne mir nicht so entgegen! Mir
ekelts! – Großer herrlicher Geist, der du mir zu er­scheinen
würdigtest, der du mein Herz kennest und meine Seele,
warum an den Schandgesellen mich schmieden, der sich am
Schaden weidet und an Verderben sich letzt?
Mephistopheles.
Endigst du?
234
Faust.
Rette sie! oder weh dir! Den gräßlichsten Fluch über dich
auf Jahrtausende!
Mephistopheles.
Ich kann die Bande des Rächers nicht lösen, seine Rie­gel
nicht öffnen. – Rette sie! – Wer war’s, der sie in’s Verderben
stürzte? Ich oder du?
Faust blickt wild umher.
Mephistopheles.
Greifst du nach dem Donner? Wohl, daß er euch elen­den
Sterblichen nicht gegeben ward! Den unschuldig ent­gegnenden
zu zerschmettern, das ist so Tyrannen-Art sich in Verlegenheiten
Luft zu machen.
Faust.
Bringe mich hin! Sie soll frei seyn!
Mephistopheles.
Und die Gefahr der du dich aussetzest? Wisse, noch liegt
auf der Stadt Blutschuld von deiner Hand. Ueber des Erschlagenen
Stätte schweben rächende Geister und lauern auf
den wiederkehrenden Mörder.
Faust.
Noch das von dir? Mord und Tod einer Welt über dich
Ungeheuer! Führe mich hin, sag’ ich, und befrei’ sie!
Mephistopheles.
Ich führe dich und was ich thun kann, höre! Habe ich alle
Macht im Himmel und auf Erden? Des Thürners 235 Sinne
will ich umnebeln, bemächtige dich der Schlüssel und führe
sie heraus mit Menschenhand. Ich wache! die Zauberpferde
sind bereit, ich entführe euch. Das vermag ich.
Faust.
Auf und davon!

236

Nacht, offen Feld.


Faust, Mephistopheles, auf schwarzen Pferden daher brausend.
Faust.
4399Was weben die dort um den Rabenstein?
Mephistopheles.
4400Weiß nicht was sie kochen und schaffen.
Faust.
Schweben auf, schweben ab, neigen sich, beugen sich.
Mephistopheles.
Eine Hexenzunft.
Faust.
Sie streuen und weihen.
Mephistopheles.
4404Vorbei! Vorbei!

237

Kerker.


Faust,
mit einem Bund Schlüssel und einer Lampe, vor einem eisernen Thürchen.
4405Mich faßt ein längst entwohnter Schauer,
Der Menschheit ganzer Jammer faßt mich an.
Hier wohnt sie hinter dieser feuchten Mauer,
Und ihr Verbrechen war ein guter Wahn!
Du zauderst zu ihr zu gehen!
4410Du fürchtest sie wieder zu sehen!
Fort! Dein Zagen zögert den Tod heran,
Er ergreift das Schloß. Es singt inwendig.
Meine Mutter, die Hur,
Die mich umgebracht hat!
Mein Vater, der Schelm,
4415Der mich gessen hat!
Mein Schwesterlein klein
Hub auf die Bein,
An einem kühlen Ort;
Da ward ich ein schönes Waldvögelein;
4420Fliege fort, fliege fort!
238
Faust
aufschließend.
Sie ahnet nicht, daß der Geliebte lauscht,
Die Ketten klirren hört, das Stroh das rauscht.
Er tritt ein.
Margarete
sich auf dem Lager verbergend.
Weh! Weh! Sie kommen. Bittrer Tod!
Faust
leise.
Still! Still! ich komme dich zu befreien.
Margarete
sich vor ihn hinwälzend.
4425Bist du ein Mensch, so fühle meine Noth.
Faust.
Du wirst die Wächter aus dem Schlafe schreien!
Er faßt die Ketten, sie aufzuschließen.
Margarete
auf den Knieen.
Wer hat dir Henker diese Macht
Ueber mich gegeben!
Du holst mich schon um Mitternacht.
4430Erbarme dich und laß mich leben!
Ist’s morgen früh nicht zeitig genung?
Sie steht auf.
Bin ich doch noch so jung, so jung!
Und soll schon sterben!
Schön war ich auch, und das war mein Verderben.
4435Nah war der Freund, nun ist er weit;
Zerrissen liegt der Kranz, die Blumen zerstreut.
Fasse mich nicht so gewaltsam an!
Schone mich! Was hab’ ich dir gethan?
Laß mich nicht vergebens flehen,
4440Hab’ ich dich doch mein Tage nicht gesehen!
239
Faust.
Werd’ ich den Jammer überstehen!
Margarete.
Ich bin nun ganz in deiner Macht.
Laß mich nur erst das Kind noch tränken.
Ich herzt’ es diese ganze Nacht;
4445Sie nahmen mir’s um mich zu kränken
Und sagen nun, ich hätt’ es umgebracht.
Und niemals werd’ ich wieder froh.
Sie singen Lieder auf mich! Es ist bös von den Leuten!
Ein altes Mährchen endigt so,
4450Wer heißt sie’s deuten?
Faust
wirft sich nieder.
Ein Liebender liegt dir zu Füßen
Die Jammerknechtschaft aufzuschließen.
Margarete
wirft sich zu ihm.
O laß uns knien die Heil’gen anzurufen!
Sieh! unter diesen Stufen,
4455Unter der Schwelle
Siedet die Hölle!
Der Böse,
Mit furchtbarem Grimme,
Macht ein Getöse!
Faust
laut.
4460Gretchen! Gretchen!
Margarete
aufmerksam.
Das war des Freundes Stimme!
Sie springt auf. Die Ketten fallen ab.
240
Wo ist er? Ich hab’ ihn rufen hören.
Ich bin frei! Mir soll niemand wehren.
An seinen Hals will ich fliegen,
4465An seinem Busen liegen!
Er rief Gretchen! Er stand auf der Schwelle.
Mitten durch’s Heulen und Klappen der Hölle,
Durch den grimmigen, teuflischen Hohn,
Erkannt’ ich den süßen, den liebenden Ton.
Faust.
4470Ich bin’s!
Margarete.
4470Du bist’s! O sag’ es noch einmal!
Ihn fassend.
Er ist’s! Er ist’s! Wohin ist alle Qual?
Wohin die Angst des Kerkers? der Ketten?
Du bist’s! Kommst mich zu retten!
Ich bin gerettet! –
4475Schon ist die Straße wieder da,
Auf der ich dich zum erstenmale sah.
Und der heitere Garten,
Wo ich und Marthe deiner warten.
Faust
fortstrebend.
Komm mit! Komm mit!
Margarete.
O weile!
4480Weil’ ich doch so gern wo du weilest.
Liebkosend.
241
Faust.
Eile!
Wenn du nicht eilest,
Werden wir’s theuer büßen müssen.
Margarete.
Wie? du kannst nicht mehr küssen?
4485Mein Freund, so kurz von mir entfernt,
Und hast’s Küssen verlernt?
Warum wird mir an deinem Halse so bang?
Wenn sonst von deinen Worten, deinen Blicken
Ein ganzer Himmel mich überdrang,
4490Und du mich küßtest als wolltest du mich ersticken.
Küsse mich!
Sonst küss’ ich dich!
Sie umfaßt ihn.
O weh! deine Lippen sind kalt,
Sind stumm.
4495Wo ist dein Lieben
Geblieben?
Wer brachte mich drum?
Sie wendet sich von ihm.
Faust.
Komm! Folge mir! Liebchen, fasse Muth!
Ich herze dich mit tausendfacher Gluth;
4500Nur folge mir! Ich bitte dich nur dieß!
Margarete
zu ihm gewendet.
Und bist du’s denn? Und bist du’s auch gewiß?
242
Faust.
Ich bin’s! Komm mit!
Margarete.
Du machst die Fesseln los,
Nimmst wieder mich in deinen Schoos.
Wie kommt es, daß du dich vor mir nicht scheust? –
4505Und weißt du denn, mein Freund, wen du befreist?
Faust.
Komm! komm! Schon weicht die tiefe Nacht.
Margarete.
Meine Mutter hab’ ich umgebracht,
Mein Kind hab’ ich ertränkt.
War es nicht dir und mir geschenkt?
4510Dir auch – Du bist’s! ich glaub’ es kaum.
Gib deine Hand! Es ist kein Traum!
Deine liebe Hand! – Ach aber sie ist feucht!
Wische sie ab! Wie mich däucht
Ist Blut dran.
4515Ach Gott! Was hast du gethan!
Stecke den Degen ein;
Ich bitte dich drum!
Faust.
Laß das Vergang’ne vergangen seyn,
Du bringst mich um.
Margarete.
4520Nein, du mußt übrig bleiben!
Ich will dir die Gräber beschreiben,
243
Für die mußt du sorgen
Gleich morgen;
Der Mutter den besten Platz geben,
4525Meinen Bruder sogleich darneben,
Mich ein wenig bei Seit’,
Nur nicht gar zu weit!
Und das Kleine mir an die rechte Brust.
Niemand wird sonst bei mir liegen! –
4530Mich an deine Seite zu schmiegen
Das war ein süßes, ein holdes Glück!
Aber es will mir nicht mehr gelingen;
Mir ist’s als müßt’ ich mich zu dir zwingen,
Als stießest du mich von dir zurück;
4535Und doch bist du’s und blickst so gut, so fromm.
Faust.
Fühlst du daß ich es bin, so komm!
Margarete.
Dahinaus?
Faust.
In’s Freie.
Margarete.
Ist das Grab drauß’,
Lauert der Tod, so komm!
4540Von hier in’s ewige Ruhebett
Und weiter keinen Schritt –
Du gehst nun fort? O Heinrich, könnt’ ich mit!
Faust.
Du kannst! So wolle nur! Die Thür steht offen.
244
Margarete.
Ich darf nicht fort; für mich ist nichts zu hoffen.
4545Was hilft es fliehn? Sie lauern doch mir auf.
Es ist so elend betteln zu müssen,
Und noch dazu mit bösem Gewissen!
Es ist so elend in der Fremde schweifen,
Und sie werden mich doch ergreifen!
Faust.
4550Ich bleibe bei dir.
Margarete.
Geschwind! Geschwind!
Rette dein armes Kind.
Fort! Immer den Weg
Am Bach hinauf,
4555Ueber den Steg
In den Wald hinein,
Links wo die Planke steht,
Im Teich.
Faß es nur gleich!
4560Es will sich heben,
Es zappelt noch!
Rette! rette!
Faust.
Besinne dich doch!
Nur Einen Schritt, so bist du frei!
Margarete.
4565Wären wir nur den Berg vorbei!
Da sitzt meine Mutter auf einem Stein,
245
Es faßt mich kalt bei’m Schopfe!
Da sitzt meine Mutter auf einem Stein
Und wackelt mit dem Kopfe;
4570Sie winkt nicht, sie nickt nicht, der Kopf ist ihr schwer,
Sie schlief so lange, sie wacht nicht mehr.
Sie schlief damit wir uns freuten.
Es waren glückliche Zeiten!
Faust.
Hilft hier kein Flehen, hilft kein Sagen;
4575So wag’ ich’s dich hinweg zu tragen.
Margarete.
Laß mich! Nein, ich leide keine Gewalt!
Fasse mich nicht so mörderisch an!
Sonst hab’ ich dir ja alles zu lieb gethan.
Faust.
Der Tag graut! Liebchen! Liebchen!
Margarete.
4580Tag! Ja es wird Tag! der letzte Tag dringt herein;
Mein Hochzeittag sollt’ es seyn!
Sag niemand daß du schon bei Gretchen warst.
Weh meinem Kranze!
Es ist eben geschehn!
4585Wir werden uns wiedersehn;
Aber nicht beim Tanze.
Die Menge drängt sich, man hört sie nicht.
Der Platz, die Gassen
Können sie nicht fassen.
4590Die Glocke ruft, das Stäbchen bricht.
246
Wie sie mich binden und packen!
Zum Blutstuhl bin ich schon entrückt.
Schon zuckt nach jedem Nacken
Die Schärfe die nach meinem zückt.
4595Stumm liegt die Welt wie das Grab!
Faust.
O wär’ ich nie geboren!
Mephistopheles
erscheint draußen.
Auf! oder ihr seyd verloren.
Unnützes Zagen! Zaudern und Plaudern!
Meine Pferde schaudern,
4600Der Morgen dämmert auf.
Margarete.
Was steigt aus dem Boden herauf?
Der! der! Schick’ ihn fort!
Was will der an dem heiligen Ort?
Er will mich!
Faust.
Du sollst leben!
Margarete.
4605Gericht Gottes! Dir hab’ ich mich übergeben!
Mephistopheles
zu Faust.
Komm! komm! Ich lasse dich mit ihr im Stich.
Margarete.
Dein bin ich, Vater! Rette mich!
Ihr Engel! Ihr heiligen Schaaren,
247
Lagert euch umher, mich zu bewahren!
4610Heinrich! Mir graut’s vor dir.
Mephistopheles.
Sie ist gerichtet!
Stimme
von oben.
Ist gerettet!
Mephistopheles
zu Faust.
Her zu mir!
Verschwindet mit Faust.
Stimme
von innen, verhallend.
4612Heinrich! Heinrich!

249
Faust.

Zweyter Theil.
250
251

Anmuthige Gegend.


Faust auf blumigen Rasen gebettet, ermüdet, unruhig, schlafsuchend.
Dämmerung.
Geister-Kreis schwebend bewegt, anmuthige kleine Ge­stalten.
Ariel
Gesang von Aeolsharfen begleitet.
4613Wenn der Blüthen Frühlings-Regen
Ueber alle schwebend sinkt,
4615Wenn der Felder grüner Segen
Allen Erdgebornen blinkt,
Kleiner Elfen Geistergröße
Eilet wo sie helfen kann,
Ob er heilig? ob er böse?
4620Jammert sie der Unglücksmann.
Die ihr dieß Haupt umschwebt im luft’gen Kreise,
Erzeigt euch hier nach edler Elfen Weise,
Besänftiget des Herzens grimmen Strauß,
Entfernt des Vorwurfs glühend bittre Pfeile,
4625Sein Innres reinigt von erlebtem Graus.
Vier sind die Pausen nächtiger Weile,
252
Nun ohne Säumen füllt sie freundlich aus.
Erst senkt sein Haupt auf’s kühle Polster nieder,
Dann badet ihn im Thau aus Lethe’s Fluth;
4630Gelenk sind bald die krampferstarrten Glieder,
Wenn er gestärkt dem Tag entgegen ruht;
Vollbringt der Elfen schönste Pflicht,
Gebt ihn zurück dem heiligen Licht.
Chor.
Einzeln, zu zweyen und vielen, abwechselnd und gesammelt.
Wenn sich lau die Lüfte füllen
4635Um den grünumschränkten Plan,
Süße Düfte, Nebelhüllen
Senkt die Dämmerung heran.
Lispelt leise süßen Frieden,
Wiegt das Herz in Kindesruh;
4640Und den Augen dieses Müden
Schließt des Tages Pforte zu.
Nacht ist schon hereingesunken
Schließt sich heilig Stern an Stern,
Große Lichter, kleine Funken,
4645Glitzern nah und glänzen fern;
Glitzern hier im See sich spiegelnd
Glänzen droben klarer Nacht,
Tiefsten Ruhens Glück besiegelnd
Herrscht des Mondes volle Pracht.
253
4650Schon verloschen sind die Stunden,
Hingeschwunden Schmerz und Glück;
Fühl’ es vor! Du wirst gesunden;
Traue neuem Tagesblick.
Thäler grünen, Hügel schwellen,
4655Buschen sich zu Schatten-Ruh;
Und in schwanken Silberwellen
Wogt die Saat der Ernte zu.
Wunsch um Wünsche zu erlangen
Schaue nach dem Glanze dort!
4660Leise bist du nur umfangen,
Schlaf ist Schale, wirf sie fort!
Säume nicht dich zu erdreisten
Wenn die Menge zaudernd schweift;
Alles kann der Edle leisten,
4665Der versteht und rasch ergreift.
Ungeheures Getöse verkündet das Herannahen der Sonne.
Ariel.
Horchet! horcht! dem Sturm der Horen,
Tönend wird für Geistes-Ohren
Schon der neue Tag geboren.
Felsenthore knarren rasselnd
4670Phöbus Räder rollen prasselnd,
Welch Getöse bringt das Licht!
Es trommetet, es posaunet,
Auge blinzt und Ohr erstaunet,
Unerhörtes hört sich nicht.
254
4675Schlüpfet zu den Blumenkronen,
Tiefer tiefer, still zu wohnen,
In die Felsen unter’s Laub;
Trifft es euch so seyd ihr taub.
Faust.
Des Lebens Pulse schlagen frisch lebendig,
4680Aetherische Dämmerung milde zu begrüßen;
Du Erde warst auch diese Nacht beständig
Und athmest neu erquickt zu meinen Füßen,
Beginnest schon mit Lust mich zu umgeben,
Du regst und rührst ein kräftiges Beschließen,
4685Zum höchsten Daseyn immerfort zu streben. –
In Dämmerschein liegt schon die Welt erschlossen,
Der Wald ertönt von tausendstimmigem Leben,
Thal aus, Thal ein ist Rebelstreif ergossen,
Doch senkt sich Himmelsklarheit in die Tiefen,
4690Und Zweig und Aeste, frisch erquickt, entsprossen
Dem duft’gen Abgrund wo versenkt sie schliefen;
Auch Farb’ an Farbe klärt sich los vom Grunde,
Wo Blum’ und Blatt von Zitterperle triefen,
Ein Paradies wird um mich her die Runde.
4695Hinaufgeschaut! – Der Berge Gipfelriesen
Verkünden schon die feyerlichste Stunde,
Sie dürfen früh des ewigen Lichts genießen
Das später sich zu uns hernieder wendet.
Jetzt zu der Alpe grüngesenkten Wiesen
4700Wird neuer Glanz und Deutlichkeit gespendet,
Und stufenweis herab ist es gelungen; –
255
Sie tritt hervor! – und, leider schon geblendet,
Kehr’ ich mich weg, vom Augenschmerz durchdrungen.
So ist es also, wenn ein sehnend Hoffen
4705Dem höchsten Wunsch sich traulich zugerungen,
Erfüllungspforten findet flügeloffen,
Nun aber bricht aus jenen ewigen Gründen
Ein Flammen-Uebermaß, wir stehn betroffen;
Des Lebens Fackel wollten wir entzünden,
4710Ein Feuermeer umschlingt uns, welch’ ein Feuer!
Ist’s Lieb? Ist’s Haß? die glühend uns umwinden,
Mit Schmerz und Freuden wechselnd ungeheuer,
So daß wir wieder nach der Erde blicken,
Zu bergen uns in jugendlichstem Schleyer.
4715So bleibe denn die Sonne mir im Rücken!
Der Wassersturz, das Felsenriff durchbrausend,
Ihn schau’ ich an mit wachsendem Entzücken.
Von Sturz zu Sturzen wälzt er jetzt in tausend
Dann aber tausend Strömen sich ergießend,
4720Hoch in die Lüfte Schaum an Schäume sausend.
Allein wie herrlich diesem Sturm ersprießend,
Wölbt sich des bunten Bogens Wechsel-Dauer,
Bald rein gezeichnet, bald in Luft zerfließend,
Umher verbreitend duftig kühle Schauer.
4725Der spiegelt ab das menschliche Bestreben.
Ihm sinne nach und du begreifst genauer:
4727Am farbigen Abglanz haben wir das Leben.

256

Kaiserliche Pfalz.


Saal des Thrones.
Staatsrath in Erwartung des Kaisers.

Trompeten.
Hofgesinde aller Art prächtig gekleidet tritt vor.
Der Kaiser gelangt auf den Thron, zu seiner Rechten der Astrolog.
Kaiser.
4728Ich grüße die Getreuen, Lieben,
Versammelt aus der Näh’ und Weite; –
4730Den Weisen seh ich mir zur Seite,
Allein wo ist der Narr geblieben?
Junker.
Gleich hinter deiner Mantel-Schleppe
Stürzt’ er zusammen auf der Treppe,
Man trug hinweg das Fett-Gewicht,
4735Todt oder trunken? weiß man nicht.
257
Zweyter Junker.
Sogleich mit wunderbarer Schnelle
Drängt sich ein andrer an die Stelle.
Gar köstlich ist er aufgeputzt,
Doch fratzenhaft daß jeder stutzt;
4740Die Wache hält ihm an der Schwelle
Kreuzweis die Hellebarden vor –
Da ist er doch der kühne Thor!
Mephistopheles
am Throne knieend.
Was ist verwünscht und stets willkommen?
Was ist ersehnt und stets verjagt?
4745Was immerfort in Schutz genommen?
Was hart gescholten und verklagt?
Wen darfst du nicht herbeiberufen?
Wen höret jeder gern genannt?
Was naht sich deines Thrones Stufen?
4750Was hat sich selbst hinweggebannt?
Kaiser.
Für dießmal spare deine Worte!
Hier sind die Räthsel nicht am Orte,
Das ist die Sache dieser Herrn. –
Da löse du! das hört ich gern:
4755Mein alter Narr ging, fürcht’ ich, weit in’s Weite;
Nimm seinen Platz und komm an meine Seite.
Mephistopheles steigt hinauf und stellt sich zur Linken.
258
Gemurmel der Menge.
Ein neuer Narr – Zu neuer Pein –
Wo kommt er her – Wie kam er ein –
Der Alte fiel – der hat verthan –
4760Es war ein Faß – Nun ist’s ein Span –
Kaiser.
Und also ihr Getreuen, Lieben,
Willkommen aus der Näh’ und Ferne,
Ihr sammelt Euch mit günstigem Sterne,
Da droben ist uns Glück und Heil geschrieben.
4765Doch sagt warum in diesen Tagen,
Wo wir der Sorgen uns entschlagen,
Schönbärte mummenschänzlich tragen
Und heitres nur genießen wollten,
Warum wir uns rathschlagend quälen sollten?
4770Doch weil ihr meint es ging nicht anders an,
Geschehen ist’s, so sey’s gethan.
Canzler.
Die höchste Tugend, wie ein Heiligen-Schein,
Umgibt des Kaisers Haupt, nur er allein
Vermag sie gültig auszuüben;
4775Gerechtigkeit! – Was alle Menschen lieben,
Was alle fordern, wünschen, schwer entbehren,
Es liegt an ihm dem Volk es zu gewähren.
Doch ach! Was hilft dem Menschengeist Verstand,
Dem Herzen Güte, Willigkeit der Hand,
4780Wenn’s fieberhaft durchaus im Staate wüthet,
Und Uebel sich in Uebeln überbrütet.
259
Wer schaut hinab von diesem hohen Raum
In’s weite Reich, ihm scheint’s ein schwerer Traum,
Wo Mißgestalt in Mißgestalten schaltet,
4785Das Ungesetz gesetzlich überwaltet,
Und eine Welt des Irrthums sich entfaltet.
Der raubt sich Heerden, der ein Weib,
Kelch, Kreuz und Leuchter vom Altare,
Berühmt sich dessen manche Jahre
4790Mit heiler Haut, mit unverletztem Leib.
Jetzt drängen Kläger sich zur Halle,
Der Richter prunkt auf hohem Pfühl,
Indessen wogt, in grimmigem Schwalle,
Des Aufruhrs wachsendes Gewühl.
4795Der darf auf Schand und Frevel pochen
Der auf Mitschuldigste sich stützt,
Und: Schuldig! hörst du ausgesprochen
Wo Unschuld nur sich selber schützt.
So will sich alle Welt zerstückeln,
4800Vernichtigen was sich gebührt;
Wie soll sich da der Sinn entwickeln
Der einzig uns zum Rechten führt?
Zuletzt ein wohlgesinnter Mann
Neigt sich dem Schmeichler, dem Bestecher,
4805Ein Richter der nicht strafen kann
Gesellt sich endlich zum Verbrecher.
Ich mahlte schwarz, doch dichtern Flor
Zög’ ich dem Bilde lieber vor.
Pause.
260
Entschlüsse sind nicht zu vermeiden,
4810Wenn alle schädigen, alle leiden
Geht selbst die Majestät zu Raub.
Heermeister.
Wie tobt’s in diesen wilden Tagen
Ein jeder schlägt und wird erschlagen
Und für’s Commando bleibt man taub.
4815Der Bürger hinter seinen Mauern
Der Ritter auf dem Felsennest
Verschwuren sich uns auszudauern
Und halten ihre Kräfte fest.
Der Miethsoldat wird ungeduldig,
4820Mit Ungestüm verlangt er seinen Lohn,
Und wären wir ihm nichts mehr schuldig
Er liefe ganz und gar davon.
Verbiete wer was alle wollten,
Der hat in’s Wespennest gestört;
4825Das Reich das sie beschützen sollten,
Es liegt geplündert und verheert.
Man läßt ihr Toben wüthend hausen,
Schon ist die halbe Welt verthan;
Es sind noch Könige da draußen
4830Doch keiner denkt es ging ihn irgend an.
Schatzmeister.
Wer wird auf Bundsgenossen pochen!
Subsidien die man uns versprochen,
Wie Röhrenwasser, bleiben aus.
261
Auch Herr, in deinen weiten Staaten
4835An wen ist der Besitz gerathen?
Wohin man kommt da hält ein Neuer Haus
Und unabhängig will er leben,
Zusehen muß man wie er’s treibt;
Wir haben so viel Rechte hingegeben,
4840Daß uns auf nichts ein Recht mehr übrig bleibt.
Auch auf Parteyen, wie sie heißen,
Ist heut zu Tage kein Verlaß;
Sie mögen schelten oder preisen,
Gleichgültig wurden Lieb und Haß,
4845Die Ghibellinen wie die Guelfen
Verbergen sich um auszuruhn;
Wer jetzt will seinem Nachbar helfen?
Ein jeder hat für sich zu thun.
Die Goldespforten sind verrammelt,
4850Ein jeder kratzt und scharrt und sammelt
Und unsre Cassen bleiben leer.
Marschalk.
Welch Unheil muß auch ich erfahren;
Wir wollen alle Tage sparen
Und brauchen alle Tage mehr.
4855Und täglich wächst mir neue Pein.
Den Köchen thut kein Mangel wehe;
Wildschweine, Hirsche, Hasen, Rehe,
Welschhühner, Hühner, Gäns’ und Enten,
Die Deputate, sichre Renten,
262
4860Sie gehen noch so ziemlich ein.
Jedoch am Ende fehlt’s an Wein.
Wenn sonst im Keller Faß an Faß sich häufte,
Der besten Berg- und Jahresläufte,
So schlürft unendliches Gesäufte
4865Der edlen Herrn den letzten Tropfen aus.
Der Stadtrath muß sein Lager auch verzapfen,
Man greift zu Humpen, greift zu Napfen.
Und unterm Tische liegt der Schmaus.
Nun soll ich zahlen, alle lohnen;
4870Der Jude wird mich nicht verschonen
Der schafft Anticipationen,
Die speisen Jahr um Jahr voraus.
Die Schweine kommen nicht zu Fette,
Verpfändet ist der Pfühl im Bette,
4875Und auf den Tisch kommt vorgegessen Brot.
Kaiser
nach einigem Nachdenken zu Mephistopheles.
Sag, weißt du Narr nicht auch noch eine Noth?
Mephistopheles.
Ich keineswegs. Den Glanz umher zu schauen,
Dich und die deinen! – Mangelte Vertrauen,
Wo Majestät unweigerlich gebeut?
4880Bereite Macht Feindseliges zerstreut,
Wo guter Wille, kräftig durch Verstand
Und Thätigkeit, vielfältige, zur Hand?
Was könnte da zum Unheil sich vereinen,
Zur Finsterniß wo solche Sterne scheinen?
263
Gemurmel.
4885Das ist ein Schalk – der’s wohl versteht –
Er lügt sich ein – So lang es geht –
Ich weiß schon – Was dahinter steckt –
Und was denn weiter? – Ein Project –
Mephistopheles.
Wo fehlt’s nicht irgendwo auf dieser Welt?
4890Dem dieß, dem das, hier aber fehlt das Geld.
Vom Estrich zwar ist es nicht aufzuraffen;
Doch Weisheit weiß das Tiefste herzuschaffen.
In Bergesadern, Mauergründen
Ist Geld gemünzt und ungemünzt zu finden,
4895Und fragt ihr mich wer es zu Tage schafft:
Begabten Mann’s Natur- und Geisteskraft.
Canzler.
Natur und Geist – so spricht man nicht zu Christen.
Deßhalb verbrennt man Atheisten
Weil solche Reden höchst gefährlich sind.
4900Natur ist Sünde, Geist ist Teufel,
Sie hegen zwischen sich den Zweifel,
Ihr mißgestaltet Zwitterkind.
Uns nicht so! – Kaisers alten Landen
Sind zwey Geschlechter nur entstanden,
4905Sie stützen würdig seinen Thron:
Die Heiligen sind es und die Ritter;
Sie stehen jedem Ungewitter
Und nehmen Kirch’ und Staat zum Lohn.
264
Dem Pöbelsinn verworrener Geister
4910Entwickelt sich ein Widerstand,
Die Ketzer sind’s! die Hexenmeister!
Und sie verderben Stadt und Land.
Die willst du nun mit frechen Scherzen
In diese hohen Kreise schwärzen,
4915Ihr hegt euch an verderbtem Herzen,
Dem Narren sind sie nah verwandt.
Mephistopheles.
Daran erkenn’ ich den gelehrten Herrn!
Was ihr nicht tastet steht euch meilenfern,
Was ihr nicht faßt das fehlt euch ganz und gar,
4920Was ihr nicht rechnet, glaubt ihr sey nicht wahr,
Was ihr nicht wägt hat für euch kein Gewicht,
Was ihr nicht münzt das meint ihr gelte nicht.
Kaiser.
Dadurch sind unsre Mängel nicht erledigt,
Was willst du jetzt mit deiner Fastenpredigt?
4925Ich habe satt das ewige Wie und Wenn;
Es fehlt an Geld, nun gut so schaff’ es denn.
Mephistopheles.
Ich schaffe was ihr wollt und schaffe mehr;
Zwar ist es leicht, doch ist das Leichte schwer;
Es liegt schon da, doch um es zu erlangen
4930Das ist die Kunst, wer weiß es anzufangen?
Bedenkt doch nur: in jenen Schreckensläuften
Wo Menschenfluthen Land und Volk ersäuften,
265
Wie der und der, so sehr es ihn erschreckte,
Sein Liebstes da- und dortwohin versteckte.
4935So war’s von je in mächtiger Römer Zeit,
Und so fortan, bis gestern, ja bis heut.
Das alles liegt im Boden still begraben,
Der Boden ist des Kaisers, der soll’s haben.
Schatzmeister.
Für einen Narren spricht er gar nicht schlecht,
4940Das ist fürwahr des alten Kaisers Recht.
Canzler.
Der Satan legt euch goldgewirkte Schlingen:
Es geht nicht zu mit frommen rechten Dingen.
Marschalk.
Schafft’ er uns nur zu Hof willkommne Gaben,
Ich wollte gern ein bischen Unrecht haben.
Heermeister.
4945Der Narr ist klug, verspricht was jedem frommt,
Fragt der Soldat doch nicht woher es kommt.
Mephistopheles.
Und glaubt ihr euch vielleicht durch mich betrogen;
Hier steht ein Mann! da! fragt den Astrologen,
In Kreis’ um Kreise kennt er Stund und Haus,
4950So sage denn wie sieht’s am Himmel aus.
Gemurmel.
Zwey Schelme sind’s – Verstehn sich schon –
Narr und Phantast – So nah dem Thron –
Ein mattgesungen – alt Gedicht –
Der Thor bläst ein – der Weise spricht –
266
Astrolog
spricht, Mephistopheles bläst ein.
4955Die Sonne selbst sie ist ein lautres Gold,
Merkur der Bote dient um Gunst und Sold,
Frau Venus hat’s euch allen angethan,
So früh als spat blickt sie euch lieblich an;
Die keusche Luna launet grillenhaft,
4960Mars trifft er nicht, so dräut euch seine Kraft.
Und Jupiter bleibt doch der schönste Schein,
Saturn ist groß, dem Auge fern und klein.
Ihn als Metall verehren wir nicht sehr,
An Werth gering, doch im Gewichte schwer.
4965Ja! wenn zu Sol sich Luna fein gesellt,
Zum Silber Gold, dann ist es heitre Welt,
Das Uebrige ist alles zu erlangen,
Paläste, Gärten, Brüstlein, rothe Wangen,
Das alles schafft der hochgelahrte Mann
4970Der das vermag was unser keiner kann.
Kaiser.
Ich höre doppelt was er spricht
Und dennoch überzeugt’s mich nicht.
Gemurmel.
Was soll uns das – Gedroschner Spaß –
Calenderey – Chymisterey –
4975Das hört ich oft – Und falsch gehofft –
Und kommt er auch – So ist’s ein Gauch –
Mephistopheles.
Da stehen sie umher und staunen,
Vertrauen nicht dem hohen Fund,
267
Der eine faselt von Alraunen
4980Der andre von dem schwarzen Hund.
Was soll es daß der eine witzelt,
Ein andrer Zauberey verklagt,
Wenn ihm doch auch einmal die Sohle kitzelt
Wenn ihm der sichre Schritt versagt.
4985Ihr alle fühlt geheimes Wirken
Der ewig waltenden Natur,
Und aus den untersten Bezirken
Schmiegt sich herauf lebend’ge Spur.
Wenn es in allen Gliedern zwackt,
4990Wenn es unheimlich wird am Platz,
Nur gleich entschlossen grabt und hackt,
Da liegt der Spielmann, liegt der Schatz!
Gemurmel.
Mir liegt’s im Fuß wie Bleygewicht –
Mir krampft’s im Arme – das ist Gicht –
4995Mir krabbelt’s an der großen Zeh’ –
Mir thut der ganze Rücken weh –
Nach solchen Zeichen wäre hier
Das allerreichste Schatzrevier.
Kaiser.
Nur eilig! du entschlüpfst nicht wieder,
5000Erprobe deine Lügenschäume,
Und zeig’ uns gleich die edlen Räume.
Ich lege Schwerdt und Scepter nieder,
268
Und will mit eignen hohen Händen,
Wenn du nicht lügst, das Werk vollenden,
5005Dich, wenn du lügst, zur Hölle senden!
Mephistopheles.
Den Weg dahin wüßt’ allenfalls zu finden –
Doch kann ich nicht genug verkünden
Was überall besitzlos harrend liegt.
Der Bauer der die Furche pflügt
5010Hebt einen Goldtopf mit der Scholle,
Salpeter hofft er von der Leimenwand
Und findet golden-goldne Rolle,
Erschreckt, erfreut in kümmerlicher Hand.
Was für Gewölbe sind zu sprengen,
5015In welchen Klüften, welchen Gängen
Muß sich der Schatzbewußte drängen,
Zur Nachbarschaft der Unterwelt!
In weiten, allverwahrten Kellern,
Von goldnen Humpen, Schüsseln, Tellern,
5020Sieht er sich Reihen aufgestellt.
Pokale stehen aus Rubinen
Und will er deren sich bedienen
Daneben liegt uraltes Naß.
Doch – werdet ihr dem Kundigen glauben –
5025Verfault ist längst das Holz der Dauben,
Der Weinstein schuf dem Wein ein Faß,
Essenzen solcher edlen Weine,
Gold und Juwelen nicht alleine
269
Umhüllen sich mit Nacht und Graus.
5030Der Weise forscht hier unverdrossen;
Am Tag’ erkennen das sind Possen,
Im Finstern sind Mysterien zu Haus.
Kaiser.
Die laß ich dir! Was will das Düstre frommen?
Hat etwas Werth, es muß zu Tage kommen.
5035Wer kennt den Schelm in tiefer Nacht genau?
Schwarz sind die Kühe, so die Katzen grau.
Die Töpfe drunten, voll von Goldgewicht;
Zieh’ deinen Pflug, und ackre sie an’s Licht.
Mephistopheles.
Nimm Hack’ und Spaten, grabe selber,
5040Die Bauernarbeit macht dich groß,
Und eine Heerde goldner Kälber
Sie reißen sich vom Boden los.
Dann ohne Zaudern, mit Entzücken,
Kannst du dich selbst, wirst die Geliebte schmücken;
5045Ein leuchtend Farb- und Glanzgestein erhöht
Die Schönheit wie die Majestät.
Kaiser.
Nur gleich, nur gleich! Wie lange soll es währen!
Astrolog
(wie oben).
Herr mäßige solch dringendes Begehren,
Laß erst vorbei das bunte Freudenspiel;
5050Zerstreutes Wesen führt uns nicht zum Ziel.
270
Erst müssen wir in Fassung uns versühnen,
Das Untre durch das Obere verdienen.
Wer Gutes will der sey erst gut;
Wer Freude will besänftige sein Blut;
5055Wer Wein verlangt der keltre reife Trauben,
Wer Wunder hofft der stärke seinen Glauben.
Kaiser.
So sey die Zeit in Fröhlichkeit verthan!
Und ganz erwünscht kommt Aschermittwoch an.
Indessen feyern wir, auf jeden Fall,
5060Nur lustiger das wilde Carneval.
Trompeten, Exeunt.
Mephistopheles.
Wie sich Verdienst und Glück verketten
Das fällt den Thoren niemals ein;
Wenn sie den Stein der Weisen hätten
5064Der Weise mangelte dem Stein.

271
Weitläufiger Saal, mit Nebengemächern, verziert und aufgeputzt zur Mummenschanz.

Herold.
5065Denkt nicht ihr seyd in deutschen Gränzen
Von Teufels-, Narren- und Todtentänzen,
Ein heitres Fest erwartet euch.
Der Herr, auf seinen Römerzügen
Hat, sich zu Nutz, euch zum Vergnügen,
5070Die hohen Alpen überstiegen,
Gewonnen sich ein heitres Reich.
Der Kaiser, er, an heiligen Solen,
Erbat sich erst das Recht zur Macht,
Und als er ging die Krone sich zu holen,
5075Hat er uns auch die Kappe mitgebracht.
Nun sind wir alle neugeboren;
Ein jeder weltgewandte Mann
Zieht sie behaglich über Kopf und Ohren;
Sie ähnlet ihn verrückten Thoren,
5080Er ist darunter weise wie er kann.
Ich sehe schon wie sie sich schaaren,
Sich schwankend sondern, traulich paaren;
Zudringlich schließt sich Chor an Chor.
272
Herein, hinaus, nur unverdrossen;
5085Es bleibt doch endlich nach wie vor,
Mit ihren hunderttausend Possen,
Die Welt ein einzig großer Thor.
Gärtnerinnen.
Gesang begleitet von Mandolinen.
Euren Beyfall zu gewinnen
Schmückten wir uns diese Nacht,
5090Junge Florentinerinnen
Folgten deutschen Hofes Pracht;
Tragen wir in braunen Locken
Mancher heitern Blume Zier;
Seidenfäden, Seidenflocken
5095Spielen ihre Rolle hier.
Denn wir halten es verdienstlich,
Lobenswürdig ganz und gar,
Unsere Blumen, glänzend künstlich,
Blühen fort das ganze Jahr.
5100Allerlei gefärbten Schnitzeln
Ward symmetrisch Recht gethan;
Mögt ihr Stück für Stück bewitzeln,
Doch das Ganze zieht euch an.
Niedlich sind wir anzuschauen,
5105Gärtnerinnen und galant;
Denn das Naturell der Frauen
Ist so nah mit Kunst verwandt.
273
Herold.
Laßt die reichen Körbe sehen
Die ihr auf den Häupten traget,
5110Die sich bunt am Arme blähen,
Jeder wähle was behaget.
Eilig daß in Laub und Gängen
Sich ein Garten offenbare,
Würdig sind sie zu umdrängen
5115Krämerinnen wie die Waare.
Gärtnerinnen.
Feilschet nun am heitern Orte,
Doch kein Markten findet statt!
Und mit sinnig kurzem Worte
Wisse jeder was er hat.
Olivenzweig mit Früchten.
5120Keinen Blumenflor beneid’ ich,
Allen Widerstreit vermeid’ ich;
Mir ist’s gegen die Natur:
Bin ich doch das Mark der Lande,
Und, zum sichern Unterpfande,
5125Friedenszeichen jeder Flur,
Heute, hoff’ ich, soll mirs glücken
Würdig schönes Haupt zu schmücken.
Aehrenkranz
golden.
Ceres Gaben, euch zu putzen,
Werden hold und lieblich stehn:
5130Das Erwünschteste dem Nutzen
Sey als eure Zierde schön.
274
Phantasiekranz.
Bunte Blumen Malven ähnlich
Aus dem Moos ein Wunderflor!
Der Natur ist’s nicht gewöhnlich
5135Doch die Mode bringt’s hervor.
Phantasiestraus.
Meinen Namen euch zu sagen
Würde Theophrast nicht wagen,
Und doch hoff’ ich wo nicht allen,
Aber mancher zu gefallen,
5140Der ich mich wohl eignen möchte,
Wenn sie mich in’s Haar verflöchte,
Wenn sie sich entschließen könnte
Mir am Herzen Platz vergönnte.
Ausforderung.
Mögen bunte Phantasien
5145Für des Tages Mode blühen,
Wunder seltsam seyn gestaltet
Wie Natur sich nie entfaltet;
Grüne Stiele, goldne Glocken
Blickt hervor aus reichen Locken! –
5150Doch wir
Rosenknospen.
5150halten uns versteckt,
Glücklich wer uns frisch entdeckt.
Wenn der Sommer sich verkündet
Rosenknospe sich entzündet,
275
Wer mag solches Glück entbehren?
5155Das Versprechen, das Gewähren,
Das beherrscht, in Florens Reich,
Blick und Sinn und Herz zugleich.
Unter grünen Laubgängen putzen die Gärtnerinnen zierlich ihren Kram auf.
Gärtner.
Gesang begleitet von Theorben.
Blumen sehet ruhig sprießen,
Reizend euer Haupt umzieren,
5160Früchte wollen nicht verführen,
Kostend mag man sie genießen.
Bieten bräunliche Gesichter
Kirschen, Pfirschen, Königspflaumen,
Kauft! denn gegen Zung’ und Gaumen
5165Hält sich Auge schlecht als Richter.
Kommt von allerreifsten Früchten
Mit Geschmack und Lust zu speisen
Ueber Rosen läßt sich dichten,
In die Aepfel muß man beißen.
5170Sey’s erlaubt uns anzupaaren
Eurem reichen Jugendflor,
Und wir putzen reifer Waaren
Fülle nachbarlich empor.
276
Unter lustigen Gewinden
5175In geschmückter Lauben Bucht,
Alles ist zugleich zu finden:
Knospe, Blätter, Blume, Frucht.
Unter Wechselgesang, begleitet von Guitarren und Theorben, fahren beide Chöre fort ihre Waaren stufenweis in die Höhe zu schmücken und auszubieten.
Mutter und Tochter.
Mutter
Mädchen als du kamst an’s Licht
Schmückt ich dich im Häubchen,
5180Warst so lieblich von Gesicht,
Und so zart am Leibchen.
Dachte sie sogleich als Braut,
Gleich dem Reichsten angetraut,
Dachte dich als Weibchen.
5185Ach! Nun ist schon manches Jahr
Ungenützt verflogen,
Der Sponsirer bunte Schaar
Schnell vorbei gezogen;
Tanztest mit dem einen flink,
5190Gabst dem andern stillen Wink
Mit dem Ellenbogen.
277
Welches Fest man auch ersann,
Ward umsonst begangen,
Pfänderspiel und dritter Mann
5195Wollten nicht verfangen;
Heute sind die Narren los,
Liebchen öffne deinen Schoos,
Bleibt wohl einer hangen.
Gespielinnen jung und schön gesellen sich hinzu, ein vertrauliches Geplauder wird laut.
Fischer und Vogelsteller. Mit Netzen, Angel und Leimruthen, auch sonstigem Geräthe treten auf, mischen sich unter die schönen Kinder. Wechsel­seitige Versuche zu gewinnen, zu fangen, zu entgehen und fest zu halten geben zu den angenehmsten Dialogen Gele­genheit.
Holzhauer
treten ein ungestüm und ungeschlacht.
Nur Platz! nur Blöße!
5200Wir brauchen Räume,
Wir fällen Bäume
Die krachen, schlagen:
Und wenn wir tragen
Da gibt es Stöße.
278
5205Zu unserm Lobe
Bringt dieß in’s Reine;
Denn wirkten Grobe
Nicht auch im Lande,
Wie kämen Feine
5210Für sich zu Stande,
So sehr sie witzten?
Des seyd belehret;
Denn ihr erfröret
Wenn wir nicht schwitzten.
Pulcinelle
täppisch, fast läppisch.
5215Ihr seyd die Thoren
Gebückt geboren.
Wir sind die Klugen
Die nie was trugen;
Denn unsre Kappen
5220Jacken und Lappen
Sind leicht zu tragen.
Und mit Behagen
Wir immer müßig
Pantoffelfüßig,
5225Durch Markt und Haufen
Einher zu laufen.
Gaffend zu stehen,
Uns anzukrähen;
279
Auf solche Klänge
5230Durch Drang und Menge
Aalgleich zu schlüpfen,
Gesammt zu hüpfen,
Vereint zu toben.
Ihr mögt uns loben,
5235Ihr mögt uns schelten
Wir lassen’s gelten.
Parasiten
schmeichelnd-lüstern.
Ihr wackern Träger
Und eure Schwäger,
Die Kohlenbrenner,
5240Sind unsre Männer.
Denn alles Bücken,
Bejah’ndes Nicken,
Gewundne Phrasen,
Das Doppelblasen,
5245Das wärmt und kühlet
Wie’s einer fühlet,
Was könnt es frommen?
Es möchte Feuer
Selbst ungeheuer
5250Vom Himmel kommen,
Gäb’ es nicht Scheite
Und Kohlentrachten
Die Heerdesbreite
Zur Gluth entfachten.
280
5255Da brät’s und prudelt’s,
Da kocht’s und strudelt’s.
Der wahre Schmecker,
Der Tellerlecker,
Er riecht den Braten,
5260Er ahnet Fische;
Das regt zu Thaten
An Gönners Tische.
Trunkner
unbewußt.
Sey mir heute nichts zuwider!
Fühle mich so frank und frei;
5265Frische Luft und heitre Lieder
Holt’ ich selbst sie doch herbei.
Und so trink’ ich! trinke, trinke.
Stoßet an ihr! Tinke, Tinke!
Du dorthinten komm heran!
5270Stoßet an, so ist’s gethan.
Schrie mein Weibchen doch entrüstet,
Rümpfte diesen bunten Rock,
Und, wie sehr ich mich gebrüstet,
Schalt mich einen Maskenstock.
5275Doch ich trinke! Trinke, Trinke!
Angeklungen! Tinke, Tinke!
Maskenstöcke stoßet an!
Wenn es klingt so ist’s gethan.
Saget nicht daß ich verirrt bin,
5280Bin ich doch wo mir’s behagt.
Borgt der Wirth nicht, borgt die Wirthin,
Und am Ende kneipt die Magd.
281
Immer trink’ ich! Trinke, Trinke!
Auf ihr Andern! Tinke, Tinke!
5285Jeder jedem! so fortan!
Dünkt mich’s doch es sey gethan.
Wie und wo ich mich vergnüge
Mag es immerhin geschehn;
Laßt mich liegen wo ich liege,
5290Denn ich mag nicht länger stehn.
Chor.
Jeder Bruder trinke, trinke!
Toastet frisch ein Tinke, Tinke!
Sitzet fest auf Bank und Span,
Unterm Tisch Dem ist’s gethan.
Der Herold. Kündigt verschiedene Poeten an, Naturdichter, Hof- und Rit­tersänger, zärtliche so wie Enthusiasten. Im Gedräng von Mitwerbern aller Art, läßt keiner den Andern zum Vortrag kommen. Einer schleicht mit wenigen Worten vorüber.
Satyriker.
5295Wißt ihr was mich Poeten
Erst recht erfreuen sollte?
Dürft ich singen und reden
5298Was niemand hören wollte.
Die Nacht- und Grabdichter lassen sich entschuldigen, weil sie so eben im interessantesten Gespräch mit einem frischerstandenen Vampyren begriffen seyen; woraus eine neue Dichtart sich vielleicht entwickeln könnte; der Herold muß es gelten lassen und ruft indessen die griechische Mythologie hervor, die, selbst in moderner Maske, weder Charakter noch Gefälliges verliert.

282
Die Grazien.
Aglaia.
5299Anmuth bringen wir in’s Leben;
5300Leget Anmuth in das Geben.
Hegemone.
Leget Anmuth in’s Empfangen,
Lieblich ist’s den Wunsch erlangen.
Euphrosyne.
Und in stiller Tage Schranken
Höchst anmuthig sey das Danken.
Die Parzen.
Atropos.
5305Mich die älteste zum Spinnen
Hat man dießmal eingeladen;
Viel zu denken, viel zu sinnen
Gibt’s beim zarten Lebensfaden.
Daß er euch gelenk und weich sey
5310Wußt’ ich feinsten Flachs zu sichten;
Daß er glatt und schlank und gleich sey
Wird der kluge Finger schlichten.
283
Wolltet ihr bei Lust und Tänzen
Allzuüppig euch erweisen;
5315Denkt an dieses Fadens Gränzen,
Hütet euch! Er möchte reißen!
Klotho.
Wißt in diesen letzten Tagen
Ward die Scheere mir vertraut;
Denn man war von dem Betragen
5320Unsrer Alten nicht erbaut.
Zerrt unnützeste Gespinnste
Lange sie an Licht und Luft,
Hoffnung herrlichster Gewinnste
Schleppt sie schneidend zu der Gruft.
5325Doch auch ich im Jugend-Walten
Irrte mich schon hundertmal;
Heute mich im Zaum zu halten,
Scheere steckt im Futteral.
Und so bin ich gern gebunden,
5330Blicke freundlich diesem Ort;
Ihr in diesen freien Stunden
Schwärmt nur immer fort und fort.
Lachesis.
Mir, die ich allein verständig,
Blieb das Ordnen zugetheilt;
5335Meine Weise, stets lebendig,
Hat noch nie sich übereilt.
284
Fäden kommen, Fäden weifen,
Jeden lenk’ ich seine Bahn,
Keinen laß ich überschweifen,
5340Füg’ er sich im Kreis heran.
Könnt’ ich einmal mich vergessen
Wär’ es um die Welt mir bang,
Stunden zählen, Jahre messen
Und der Weber nimmt den Strang.
Herold.
5345Die jetzo kommen werdet ihr nicht kennen,
Wär’t ihr noch so gelehrt in alten Schriften;
Sie anzusehn die so viel Uebel stiften
Ihr würdet sie willkommne Gäste nennen.
Die Furien sind es, niemand wird uns glauben,
5350Hübsch, wohlgestaltet, freundlich, jung von Jahren;
Laßt euch mit ihnen ein, ihr sollt erfahren
Wie schlangenhaft verletzen solche Tauben.
Zwar sind sie tückisch, doch am heutigen Tage
Wo jeder Narr sich rühmet seiner Mängel,
5355Auch sie verlangen nicht den Ruhm als Engel,
Bekennen sich als Stadt- und Landesplage.
Alecto.
Was hilft es euch, ihr werdet uns vertrauen,
Denn wir sind hübsch und jung und Schmeichelkätzchen,
Hat einer unter euch ein Liebe-Schätzchen;
5360Wir werden ihm so lang’ die Ohren krauen,
285
Bis wir ihm sagen dürfen, Aug in Auge:
Daß sie zugleich auch dem und jenem winke,
Im Kopfe dumm, im Rücken krumm, und hinke,
Und, wenn sie seine Braut ist, gar nichts tauge.
5365So wissen wir die Braut auch zu bedrängen:
Es hat sogar der Freund, vor wenig Wochen,
Verächtliches von ihr zu der gesprochen! –
Versöhnt man sich so bleibt doch etwas hängen.
Megära.
Das ist nur Spaß! denn, sind sie erst verbunden,
5370Ich nehm’ es auf, und weiß, in allen Fällen,
Das schönste Glück durch Grille zu vergällen;
Der Mensch ist ungleich, ungleich sind die Stunden.
Und niemand hat Erwünschtes fest in Armen,
Der sich nicht nach Erwünschterem thörig sehnte,
5375Vom höchsten Glück, woran er sich gewöhnte;
Die Sonne flieht er, will den Frost erwarmen.
Mit diesem allen weiß ich zu gebahren,
Und führe her Asmodi den Getreuen,
Zu rechter Zeit Unseliges auszustreuen,
5380Verderbe so das Menschenvolk in Paaren.
Tisiphone.
Gift und Dolch statt böser Zungen
Misch’ ich, schärf’ ich dem Verräther;
Liebst du andre, früher, später
Hat Verderben dich durchdrungen.
286
5385Muß der Augenblicke Süßtes
Sich zu Gischt und Galle wandeln!
Hier kein Markten, hier kein Handeln
Wie er es beging’, er büßt es.
Singe keiner vom Vergeben!
5390Felsen klag’ ich meine Sache,
Echo! Horch! Erwiedert Rache;
Und wer wechselt soll nicht leben.
Herold.
Belieb’ es euch zur Seite wegzuweichen,
Denn was jetzt kommt ist nicht von eures Gleichen.
5395Ihr seht wie sich ein Berg herangedrängt,
Mit bunten Teppichen die Weichen stolz behängt,
Ein Haupt mit langen Zähnen, Schlangenrüssel,
Geheimnißvoll, doch zeig’ ich euch den Schlüssel.
Im Nacken sitzt ihm zierlich-zarte Frau,
5400Mit feinem Stäbchen lenkt sie ihn genau,
Die andre droben stehend herrlich-hehr
Umgibt ein Glanz der blendet mich zu sehr.
Zur Seite gehn gekettet edle Frauen,
Die eine bang, die andre froh zu schauen,
5405Die eine wünscht, die andre fühlt sich frei,
Verkünde jede wer sie sey.
Furcht.
Dunstige Fackeln, Lampen, Lichter,
Dämmern durch’s verworrne Fest,
Zwischen diese Truggesichter
5410Bannt mich ach die Kette fest.
287
Fort, ihr lächerlichen Lacher!
Euer Grinsen gibt Verdacht;
Alle meine Widersacher
Drängen mich in dieser Nacht.
5415Hier! ein Freund ist Feind geworden,
Seine Maske kenn’ ich schon;
Jener wollte mich ermorden,
Nun entdeckt schleicht er davon.
Ach wie gern in jeder Richtung,
5420Flöh’ ich zu der Welt hinaus;
Doch von drüben droht Vernichtung,
Hält mich zwischen Dunst und Graus.
Hoffnung.
Seyd gegrüßt ihr lieben Schwestern.
Habt ihr euch schon heut und gestern
5425In Vermummungen gefallen,
Weiß ich doch gewiß von allen
Morgen wollt ihr euch enthüllen.
Und wenn wir bei Fackelscheine
Uns nicht sonderlich behagen,
5430Werden wir in heitern Tagen,
Ganz nach unserm eignen Willen,
Bald gesellig, bald alleine
Frei durch schöne Fluren wandeln,
Nach Belieben ruhn und handeln
5435Und in sorgenfreiem Leben,
Nie entbehren, stets erstreben;
288
Ueberall willkommne Gäste
Treten wir getrost hinein:
Sicherlich es muß das Beste
5440Irgendwo zu finden seyn.
Klugheit.
Zwey der größten Menschenfeinde
Furcht und Hoffnung angekettet,
Halt’ ich ab von der Gemeinde;
Platz gemacht! ihr seyd gerettet.
5445Den lebendigen Colossen
Führ’ ich, seht ihr, thurmbeladen
Und er wandelt unverdrossen
Schritt vor Schritt auf steilen Pfaden.
Droben aber auf der Zinne
5450Jene Göttin mit behenden
Breiten Flügeln, zum Gewinne
Allerseits sich hinzuwenden.
Rings umgibt sie Glanz und Glorie
Leuchtend fern nach allen Seiten;
5455Und sie nennet sich Victorie,
Göttin aller Thätigkeiten.
Zoilo-Thersites.
Hu! Hu! da komm’ ich eben recht,
Ich schelt’ euch allzusammen schlecht!
Doch was ich mir zum Ziel ersah
5460Ist oben Frau Victoria,
289
Mit ihrem weißen Flügelpaar,
Sie dünkt sich wohl sie sey ein Aar,
Und wo sie sich nur hingewandt
Gehör’ ihr alles Volk und Land;
5465Doch, wo was Rühmliches gelingt
Es mich sogleich in Harnisch bringt.
Das Tiefe hoch, das Hohe tief,
Das Schiefe grad, das Grade schief,
Das ganz allein macht mich gesund,
5470So will ich’s auf dem Erdenrund.
Herold.
So treffe dich, du Lumpenhund,
Des frommen Stabes Meisterstreich,
Da krümm’ und winde dich sogleich! –
Wie sich die Doppelzwerggestalt
5475So schnell zum eklen Klumpen ballt! –
– Doch Wunder! – Klumpen wird zum Ey,
Das bläht sich auf und platzt entzwey.
Nun fällt ein Zwillingspaar heraus,
Die Otter und die Fledermaus;
5480Die eine fort im Staube kriecht,
Die andre schwarz zur Decke fliegt.
Sie eilen draußen zum Verein;
Da möcht’ ich nicht der Dritte seyn.
Gemurmel.
Frisch! dahinten tanzt man schon –
5485Nein! Ich wollt’ ich wär’ davon –
290
Fühlst du, wie uns das umflicht,
Das gespenstische Gezücht? –
Saus’t es mir doch über’s Haar –
Ward ich’s doch am Fuß gewahr –
5490Keiner ist von uns verletzt –
Alle doch in Furcht gesetzt –
Ganz verdorben ist der Spas –
Und die Bestien wollten das.
Herold.
Seit mir sind bei Maskeraden
5495Heroldspflichten aufgeladen,
Wach’ ich ernstlich an der Pforte,
Daß euch hier am lustigen Orte
Nichts Verderbliches erschleiche,
Weder wanke, weder weiche.
5500Doch ich fürchte durch die Fenster
Ziehen luftige Gespenster,
Und von Spuk und Zaubereyen
Wüßt’ ich euch nicht zu befreien,
Machte sich der Zwerg verdächtig,
5505Nun! dort hinten strömt es mächtig.
Die Bedeutung der Gestalten
Möcht’ ich amtsgemäß entfalten.
Aber was nicht zu begreifen
Wüßt’ ich auch nicht zu erklären,
5510Helfet alle mich belehren! –
Seht ihr’s durch die Menge schweifen? –
291
Vierbespannt ein prächtiger Wagen
Wird durch alles durchgetragen;
Doch er theilet nicht die Menge,
5515Nirgend seh’ ich ein Gedränge.
Farbig glitzert’s in der Ferne,
Irrend leuchten bunte Sterne,
Wie von magischer Laterne,
Schnaubt heran mit Sturmgewalt.
5520Platz gemacht! Mich schaudert’s!
Knabe
Wagenlenker.
5520Halt!
Rosse hemmet eure Flügel,
Fühlet den gewohnten Zügel,
Meistert euch wie ich euch meistre,
Rauschet hin wenn ich begeistre –
5525Diese Räume laßt uns ehren!
Schaut umher wie sie sich mehren
Die Bewundrer, Kreis um Kreise.
Herold auf! nach deiner Weise,
Ehe wir von euch entfliehen,
5530Uns zu schildern uns zu nennen;
Denn wir sind Allegorien
Und so solltest du uns kennen.
Herold.
Wüßte nicht dich zu benennen,
Eher könnt’ ich dich beschreiben.
Knabe Lenker.
5535So probir’s!
292
Herold.
5535Man muß gestehn:
Erstlich bist du jung und schön.
Halbwüchsiger Knabe bist du; doch die Frauen
Sie möchten dich ganz ausgewachsen schauen.
Du scheinest mir ein künftiger Sponsirer,
5540Recht so von Haus aus ein Verführer.
Knabe Lenker.
Das läßt sich hören! fahre fort,
Erfinde dir des Räthsels heitres Wort.
Herold.
Der Augen schwarzer Blitz, die Nacht der Locken
Erheitert von juwelnem Band!
5545Und welch ein zierliches Gewand
Fließt dir von Schultern zu den Socken,
Mit Purpursaum und Glitzertand!
Man könnte dich ein Mädchen schelten,
Doch würdest du, zu Wohl und Weh,
5550Auch jetzo schon bei Mädchen gelten,
Sie lehrten dich das A. B. C.
Knabe Lenker.
Und dieser der als Prachtgebilde
Hier auf dem Wagenthrone prangt?
Herold.
Er scheint ein König reich und milde,
5555Wohl dem der seine Gunst erlangt!
293
Er hat nichts weiter zu erstreben,
Wo’s irgend fehlte späht sein Blick,
Und seine reine Lust zu geben
Ist größer als Besitz und Glück.
Knabe Lenker.
5560Hiebei darfst du nicht stehen bleiben,
Du mußt ihn recht genau beschreiben.
Herold.
Das Würdige beschreibt sich nicht.
Doch das gesunde Mondgesicht,
Ein voller Mund, erblühte Wangen,
5565Die unterm Schmuck des Turbans prangen.
Im Faltenkleid ein reich Behagen!
Was soll ich von dem Anstand sagen?
Als Herrscher scheint er mir bekannt.
Knabe Lenker.
Plutus, des Reichthums Gott genannt,
5570Derselbe kommt in Prunk daher
Der hohe Kaiser wünscht ihn sehr.
Herold.
Sag’ von dir selber auch das Was und Wie?
Knabe Lenker.
Bin die Verschwendung, bin die Poesie;
Bin der Poet, der sich vollendet
5575Wenn er sein eigenst Gut verschwendet.
Auch ich bin unermeßlich reich
Und schätze mich dem Plutus gleich,
294
Beleb’ und schmück’ ihm Tanz und Schmaus,
Das was ihm fehlt das theil’ ich aus.
Herold.
5580Das Prahlen steht dir gar zu schön,
Doch lass’ uns deine Künste sehn.
Knabe Lenker.
Hier seht mich nur ein Schnippchen schlagen,
Schon glänzt’s und glitzert’s um den Wagen.
Da springt eine Perlenschnur hervor,
(immerfort umherschnippend)
5585Nehmt goldne Spange für Hals und Ohr;
Auch Kamm und Krönchen ohne Fehl,
In Ringen köstlichstes Juwel;
Auch Flämmchen spend’ ich dann und wann,
Erwartend wo es zünden kann.
Herold.
5590Wie greift und hascht die liebe Menge!
Fast kommt der Geber in’s Gedränge.
Kleinode schnippt er wie ein Traum
Und alles hascht im weiten Raum.
Doch da erleb’ ich neue Pfiffe,
5595Was einer noch so emsig griffe
Deß hat er wirklich schlechten Lohn,
Die Gabe flattert ihm davon.
Es lös’t sich auf das Perlenband,
Ihm krabbeln Käfer in der Hand,
5600Er wirft sie weg der arme Tropf,
Und sie umsummen ihm den Kopf.
295
Die andern statt solider Dinge
Erhaschen frevle Schmetterlinge.
Wie doch der Schelm so viel verheißt,
5605Und nur verleiht was golden gleißt!
Knabe Lenker.
Zwar Masken, merk’ ich, weißt du zu verkünden,
Allein der Schale Wesen zu ergründen
Sind Herolds Hofgeschäfte nicht;
Das fordert schärferes Gesicht.
5610Doch hüt’ ich mich vor jeder Fehde;
An dich, Gebieter, wend’ ich Frag und Rede.
(Zu Plutus gewendet)
Hast du mir nicht die Windesbraut
Des Viergespannes anvertraut?
Lenk’ ich nicht glücklich wie du leitest?
5615Bin ich nicht da wohin du deutest?
Und wußt’ ich nicht auf kühnen Schwingen
Für dich die Palme zu erringen?
Wie oft ich auch für dich gefochten,
Mir ist es jederzeit geglückt:
5620Wenn Lorbeer deine Stirne schmückt,
Hab’ ich ihn nicht mit Sinn und Hand geflochten?
Plutus.
Wenn’s nöthig ist daß ich dir Zeugniß leiste,
So sag’ ich gern: Bist Geist von meinem Geiste.
Du handelst stets nach meinem Sinn,
5625Bist reicher als ich selber bin.
296
Ich schätze, deinen Dienst zu lohnen,
Den grünen Zweig vor allen meinen Kronen.
Ein wahres Wort verkünd’ ich allen:
Mein lieber Sohn an dir hab’ ich Gefallen.
Knabe Lenker
zur Menge.
5630Die größten Gaben meiner Hand
Seht! hab’ ich rings umher gesandt.
Auf dem und jenem Kopfe glüht
Ein Flämmchen das ich angesprüht,
Von einem zu dem andern hüpft’s,
5635An diesem hält sich’s, dem entschlüpft’s,
Gar selten aber flammt’s empor,
Und leuchtet rasch in kurzem Flor;
Doch vielen, eh man’s noch erkannt,
Verlischt es, traurig ausgebrannt.
Weiber-Geklatsch.
5640Da droben auf dem Viergespann
Das ist gewiß ein Charlatan;
Gekauzt da hintendrauf Hanswurst,
Doch abgezehrt von Hunger und Durst,
Wie man ihn niemals noch erblickt;
5645Er fühlt wohl nicht wenn man ihn zwickt.
Der Abgemagerte.
Vom Leibe mir ekles Weibsgeschlecht!
Ich weiß dir komm ich niemals recht. –
Wie noch die Frau den Herd versah,
Da hieß ich Avaritia;
297
5650Da stand es gut um unser Haus:
Nur viel herein, und nichts hinaus!
Ich eiferte für Kist und Schrein;
Das sollte wohl gar ein Laster seyn.
Doch als in allerneusten Jahren
5655Das Weib nicht mehr gewohnt zu sparen,
Und wie ein jeder böser Zahler,
Weit mehr Begierden hat als Thaler,
Da bleibt dem Manne viel zu dulden,
Wo er nur hinsieht da sind Schulden.
5660Sie wendet’s, kann sie was erspulen,
An ihren Leib, an ihren Buhlen;
Auch speis’t sie besser, trinkt noch mehr
Mit der Sponsirer leidigem Heer;
Das steigert mir des Goldes Reiz:
5665Bin männlichen Geschlechts, der Geiz!
Hauptweib.
Mit Drachen mag der Drache geizen,
Ist’s doch am Ende Lug und Trug!
Er kommt die Männer aufzureizen,
Sie sind schon unbequem genug.
Weiber in Masse.
5670Der Strohmann! Reich ihm eine Schlappe!
Was will das Marterholz uns dräu’n?
Wir sollen seine Fratze scheun!
Die Drachen sind von Holz und Pappe,
Frisch an und dringt auf ihn hinein!
298
Herold.
5675Bei meinem Stabe! Ruh gehalten! –
Doch braucht es meiner Hülfe kaum,
Seht wie die grimmen Ungestalten
Bewegt im rasch gewonnenen Raum
Das Doppel-Flügelpaar entfalten.
5680Entrüstet schütteln sich der Drachen
Umschuppte, feuerspeiende Rachen;
Die Menge flieht, rein ist der Platz.
Plutus steigt vom Wagen.
Herold.
Er tritt herab, wie königlich!
Er winkt, die Drachen rühren sich,
5685Die Kiste haben sie vom Wagen
Mit Gold und Geiz herangetragen,
Sie steht zu seinen Füßen da:
Ein Wunder ist es wie’s geschah.
Plutus
zum Lenker.
Nun bist du los der allzulästigen Schwere,
5690Bist frei und frank, nun frisch zu deiner Sphäre!
Hier ist sie nicht! Verworren, schäckig, wild
Umdrängt uns hier ein fratzenhaft Gebild.
Nur wo du klar in’s holde Klare schaust,
Dir angehörst und dir allein vertraust,
5695Dorthin wo Schönes, Gutes nur gefällt,
Zur Einsamkeit! – Da schaffe deine Welt.
299
Knabe Lenker.
So acht’ ich mich als werthen Abgesandten,
So lieb’ ich dich als nächsten Anverwandten.
Wo du verweilst ist Fülle, wo ich bin
5700Fühlt jeder sich im herrlichsten Gewinn;
Auch schwankt er oft im widersinnigen Leben:
Soll er sich dir? soll er sich mir ergeben?
Die Deinen freilich können müßig ruhn,
Doch wer mir folgt hat immer was zu thun.
5705Nicht ins Geheim vollführ’ ich meine Thaten
Ich athme nur und schon bin ich verrathen.
So lebe wohl! Du gönnst mir ja mein Glück,
Doch lisple leis’ und gleich bin ich zurück.
(Ab wie er kam.)
Plutus.
Nun ist es Zeit die Schätze zu entfesseln!
5710Die Schlösser treff’ ich mit des Herolds Ruthe.
Es thut sich auf! schaut her! in ehrnen Kesseln
Entwickelt sich’s und wallt von goldnem Blute,
Zunächst der Schmuck von Kronen, Ketten, Ringen;
Es schwillt und droht ihn schmelzend zu verschlingen.
Wechselgeschrei der Menge.
5715Seht hier, o hin! wie’s reichlich quillt,
Die Kiste bis zum Rande füllt. –
Gefäße goldne schmelzen sich,
Gemünzte Rollen wälzen sich. –
Dukaten hüpfen wie geprägt,
5720O wie mir das den Busen regt –
300
Wie schau ich alle mein Begehr!
Da kollern sie am Boden her. –
Man bietet’s euch, benutzt’s nur gleich
Und bückt euch nur und werdet reich. –
5725Wir andern, rüstig wie der Blitz,
Wir nehmen den Koffer in Besitz.
Herold.
Was soll’s, ihr Thoren? soll mir das?
Es ist ja nur ein Maskenspaß.
Heut Abend wird nicht mehr begehrt;
5730Glaubt ihr man geb euch Gold und Werth?
Sind doch für euch in diesem Spiel
Selbst Rechenpfennige zu viel.
Ihr Täppischen! ein artiger Schein
Soll gleich die plumpe Wahrheit seyn.
5735Was soll euch Wahrheit? – Dumpfen Wahn
Packt ihr an allen Zipfeln an. –
Vermummter Plutus, Maskenheld,
Schlag dieses Volk mir aus dem Feld.
Plutus.
Dein Stab ist wohl dazu bereit,
5740Verleih’ ihn mir auf kurze Zeit. –
Ich tauch’ ihn rasch in Sud und Gluth. –
Nun! Masken seyd auf eurer Hut.
Wie’s blitzt und platzt, in Funken sprüht!
Der Stab schon ist er angeglüht.
5745Wer sich zu nah herangedrängt
Ist unbarmherzig gleich versengt –
Jetzt fang’ ich meinen Umgang an.
301
Geschrei und Gedräng.
O weh! Es ist um uns gethan. –
Entfliehe wer entfliehen kann! –
5750Zurück, zurück du Hintermann! –
Mir sprüht es heiß in’s Angesicht. –
Mich drückt des glühenden Stabs Gewicht –
Verloren sind wir all und all. –
Zurück, zurück du Maskenschwall!
5755Zurück, zurück, unsinniger Hauf –
O hätt’ ich Flügel flög ich auf. –
Plutus.
Schon ist der Kreis zurückgedrängt
Und niemand glaub’ ich ist versengt,
Die Menge weicht;
5760Sie ist verscheucht. –
Doch solcher Ordnung Unterpfand
Zieh’ ich ein unsichtbares Band.
Herold.
Du hast ein herrlich Werk vollbracht,
Wie dank’ ich deiner klugen Macht!
Plutus.
5765Noch braucht es, edler Freund, Geduld:
Es droht noch mancherlei Tumult.
Geiz.
So kann man doch, wenn es beliebt,
Vergnüglich diesen Kreis beschauen;
Denn immerfort sind vornen an die Frauen
5770Wo’s was zu gaffen, was zu naschen gibt.
302
Noch bin ich nicht so völlig eingerostet!
Ein schönes Weib ist immer schön;
Und heute weil es mich nichts kostet,
So wollen wir getrost sponsiren gehn.
5775Doch weil am überfüllten Orte
Nicht jedem Ohr vernehmlich alle Worte,
Versuch’ ich klug und hoff’ es soll mir glücken,
Mich pantominisch deutlich auszudrücken.
Hand, Fuß, Geberde reicht mir da nicht hin,
5780Da muß ich mich um einen Schwank bemühn.
Wie feuchten Thon will ich das Gold behandeln,
Denn dieß Metall läßt sich in alles wandeln.
Herold.
Was fängt der an der mag’re Thor!
Hat so ein Hungermann Humor?
5785Er knetet alles Gold zu Teig,
Ihm wird es untern Händen weich,
Wie er es drückt und wie es ballt
Bleibt’s immer doch nur ungestalt.
Er wendet sich zu den Weibern dort,
5790Sie schreien alle, möchten fort,
Geberden sich gar widerwärtig;
Der Schalk erweis’t sich übelfertig.
Ich fürchte daß er sich ergetzt
Wenn er die Sittlichkeit verletzt.
5795Dazu darf ich nicht schweigsam bleiben,
Gib meinen Stab, ihn zu vertreiben.
303
Plutus.
Er ahnet nicht was uns von außen droht;
Lass’ ihn die Narrentheidung treiben,
Ihm wird kein Raum für seine Possen bleiben;
5800Gesetz ist mächtig, mächtiger ist die Noth.
Getümmel und Gesang.
Das wilde Heer es kommt zumal
Von Bergeshöh’ und Waldes Thal,
Unwiderstehlich schreitet’s an:
Sie feyern ihren großen Pan.
5805Sie wissen doch was keiner weiß
Und drängen in den leeren Kreis.
Plutus.
Ich kenn’ euch wohl und euren großen Pan!
Zusammen habt ihr kühnen Schritt gethan.
Ich weiß recht gut was nicht ein jeder weiß,
5810Und öffne schuldig diesen engen Kreis.
Mag sie ein gut Geschick begleiten!
Das wunderlichste kann geschehn;
Sie wissen nicht wohin sie schreiten,
Sie haben sich nicht vorgesehn.
Wildgesang.
5815Geputztes Volk du, Flitterschau!
Sie kommen roh, sie kommen rauh,
In hohem Sprung in raschem Lauf,
Sie treten derb und tüchtig auf.
304
Faunen.
Die Faunenschaar
5820Im lustigen Tanz,
Den Eichenkranz
Im krausen Haar,
Ein feines zugespitztes Ohr
Dringt an dem Lockenkopf hervor,
5825Ein stumpfes Näschen, ein breit Gesicht
Das schadet alles bei Frauen nicht.
Dem Faun wenn er die Patsche reicht
Versagt die Schönste den Tanz nicht leicht.
Satyr.
Der Satyr hüpft nun hinterdrein
5830Mit Ziegenfuß und dürrem Bein,
Ihm sollen sie mager und sehnig seyn,
Und gemsenartig auf Bergeshöhn
Belustigt er sich umherzusehn.
In Freiheitsluft erquickt alsdann
5835Verhöhnt er Kind und Weib und Mann,
Die tief in Thales Dampf und Rauch
Behaglich meinen sie lebten auch,
Da ihm doch rein und ungestört
Die Welt dort oben allein gehört.
Gnomen.
5840Da trippelt ein die kleine Schaar,
Sie hält nicht gern sich Paar und Paar;
Im moosigen Kleid mit Lämplein hell
Bewegt sichs durcheinander schnell,
305
Wo jedes für sich selber schafft,
5845Wie Leuchtameisen wimmelhaft;
Und wuselt emsig hin und her,
Beschäftigt in die Kreuz und Quer.
Den frommen Gütchen nah verwandt,
Als Felschirurgen wohl bekannt;
5850Die hohen Berge schröpfen wir,
Aus vollen Adern schöpfen wir;
Metalle stürzen wir zu Hauf,
Mit Gruß getrost: Glück auf! Glück auf!
Das ist von Grund aus wohl gemeint:
5855Wir sind der guten Menschen Freund.
Doch bringen wir das Gold zu Tag
Damit man stehlen und kuppeln mag,
Nicht Eisen fehle dem stolzen Mann,
Der allgemeinen Mord ersann.
5860Und wer die drey Gebot veracht’t
Sich auch nichts aus den andern macht.
Das alles ist nicht unsre Schuld,
Drum habt sofort wie wir Geduld.
Riesen.
Die wilden Männer sind’s genannt,
5865Am Harzgebirge wohl bekannt,
Natürlich nackt in aller Kraft,
Sie kommen sämmtlich riesenhaft.
Den Fichtenstamm in rechter Hand
Und um den Leib ein wulstig Band,
5870Den derbsten Schurz von Zweig und Blatt,
Leibwache wie der Papst nicht hat.
306
Nymphen im Chor.
Sie umschließen den großen Pan.
Auch kommt er an! –
Das All der Welt
Wird vorgestellt
5875Im großen Pan.
Ihr heitersten umgebet ihn,
Im Gaukeltanz umschwebet ihn,
Denn weil er ernst und gut dabei,
So will er daß man fröhlich sey.
5880Auch unterm blauen Wölbedach
Verhielt er sich beständig wach,
Doch rieseln ihm die Bäche zu,
Und Lüftlein wiegen ihn mild in Ruh.
Und wenn er zu Mittage schläft
5885Sich nicht das Blatt am Zweige regt;
Gesunder Pflanzen Balsamduft
Erfüllt die schweigsam stille Luft;
Die Nymphe darf nicht munter seyn
Und wo sie stand da schläft sie ein.
5890Wenn unerwartet mit Gewalt
Dann aber seine Stimm erschallt,
Wie Blitzes Knattern, Meergebraus,
Dann niemand weiß wo ein noch aus,
Zerstreut sich tapfres Heer im Feld
5895Und im Getümmel bebt der Held.
So ehre dem, dem Ehre gebührt
Und Heil ihm der uns hergeführt!
307
Deputation der Gnomen.
An den großen Pan.
Wenn das glänzend reiche Gute
Fadenweis durch Klüfte streicht,
5900Nur der klugen Wünschelruthe
Seine Labyrinthe zeigt,
Wölben wir in dunklen Grüften
Troglodytisch unser Haus,
Und an reinen Tageslüften,
5905Theilst du Schätze gnädig aus.
Nun entdecken wir hieneben
Eine Quelle wunderbar,
Die bequem verspricht zu geben
Was kaum zu erreichen war.
5910Dieß vermagst du zu vollenden,
Nimm es Herr in deine Hut:
Jeder Schatz in deinen Händen
Kommt der ganzen Welt zu gut.
Plutus
zum Herold.
Wir müssen uns im hohen Sinne fassen
5915Und was geschieht getrost geschehen lassen,
Du bist ja sonst des stärksten Muthes voll.
Nun wird sich gleich ein Gräulichstes eräugnen,
Hartnäckig wird es Welt und Nachwelt läugnen:
Du schreib’ es treulich in dein Protokoll.
308
Herold
(den Stab anfassend, welchen Plutus in der Hand behält).
5920Die Zwerge führen den großen Pan
Zur Feuerquelle sacht heran,
Sie siedet auf vom tiefsten Schlund,
Dann sinkt sie wieder hinab zum Grund,
Und finster steht der offne Mund;
5925Wallt wieder auf in Gluth und Sud,
Der große Pan steht wohlgemuth
Freut sich des wundersamen Dings.
Und Perlenschaum sprüht recht und links,
Wie mag er solchen Wesen traun?
5930Er bückt sich tief hinein zu schaun. –
Nun aber fällt sein Bart hinein! –
Wer mag das glatte Kinn wohl seyn?
Die Hand verbirgt es unserm Blick. –
Nun folgt ein großes Ungeschick,
5935Der Bart entflammt und fliegt zurück,
Entzündet Kranz und Haupt und Brust,
Zu Leiden wandelt sich die Lust. –
Zu löschen läuft die Schaar herbei,
Doch keiner bleibt von Flammen frei,
5940Und wie es patscht und wie es schlägt
Wird neues Flammen aufgeregt;
Verflochten in das Element
Ein ganzer Maskenklump verbrennt.
Was aber hör’ ich wird uns kund
5945Von Ohr zu Ohr, von Mund zu Mund!
309
O ewig unglücksel’ge Nacht
Was hast du uns für Leid gebracht!
Verkünden wird der nächste Tag
Was niemand willig hören mag;
5950Doch hör’ ich aller Orten schrein
„Der Kaiser,“ leidet solche Pein.
O wäre doch ein andres wahr!
Der Kaiser brennt und seine Schaar.
Sie sey verflucht die ihn verführt,
5955In harzig Reis sich eingeschnürt.
Zu toben her mit Brüll-Gesang
Zu allerseitigem Untergang.
O Jugend, Jugend wirst du nie
Der Freude reines Maß bezirken?
5960O Hoheit, Hoheit wirst du nie
Vernünftig wie allmächtig wirken?
Schon geht der Wald in Flammen auf,
Sie züngeln leckend spitz hinauf,
Zum Holzverschränkten Deckenband,
5965Uns droht ein allgemeiner Brand.
Des Jammers Maß ist übervoll,
Ich weiß nicht wer uns retten soll.
Ein Aschenhaufen einer Nacht
Liegt morgen reiche Kaiserpracht.
Plutus.
5970Schrecken ist genug verbreitet,
Hülfe sey nun eingeleitet! –
310
Schlage heil’gen Stabs Gewalt,
Daß der Boden bebt und schallt!
Du geräumig weite Luft
5975Fülle dich mit kühlem Duft.
Zieht heran, umherzuschweifen,
Nebeldünste, schwangre Streifen,
Deckt ein flammendes Gewühl;
Rieselt, säuselt, Wölkchen kräuselt,
5980Schlüpfet wallend, leise dämpfet,
Löschend überall bekämpfet,
Ihr, die lindernden, die feuchten,
Wandelt in ein Wetterleuchten
Solcher eitlen Flamme Spiel. –
5985Drohen Geister uns zu schädigen
5986Soll sich die Magie bethätigen.

311
Lustgarten.
Morgensonne.
Der Kaiser, Hofleute. Faust, Mephisto­pheles, anständig, nicht auffallend, nach Sitte gekleidet; beide knieen.
Faust.
5987Verzeihst du, Herr, das Flammengaukelspiel?
Kaiser
zum Aufstehn winkend.
Ich wünsche mir dergleichen Scherze viel. –
Auf einmal sah ich mich in glüh’nder Sphäre,
5990Es schien mir fast als ob ich Pluto wäre.
Aus Nacht und Kohlen lag ein Felsengrund,
Von Flämmchen glühend. Dem und jenem Schlund
Aufwirbelten viel tausend wilde Flammen
Und flackerten in Ein Gewölb zusammen.
5995Zum höchsten Dome züngelt es empor,
Der immer ward und immer sich verlor.
Durch fernen Raum gewundner Feuersäulen
Sah ich bewegt der Völker lange Zeilen,
Sie drängten sich im weiten Kreis heran,
6000Und huldigten, wie sie es stets gethan.
312
Von meinem Hof’ erkannt’ ich ein und andern,
Ich schien ein Fürst von tausend Salamandern.
Mephistopheles.
Das bist du, Herr! weil jedes Element
Die Majestät als unbedingt erkennt.
6005Gehorsam Feuer hast du nun erprobt;
Wirf dich in’s Meer wo es am wildsten tobt,
Und kaum betrittst du perlenreichen Grund,
So bildet wallend sich ein herrlich Rund;
Siehst auf und ab lichtgrüne schwanke Wellen,
6010Mit Purpursaum, zur schönsten Wohnung schwellen,
Um dich, den Mittelpunct. Bei jedem Schritt,
Wohin du gehst, gehn die Palläste mit.
Die Wände selbst erfreuen sich des Lebens,
Pfeilschnellen Wimmlens, Hin- und Widerstrebens.
6015Meerwunder drängen sich zum neuen milden Schein,
Sie schießen an, und keines darf herein.
Da spielen farbig goldbeschuppte Drachen,
Der Hayfisch klafft, du lachst ihm in den Rachen.
Wie sich auch jetzt der Hof um dich entzückt,
6020Hast du doch nie ein solch Gedräng erblickt.
Doch bleibst du nicht vom Lieblichsten geschieden:
Es nahen sich neugierige Nereiden
Der prächt’gen Wohnung in der ew’gen Frische,
Die jüngsten scheu und lüstern wie die Fische,
6025Die spätern klug. Schon wird es Thetis kund,
Dem zweyten Peleus reicht sie Hand und Mund. –
Den Sitz alsdann auf des Olymps Revier. . .
313
Kaiser.
Die luft’gen Räume die erlaß ich dir:
Noch früh genug besteigt man jenen Thron.
Mephistopheles.
6030Und, höchster Herr! Die Erde hast du schon.
Kaiser.
Welch gut Geschick hat dich hieher gebracht?
Unmittelbar aus Tausend Einer Nacht.
Gleichst du an Fruchtbarkeit Scheherazaden,
Versichr’ ich dich der höchsten aller Gnaden.
6035Sey stets bereit, wenn eure Tageswelt,
6036Wie’s oft geschieht, mir widerlichst mißfällt.
(Ist fortzusetzen.)